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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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werden, es war die alte Fabel von dem Wolfe, der die Lämmer bewachen
sollte, der Bock war zum Gärtner gesetzt.

Diese Compagnien hatten die Obliegenheit, Räubereien und Erpressungen
zu verhüten, und das thaten sie denn auch zum Schein, in Wirklichkett aber
betrieben sie unter der Hand selbst das Räuberhandwerk. Das Innere der
Insel war ganz ihrem Belieben überlassen. Sie wurden allmählich sehr
mächtig und verstärkten ihre Macht dadurch, daß sie den schlimmsten Tauge¬
nichtsen des Landes den Eintritt als Affiliirte in ihre Compagnien gestatteten,
wobei sie nur die eine Bedingung machten, daß dieselben ihnen selbst aus
dem Wege gingen und sich offner Raubthaten enthielten, wogegen sie das
Recht haben sollten, die Besitzer von Grund und Boden zu brandschatzen.
Diese hatten sich in dieses Abkommen zu fügen, wenn sie nicht die Vendetta
der von der Regierung errichteten Gendarmerie auf sich lenken wollten.

Die natürlichen Folgen eines solchen Standes der Dinge, welcher sich
von den Feudalzeiten bis in unsere Tage hinein fortsetzte, liegen auf der
Hand. Statt daß das Unwesen der Räuberbanden und der Erpressung
von Steuern an deren Führer mit der Wurzel ausgerottet wurde, erhob man
dasselbe zur Würde einer Staatseinrichtung. Mehrere Generationen hindurch
hat sich die fteilische Landbevölkerung gewöhnt, die Sache als ein noth¬
wendiges Uebel zu betrachten, und niemandem fiel es ein, sich die Möglichkeit
vorzustellen, sie los zu werden. Das Beste, worauf man hoffen konnte, war
eine Herabminderung der Erpressungen auf mäßige Proportionen, und das
haben die Landbesitzer in der That zu Stande gebracht, indem sie sich den
Forderungen der wilden Burschen mit guter Manier fügten, den Hauptleuten
derselben allerlei Gefälligkeiten erwiesen, ihnen, ihren Leuten und ihren
Affiliirten gelegentlich Geschenke machten, einen oder zwei davon gegen hohen
Gehalt zu Hütern ihrer Güter bestellten und vor Allem den Behörden gegen¬
über in Betreff aller Dinge, die ihren Bedrückern Schaden bringen konnten,
reinen Mund hielten. Wo letzteres nicht geschah, ließ die Vendetta -- und
eine blutige Bendetta -- nicht lange auf sich warten.

Die niedere und ungebildete Klasse auf dem Lande und in den Städten
gewöhnte sich daran, jene Verbündeten, welche die Namen Mafiusi, Malan¬
drini oder Camorristi annahmen, als Glieder und Schützlinge einer mächtigen
und furchtbaren Genossenschaft, stärker als die Reichen, stärker selbst als die
Regierung zu betrachten. Sie gelangten sogar dahin, daß sie es für eine Ehre
ansahen, wenn Man ihnen Mitglied der Verbindung zu werden erlaubte.
Selbst die friedfertigen Handwerker und Tagelöhner hegten zuletzt eine Art
achtungsvoller Bewunderung vor den Mafiusi; denn in ihren Augen repräsen-
tirten sie den Widerstand Siciliens gegen die bourbonische Unterdrückung.
Sogar die Bezeichnungen Mafiuso oder Malandrino verloren ihre ursprüngliche


werden, es war die alte Fabel von dem Wolfe, der die Lämmer bewachen
sollte, der Bock war zum Gärtner gesetzt.

Diese Compagnien hatten die Obliegenheit, Räubereien und Erpressungen
zu verhüten, und das thaten sie denn auch zum Schein, in Wirklichkett aber
betrieben sie unter der Hand selbst das Räuberhandwerk. Das Innere der
Insel war ganz ihrem Belieben überlassen. Sie wurden allmählich sehr
mächtig und verstärkten ihre Macht dadurch, daß sie den schlimmsten Tauge¬
nichtsen des Landes den Eintritt als Affiliirte in ihre Compagnien gestatteten,
wobei sie nur die eine Bedingung machten, daß dieselben ihnen selbst aus
dem Wege gingen und sich offner Raubthaten enthielten, wogegen sie das
Recht haben sollten, die Besitzer von Grund und Boden zu brandschatzen.
Diese hatten sich in dieses Abkommen zu fügen, wenn sie nicht die Vendetta
der von der Regierung errichteten Gendarmerie auf sich lenken wollten.

Die natürlichen Folgen eines solchen Standes der Dinge, welcher sich
von den Feudalzeiten bis in unsere Tage hinein fortsetzte, liegen auf der
Hand. Statt daß das Unwesen der Räuberbanden und der Erpressung
von Steuern an deren Führer mit der Wurzel ausgerottet wurde, erhob man
dasselbe zur Würde einer Staatseinrichtung. Mehrere Generationen hindurch
hat sich die fteilische Landbevölkerung gewöhnt, die Sache als ein noth¬
wendiges Uebel zu betrachten, und niemandem fiel es ein, sich die Möglichkeit
vorzustellen, sie los zu werden. Das Beste, worauf man hoffen konnte, war
eine Herabminderung der Erpressungen auf mäßige Proportionen, und das
haben die Landbesitzer in der That zu Stande gebracht, indem sie sich den
Forderungen der wilden Burschen mit guter Manier fügten, den Hauptleuten
derselben allerlei Gefälligkeiten erwiesen, ihnen, ihren Leuten und ihren
Affiliirten gelegentlich Geschenke machten, einen oder zwei davon gegen hohen
Gehalt zu Hütern ihrer Güter bestellten und vor Allem den Behörden gegen¬
über in Betreff aller Dinge, die ihren Bedrückern Schaden bringen konnten,
reinen Mund hielten. Wo letzteres nicht geschah, ließ die Vendetta — und
eine blutige Bendetta — nicht lange auf sich warten.

Die niedere und ungebildete Klasse auf dem Lande und in den Städten
gewöhnte sich daran, jene Verbündeten, welche die Namen Mafiusi, Malan¬
drini oder Camorristi annahmen, als Glieder und Schützlinge einer mächtigen
und furchtbaren Genossenschaft, stärker als die Reichen, stärker selbst als die
Regierung zu betrachten. Sie gelangten sogar dahin, daß sie es für eine Ehre
ansahen, wenn Man ihnen Mitglied der Verbindung zu werden erlaubte.
Selbst die friedfertigen Handwerker und Tagelöhner hegten zuletzt eine Art
achtungsvoller Bewunderung vor den Mafiusi; denn in ihren Augen repräsen-
tirten sie den Widerstand Siciliens gegen die bourbonische Unterdrückung.
Sogar die Bezeichnungen Mafiuso oder Malandrino verloren ihre ursprüngliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/17>, abgerufen am 27.11.2024.