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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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die gewöhnliche Tracht dieser Menschenklasse ist, umwickeln ihren linken Arm
mit zwei oder drei seidenen Tüchern, um ihn dann gewissermaßen als Schild
zu gebrauchen, und nehmen in die rechte Hand jeder ein großes Messer. Die
Klinge dieser Messer, welche sich wie Taschenmesser öffnen und schließen, ist
ungefähr einen Fuß lang und unten einen Zoll breit, nach der Mitte hin
wird sie breiter, bis sie anderthalb Zoll erreicht, und von da ab wird sie
wieder schmaler und endigt in eine lange doppelschneidige Spitze. Wenn das
Messer geöffnet ist, bleibt es vermöge einer im Griff angebrachten Feder fest¬
stehen. Es wird dann wie ein Stoßdegen nur zum Stechen gebraucht und
ist eine mindestens ebenso furchtbare Waffe wie dieser. Bei diesen Muth¬
proben zielen die Mafiusi niemals nach der Brust, sondern nur nach den
Armen und Schultern. Die andern Mitglieder stehen dabei als Zeugen oder
Secundärem, damit keine Verstöße gegen Ordnung und Herkommen statt¬
finden. Noch mehr aber ist es ihnen dabei darum zu thun, die Gesichtszüge
des Candidaten zu beobachten, und wenn sie darin die geringste Furcht oder
Feigheit erblicken, so weisen sie seine Aufnahme gleich zurück und sagen ihm,
er möge sich, bevor er sich wieder melde, erst mehr Muth anschaffen und
lernen, dem Messer ein unerschrockenes Gesicht zu zeigen. In diesem Falle
tritt er in die Reihe der Mafiusi zurück, die nur Schutzbefohlene des Bundes
sind und keinen Antheil an der Beute oder dem Gewinn desselben haben. Wenn
er dagegen den gehörigen Muth zeigt, geht der Kampf fort, bis einer der
beiden Duellanten eine Wunde bekommt, die gewöhnlich nur eine Fleischwunde
ist. Sobald der Kampf beendet ist, umarmen und küssen sich die Gegner
wie Brüder, der Sieger verbindet dem Andern liebreich seine Wunde, und
das Ganze endet mit einem lustigen Schmause in einer Schenke und der Auf¬
nahme des Candidaten unter die activen Mitglieder der Genossenschaft.

Wenn der Mafiuso förmlich in diesen Grad seines Vereins aufgenommen ist,
hat er mit den andern Mitgliedern denselben gleichen Anspruch auf die Rechte der
Genossenschaft in dem Bezirke, in welchem er wohnt, oder in dem Berufe oder
Gewerbe, welchem er angehört, und gleichen Antheil an allem Erwerb und
Gewinn derselben, möge derselbe nun aus der Besteuerung von Nichtmitglie-
dern oder aus dem Schmuggel in diesem Bezirke fließen. Zu gleicher Zeit
aber übernimmt er auch alle mit seiner neuen Stellung in der Gesellschaft
verknüpften Pflichten, und deren sind nicht wenige. Er muß die Schwachen
gegen die Starken vertheidigen, den Paschern gegen die Zollwächter und
Acetsebeamten beistehen, den von der Polizei Verfolgten gegen die Häscher
Hülfe leisten, und gelegentlich muß er sich auch schlagen und sein Messer ge-
brauchen und überall, wohin er kommt, Hecht im Karpfenteich fein.

Das eigentliche Ziel der Mafiusi ist nicht Raub und Diebstahl, sondern
die Herrschaft in ihrem District, Unabhängigkeit von den Behörden, eine


die gewöhnliche Tracht dieser Menschenklasse ist, umwickeln ihren linken Arm
mit zwei oder drei seidenen Tüchern, um ihn dann gewissermaßen als Schild
zu gebrauchen, und nehmen in die rechte Hand jeder ein großes Messer. Die
Klinge dieser Messer, welche sich wie Taschenmesser öffnen und schließen, ist
ungefähr einen Fuß lang und unten einen Zoll breit, nach der Mitte hin
wird sie breiter, bis sie anderthalb Zoll erreicht, und von da ab wird sie
wieder schmaler und endigt in eine lange doppelschneidige Spitze. Wenn das
Messer geöffnet ist, bleibt es vermöge einer im Griff angebrachten Feder fest¬
stehen. Es wird dann wie ein Stoßdegen nur zum Stechen gebraucht und
ist eine mindestens ebenso furchtbare Waffe wie dieser. Bei diesen Muth¬
proben zielen die Mafiusi niemals nach der Brust, sondern nur nach den
Armen und Schultern. Die andern Mitglieder stehen dabei als Zeugen oder
Secundärem, damit keine Verstöße gegen Ordnung und Herkommen statt¬
finden. Noch mehr aber ist es ihnen dabei darum zu thun, die Gesichtszüge
des Candidaten zu beobachten, und wenn sie darin die geringste Furcht oder
Feigheit erblicken, so weisen sie seine Aufnahme gleich zurück und sagen ihm,
er möge sich, bevor er sich wieder melde, erst mehr Muth anschaffen und
lernen, dem Messer ein unerschrockenes Gesicht zu zeigen. In diesem Falle
tritt er in die Reihe der Mafiusi zurück, die nur Schutzbefohlene des Bundes
sind und keinen Antheil an der Beute oder dem Gewinn desselben haben. Wenn
er dagegen den gehörigen Muth zeigt, geht der Kampf fort, bis einer der
beiden Duellanten eine Wunde bekommt, die gewöhnlich nur eine Fleischwunde
ist. Sobald der Kampf beendet ist, umarmen und küssen sich die Gegner
wie Brüder, der Sieger verbindet dem Andern liebreich seine Wunde, und
das Ganze endet mit einem lustigen Schmause in einer Schenke und der Auf¬
nahme des Candidaten unter die activen Mitglieder der Genossenschaft.

Wenn der Mafiuso förmlich in diesen Grad seines Vereins aufgenommen ist,
hat er mit den andern Mitgliedern denselben gleichen Anspruch auf die Rechte der
Genossenschaft in dem Bezirke, in welchem er wohnt, oder in dem Berufe oder
Gewerbe, welchem er angehört, und gleichen Antheil an allem Erwerb und
Gewinn derselben, möge derselbe nun aus der Besteuerung von Nichtmitglie-
dern oder aus dem Schmuggel in diesem Bezirke fließen. Zu gleicher Zeit
aber übernimmt er auch alle mit seiner neuen Stellung in der Gesellschaft
verknüpften Pflichten, und deren sind nicht wenige. Er muß die Schwachen
gegen die Starken vertheidigen, den Paschern gegen die Zollwächter und
Acetsebeamten beistehen, den von der Polizei Verfolgten gegen die Häscher
Hülfe leisten, und gelegentlich muß er sich auch schlagen und sein Messer ge-
brauchen und überall, wohin er kommt, Hecht im Karpfenteich fein.

Das eigentliche Ziel der Mafiusi ist nicht Raub und Diebstahl, sondern
die Herrschaft in ihrem District, Unabhängigkeit von den Behörden, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/20>, abgerufen am 27.11.2024.