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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Zeit verlöre und dann gleich wieder heirathete, aber niemand wußte, daß er
die Weiber tödtete, und auffraß und ebenso die kleinen Kinder. Zuletzt
heirathete er ein Mädchen, die einen jüngeren Bruder hatte und auch sonst
noch viele Verwandte besaß. Eines Tages, als er von der Rennthierjagd
heim kam, sagte er zu seinem Schwager: "Bitte, geh doch und hole meine
Axt; du wirst sie unter dem Boote draußen finden." Als jener ging, folgte
ihm Jginarasugsuk, und bald darauf hörte seine Frau ihren Bruder schreien,
und als fie zum Fenster hinaus blickte, sah sie. wie ihr Mann ihren Bruder
verfolgte, ihn einholte und erschlug. Darauf befahl er ihr ein paar Stücke
von der Leiche zu kochen, und als das Mahl fertig war, begann er zu essen
und bot ihr einen Arm an, den sie essen sollte. Sie aber that dieß nicht,
sondern versteckte ihre Portion unter der Asche des Kochfeuers. "Ich glaube
wahrhaftig, du weinst", sagte der Mann. -- "Nein", antwortete sie, "ich
bin nur ein wenig schüchtern". Nachdem der Mann seinen Schwager aufge¬
gessen hatte, begann er seine Frau zu mästen, indem er ihr befahl, nichts als
Nennthiertalg zu essen und täglich nur eine Muschelschale voll Wasser zu
trinken. Davon wurde sie zuletzt so fett, daß sie nicht mehr stehen konnte.
Nun entfernte sich Jginarasugsuk eines Tages, nachdem er den Eingang des
Sommerzeltes mit starken Riemen zugebunden hatte. Als er eine Weile fort
war, nahm sie ihr Messer, ließ sich von der Bank fallen und wälzte sich nach
der Thür, wo sie die Riemen zerschnitt. Sie kollerte darauf nach einem Pfuhl
hinab, wo sie eine Menge Wasser trank. Davon wurde sie leichter, sodaß sie
nach dem Zelte zurückgehen konnte. Sie trat hinein, zog ihre Jacke aus
stopfte sie voll Moos und legte sie so, daß sie auf der Bank den Rücken der
Thür zukehrte, die sie dann wieder zuband. Darauf floh sie. Da sie aber
wußte, daß ihr Mann sie sogleich verfolgen würde, so nahm sie ihren Weg
nach einem großen Stücke Treibholz, welches man auf den Strand gezogen
hatte, und bezauberte es, indem sie sang: "Kissugsuak pingersuak, iahaha,
arape, kupe, sipe, sipesisaria." Sogleich öffnete sich der Stamm, und sie ging
hinein, indem sie weiter sang: "Kissugsuak, arape, mane, mamesisaria", wo¬
rauf der Stamm sich wieder über ihr schloß. Nach einer Weile hörte sie
ihren Mann kommen. Er hatte, als er beim Eintritt in das Zelt die aus¬
gestopfte Jacke gesehen, seinen Speer nach ihr geworfen, als er aber gefunden,
was es wirklich war, war er ihren Fußtapfen bis zu dem Treibholze gefolgt,
und sie hörte deutlich, wie er ausrief: "O wie Schade, daß ich es so lange
aufschob, sie todtzumachen! Oh ich armer Mann!" Er ging weg. kam aber
Wehrmals wieder; da die Fußspuren jedoch immer bei dem Holze aufhörten,
entfernte er sich zuletzt ganz. Sie sang jetzt ihre Zauberlied wieder, und
wieder that sich der Stamm auf, und sie sprang heraus und rannte fort.
Als Jginarasugsuk sie von Neuem verfolgte, verbarg sie sich in die Höhle


Zeit verlöre und dann gleich wieder heirathete, aber niemand wußte, daß er
die Weiber tödtete, und auffraß und ebenso die kleinen Kinder. Zuletzt
heirathete er ein Mädchen, die einen jüngeren Bruder hatte und auch sonst
noch viele Verwandte besaß. Eines Tages, als er von der Rennthierjagd
heim kam, sagte er zu seinem Schwager: „Bitte, geh doch und hole meine
Axt; du wirst sie unter dem Boote draußen finden." Als jener ging, folgte
ihm Jginarasugsuk, und bald darauf hörte seine Frau ihren Bruder schreien,
und als fie zum Fenster hinaus blickte, sah sie. wie ihr Mann ihren Bruder
verfolgte, ihn einholte und erschlug. Darauf befahl er ihr ein paar Stücke
von der Leiche zu kochen, und als das Mahl fertig war, begann er zu essen
und bot ihr einen Arm an, den sie essen sollte. Sie aber that dieß nicht,
sondern versteckte ihre Portion unter der Asche des Kochfeuers. „Ich glaube
wahrhaftig, du weinst", sagte der Mann. — „Nein", antwortete sie, „ich
bin nur ein wenig schüchtern". Nachdem der Mann seinen Schwager aufge¬
gessen hatte, begann er seine Frau zu mästen, indem er ihr befahl, nichts als
Nennthiertalg zu essen und täglich nur eine Muschelschale voll Wasser zu
trinken. Davon wurde sie zuletzt so fett, daß sie nicht mehr stehen konnte.
Nun entfernte sich Jginarasugsuk eines Tages, nachdem er den Eingang des
Sommerzeltes mit starken Riemen zugebunden hatte. Als er eine Weile fort
war, nahm sie ihr Messer, ließ sich von der Bank fallen und wälzte sich nach
der Thür, wo sie die Riemen zerschnitt. Sie kollerte darauf nach einem Pfuhl
hinab, wo sie eine Menge Wasser trank. Davon wurde sie leichter, sodaß sie
nach dem Zelte zurückgehen konnte. Sie trat hinein, zog ihre Jacke aus
stopfte sie voll Moos und legte sie so, daß sie auf der Bank den Rücken der
Thür zukehrte, die sie dann wieder zuband. Darauf floh sie. Da sie aber
wußte, daß ihr Mann sie sogleich verfolgen würde, so nahm sie ihren Weg
nach einem großen Stücke Treibholz, welches man auf den Strand gezogen
hatte, und bezauberte es, indem sie sang: „Kissugsuak pingersuak, iahaha,
arape, kupe, sipe, sipesisaria." Sogleich öffnete sich der Stamm, und sie ging
hinein, indem sie weiter sang: „Kissugsuak, arape, mane, mamesisaria", wo¬
rauf der Stamm sich wieder über ihr schloß. Nach einer Weile hörte sie
ihren Mann kommen. Er hatte, als er beim Eintritt in das Zelt die aus¬
gestopfte Jacke gesehen, seinen Speer nach ihr geworfen, als er aber gefunden,
was es wirklich war, war er ihren Fußtapfen bis zu dem Treibholze gefolgt,
und sie hörte deutlich, wie er ausrief: „O wie Schade, daß ich es so lange
aufschob, sie todtzumachen! Oh ich armer Mann!" Er ging weg. kam aber
Wehrmals wieder; da die Fußspuren jedoch immer bei dem Holze aufhörten,
entfernte er sich zuletzt ganz. Sie sang jetzt ihre Zauberlied wieder, und
wieder that sich der Stamm auf, und sie sprang heraus und rannte fort.
Als Jginarasugsuk sie von Neuem verfolgte, verbarg sie sich in die Höhle


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[0175] Zeit verlöre und dann gleich wieder heirathete, aber niemand wußte, daß er die Weiber tödtete, und auffraß und ebenso die kleinen Kinder. Zuletzt heirathete er ein Mädchen, die einen jüngeren Bruder hatte und auch sonst noch viele Verwandte besaß. Eines Tages, als er von der Rennthierjagd heim kam, sagte er zu seinem Schwager: „Bitte, geh doch und hole meine Axt; du wirst sie unter dem Boote draußen finden." Als jener ging, folgte ihm Jginarasugsuk, und bald darauf hörte seine Frau ihren Bruder schreien, und als fie zum Fenster hinaus blickte, sah sie. wie ihr Mann ihren Bruder verfolgte, ihn einholte und erschlug. Darauf befahl er ihr ein paar Stücke von der Leiche zu kochen, und als das Mahl fertig war, begann er zu essen und bot ihr einen Arm an, den sie essen sollte. Sie aber that dieß nicht, sondern versteckte ihre Portion unter der Asche des Kochfeuers. „Ich glaube wahrhaftig, du weinst", sagte der Mann. — „Nein", antwortete sie, „ich bin nur ein wenig schüchtern". Nachdem der Mann seinen Schwager aufge¬ gessen hatte, begann er seine Frau zu mästen, indem er ihr befahl, nichts als Nennthiertalg zu essen und täglich nur eine Muschelschale voll Wasser zu trinken. Davon wurde sie zuletzt so fett, daß sie nicht mehr stehen konnte. Nun entfernte sich Jginarasugsuk eines Tages, nachdem er den Eingang des Sommerzeltes mit starken Riemen zugebunden hatte. Als er eine Weile fort war, nahm sie ihr Messer, ließ sich von der Bank fallen und wälzte sich nach der Thür, wo sie die Riemen zerschnitt. Sie kollerte darauf nach einem Pfuhl hinab, wo sie eine Menge Wasser trank. Davon wurde sie leichter, sodaß sie nach dem Zelte zurückgehen konnte. Sie trat hinein, zog ihre Jacke aus stopfte sie voll Moos und legte sie so, daß sie auf der Bank den Rücken der Thür zukehrte, die sie dann wieder zuband. Darauf floh sie. Da sie aber wußte, daß ihr Mann sie sogleich verfolgen würde, so nahm sie ihren Weg nach einem großen Stücke Treibholz, welches man auf den Strand gezogen hatte, und bezauberte es, indem sie sang: „Kissugsuak pingersuak, iahaha, arape, kupe, sipe, sipesisaria." Sogleich öffnete sich der Stamm, und sie ging hinein, indem sie weiter sang: „Kissugsuak, arape, mane, mamesisaria", wo¬ rauf der Stamm sich wieder über ihr schloß. Nach einer Weile hörte sie ihren Mann kommen. Er hatte, als er beim Eintritt in das Zelt die aus¬ gestopfte Jacke gesehen, seinen Speer nach ihr geworfen, als er aber gefunden, was es wirklich war, war er ihren Fußtapfen bis zu dem Treibholze gefolgt, und sie hörte deutlich, wie er ausrief: „O wie Schade, daß ich es so lange aufschob, sie todtzumachen! Oh ich armer Mann!" Er ging weg. kam aber Wehrmals wieder; da die Fußspuren jedoch immer bei dem Holze aufhörten, entfernte er sich zuletzt ganz. Sie sang jetzt ihre Zauberlied wieder, und wieder that sich der Stamm auf, und sie sprang heraus und rannte fort. Als Jginarasugsuk sie von Neuem verfolgte, verbarg sie sich in die Höhle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/175>, abgerufen am 27.11.2024.