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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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hatten sie Menschengesichter, und in demselben Augenblicke sprang ein Renn¬
thier aus seinem Sacke, worauf er fand, daß der.Talg bis auf einen kleinen
Rest verschwunden war. Er fühlte dann, wie er emporgehoben und durch die
Luft geführt wurde. Aber nachdem er seine Haut mit dem Talgreste einge¬
rieben hatte, kam er im Fluge wieder nach Hause. Er hatte aber inzwischen
seine Besinnung verloren und war nicht lebendig und nicht todt, wie früher
die Leute, denen der Mondmann die Seelen aus den Leibern genommen hatte.
Von jetzt an gab Kakortuliak das Jagen auf und wurde ein "Angakok", d. h.
ein Seher und Zauberer. Seine Seele pflegte seinen Körper zu verlassen
und im Binnenlande umherzuschweifen oder nach der Ostküste hinüberzufliegen.
Reisen, über die er nach seiner Zurückkunst berichtete.

Avigiatsiak war der Name eines Mädchens, welches, als es sein Messer
am Ufer wetzte, von einem Walfisch fortgeschleppt wurde. Nachdem sie eine
Weile mit den Walfischen gelebt hatte, floh sie und wurde in einen Seehund
verwandelt. In dieser Gestalt harpunirte sie ein Mann, zog sie auf das Eis
und schnitt sie in Stücke, ausgenommen den Kopf, der unter die Bank ge¬
worfen wurde. Von hier schlüpfte sie in den Leib der Frau des Jägers und
wurde später neu geboren und Avigiatsiak genannt.

Ein alter Mann verlor einst, als er im Innern einer Föhrde Lachse
fischte, seinen Sohn. In seinem Kummer darüber verblieb er an der Stelle
und baute sein Winterhaus am Grabe des Verstorbenen. In dieser Einsam¬
keit wurden er und die Seinen eines Tages durch das Erscheinen von drei
Männern überrascht, von denen der eine lang und schmalnastg, der andere
kleiner und plattnasig, der dritte sehr klein und weiß wie Schnee war. Nach¬
dem sie sich mit ihrem Wirthe den Abend hindurch unterhalten hatten, bat der
Kurznafige ihn um ein Stück Sohlenleder, der Weiße aber um ein Stück
Walroßzahn. Der alte Mann begleitete die Scheidenden bis vor die Thür.
Wie erschrak er aber, als er die Drei in Gestalt eines Rennthieres, eines
Fuchses und eines Hasen davonspringen sah. Es heißt, daß der Hase etwas
zu einem neuen Zahne brauchte.

Nakasungnak reiste weit nach Norden hinauf und ließ sich unter den
Leuten nieder, die keine Lederboote haben. Er war sehr anmaßend und hals¬
starrig. Seine neuen Genossen warnten ihn vor dem eisüberzogenen Riesen¬
bären, der bald erscheinen werde, und den kein Mensch bestehen könne. Aber
Nakasungnak kehrte sich nicht daran, ging vielmehr dem fürchterlichen Thiere
blos mit einem Messer bewaffnet entgegen. Er verschwand sogleich in seinem
offenen Rachen. Da aber sah man den Bär taumeln, und bald fiel er todt
nieder. Als man näher trat, sah man, wie ein Messer zwischen seinen Rip¬
pen herausguckte, und als das Loch erweitert wurde, sprang Nagasungnak
wohlbehalten heraus, nur sein Haar und die Haut seines Gesichts waren ab-


hatten sie Menschengesichter, und in demselben Augenblicke sprang ein Renn¬
thier aus seinem Sacke, worauf er fand, daß der.Talg bis auf einen kleinen
Rest verschwunden war. Er fühlte dann, wie er emporgehoben und durch die
Luft geführt wurde. Aber nachdem er seine Haut mit dem Talgreste einge¬
rieben hatte, kam er im Fluge wieder nach Hause. Er hatte aber inzwischen
seine Besinnung verloren und war nicht lebendig und nicht todt, wie früher
die Leute, denen der Mondmann die Seelen aus den Leibern genommen hatte.
Von jetzt an gab Kakortuliak das Jagen auf und wurde ein „Angakok", d. h.
ein Seher und Zauberer. Seine Seele pflegte seinen Körper zu verlassen
und im Binnenlande umherzuschweifen oder nach der Ostküste hinüberzufliegen.
Reisen, über die er nach seiner Zurückkunst berichtete.

Avigiatsiak war der Name eines Mädchens, welches, als es sein Messer
am Ufer wetzte, von einem Walfisch fortgeschleppt wurde. Nachdem sie eine
Weile mit den Walfischen gelebt hatte, floh sie und wurde in einen Seehund
verwandelt. In dieser Gestalt harpunirte sie ein Mann, zog sie auf das Eis
und schnitt sie in Stücke, ausgenommen den Kopf, der unter die Bank ge¬
worfen wurde. Von hier schlüpfte sie in den Leib der Frau des Jägers und
wurde später neu geboren und Avigiatsiak genannt.

Ein alter Mann verlor einst, als er im Innern einer Föhrde Lachse
fischte, seinen Sohn. In seinem Kummer darüber verblieb er an der Stelle
und baute sein Winterhaus am Grabe des Verstorbenen. In dieser Einsam¬
keit wurden er und die Seinen eines Tages durch das Erscheinen von drei
Männern überrascht, von denen der eine lang und schmalnastg, der andere
kleiner und plattnasig, der dritte sehr klein und weiß wie Schnee war. Nach¬
dem sie sich mit ihrem Wirthe den Abend hindurch unterhalten hatten, bat der
Kurznafige ihn um ein Stück Sohlenleder, der Weiße aber um ein Stück
Walroßzahn. Der alte Mann begleitete die Scheidenden bis vor die Thür.
Wie erschrak er aber, als er die Drei in Gestalt eines Rennthieres, eines
Fuchses und eines Hasen davonspringen sah. Es heißt, daß der Hase etwas
zu einem neuen Zahne brauchte.

Nakasungnak reiste weit nach Norden hinauf und ließ sich unter den
Leuten nieder, die keine Lederboote haben. Er war sehr anmaßend und hals¬
starrig. Seine neuen Genossen warnten ihn vor dem eisüberzogenen Riesen¬
bären, der bald erscheinen werde, und den kein Mensch bestehen könne. Aber
Nakasungnak kehrte sich nicht daran, ging vielmehr dem fürchterlichen Thiere
blos mit einem Messer bewaffnet entgegen. Er verschwand sogleich in seinem
offenen Rachen. Da aber sah man den Bär taumeln, und bald fiel er todt
nieder. Als man näher trat, sah man, wie ein Messer zwischen seinen Rip¬
pen herausguckte, und als das Loch erweitert wurde, sprang Nagasungnak
wohlbehalten heraus, nur sein Haar und die Haut seines Gesichts waren ab-


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[0172] hatten sie Menschengesichter, und in demselben Augenblicke sprang ein Renn¬ thier aus seinem Sacke, worauf er fand, daß der.Talg bis auf einen kleinen Rest verschwunden war. Er fühlte dann, wie er emporgehoben und durch die Luft geführt wurde. Aber nachdem er seine Haut mit dem Talgreste einge¬ rieben hatte, kam er im Fluge wieder nach Hause. Er hatte aber inzwischen seine Besinnung verloren und war nicht lebendig und nicht todt, wie früher die Leute, denen der Mondmann die Seelen aus den Leibern genommen hatte. Von jetzt an gab Kakortuliak das Jagen auf und wurde ein „Angakok", d. h. ein Seher und Zauberer. Seine Seele pflegte seinen Körper zu verlassen und im Binnenlande umherzuschweifen oder nach der Ostküste hinüberzufliegen. Reisen, über die er nach seiner Zurückkunst berichtete. Avigiatsiak war der Name eines Mädchens, welches, als es sein Messer am Ufer wetzte, von einem Walfisch fortgeschleppt wurde. Nachdem sie eine Weile mit den Walfischen gelebt hatte, floh sie und wurde in einen Seehund verwandelt. In dieser Gestalt harpunirte sie ein Mann, zog sie auf das Eis und schnitt sie in Stücke, ausgenommen den Kopf, der unter die Bank ge¬ worfen wurde. Von hier schlüpfte sie in den Leib der Frau des Jägers und wurde später neu geboren und Avigiatsiak genannt. Ein alter Mann verlor einst, als er im Innern einer Föhrde Lachse fischte, seinen Sohn. In seinem Kummer darüber verblieb er an der Stelle und baute sein Winterhaus am Grabe des Verstorbenen. In dieser Einsam¬ keit wurden er und die Seinen eines Tages durch das Erscheinen von drei Männern überrascht, von denen der eine lang und schmalnastg, der andere kleiner und plattnasig, der dritte sehr klein und weiß wie Schnee war. Nach¬ dem sie sich mit ihrem Wirthe den Abend hindurch unterhalten hatten, bat der Kurznafige ihn um ein Stück Sohlenleder, der Weiße aber um ein Stück Walroßzahn. Der alte Mann begleitete die Scheidenden bis vor die Thür. Wie erschrak er aber, als er die Drei in Gestalt eines Rennthieres, eines Fuchses und eines Hasen davonspringen sah. Es heißt, daß der Hase etwas zu einem neuen Zahne brauchte. Nakasungnak reiste weit nach Norden hinauf und ließ sich unter den Leuten nieder, die keine Lederboote haben. Er war sehr anmaßend und hals¬ starrig. Seine neuen Genossen warnten ihn vor dem eisüberzogenen Riesen¬ bären, der bald erscheinen werde, und den kein Mensch bestehen könne. Aber Nakasungnak kehrte sich nicht daran, ging vielmehr dem fürchterlichen Thiere blos mit einem Messer bewaffnet entgegen. Er verschwand sogleich in seinem offenen Rachen. Da aber sah man den Bär taumeln, und bald fiel er todt nieder. Als man näher trat, sah man, wie ein Messer zwischen seinen Rip¬ pen herausguckte, und als das Loch erweitert wurde, sprang Nagasungnak wohlbehalten heraus, nur sein Haar und die Haut seines Gesichts waren ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/172>, abgerufen am 27.11.2024.