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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Kehrichthaufen jener Höhlen zurückgelassen hat, sind jene Bildwerke auf Renn¬
thiergeweihen. Schieferplatten und Elfenbetnstücken, die uns die Dawkins'sche
Schrift im Holzschnitt zeigt. Auf einem Stück Elephantenzahn erblicken wir
deutlich die Umrisse eines Ochsen. Ein zweites liefert uns eine recht zierliche
Darstellung: ein Rennthier kniet in gefälliger Haltung mit emporgerichtetem
Kopfe, sodaß das Geweih auf den Schultern ruht und der Rücken des Thieres
eine glatte Fläche für einen Griff bildet. Auf einem dritten kleinen Kunst¬
werke, Fig. 117, steht ein Mann zwischen zwei Pferdeköpfen, und dicht da¬
neben befindet sich ein aalartiger Fisch, während die andere Seite des Cylin¬
ders mit zwei Wisentköpfen geschmückt ist, die jeder sofort als solche erkennen
wird, der einmal einen Bison gesehen hat. Ein viertes zeigt einen Steinbock
M seinen charakteristisch gebogenen Hörner, ein sechstes Pferde. Auf Fig. 119
unseres Buches sehen wir auf ein Stück Schiefer eine Gruppe Rennthiere,
öwei gehend und zwei liegend, eingekritzelt. Alle diese Gegenstände sind mit
überraschendem Geschick ausgeführt. Das Beste darunter ist die Abbildung
eines Mammuths auf einem Stück von seinem eignen Stoßzahn. Die eigen¬
thümliche Krümmung seiner beiden Zähne und die lange Mähne, Merkmale,
die der jetzt lebende Elephant nicht aufweist, zeigen, daß das Auge des Künst¬
lers mit derartigen Thieren vertraut gewesen ist. Auffallend ist, daß bei
diesen Thierfiguren fast niemals der unterste Theil der Füße dargestellt ist,
^n Umstand, der vielleicht darin seine Erklärung findet, daß der zeichnende
^ager nur das gab, was er sah, und daß die Füße im Grase versteckt waren.

Lassen sich nun, so fragt das Dawkins'sche Buch. diese Höhlenbewohner
nur irgend einem jetzt auf der Erde lebenden Volke identificiren? oder sind
^ gegenwärtig ebenso ohne Vertreter wie ihre ausgestorbenen Zeitgenossen,
das Mammuth und das wollhaarige Nashorn? Die Antwort lautet: Längs
amerikanischen Küste des nördlichen Eismeeres wohnen die Eskimo; von
^r Behringsstraße im Westen bis nach Grönland im Osten sprechen sie die¬
selbe Sprache, leben sie in derselben Weise als Jäger von Rennthieren und
Seehunden, gebrauchen sie, soweit die Europäer ihnen nicht ihre Werkzeuge
und Waffen liefern, dieselben Geräthschaften, und diese letzteren zeigen die
größte Aehnlichkett mit denen, welche man in den Höhlen der präglaeialen
^eit gefunden hat. Die Harpunen in der aus dem Eskimolande stammenden
Ashrno leschen Sammlung und im British Museum sind in Gestalt und Ein-
^chtung fast identisch mit denen aus den Höhlen Kerls und Aquitaniens.
Die Speerspitzen zum Vogel- und Fischfang, die Wurfspieße und Pfeile, sowie
^le Form ihrer Basis zur Einfügung in den Schaft sind, wie man aus den
' Illustrationen unsrer Schrift ersieht, gleichfalls bet den Urmenschen und den
jetzigen Polarmenschen dieselben. Das Instrument aus Stein, womit die
Eskimo ihre Pfeile gerade machen, hat die Gestalt eines steinernen Werkzeugs


Kehrichthaufen jener Höhlen zurückgelassen hat, sind jene Bildwerke auf Renn¬
thiergeweihen. Schieferplatten und Elfenbetnstücken, die uns die Dawkins'sche
Schrift im Holzschnitt zeigt. Auf einem Stück Elephantenzahn erblicken wir
deutlich die Umrisse eines Ochsen. Ein zweites liefert uns eine recht zierliche
Darstellung: ein Rennthier kniet in gefälliger Haltung mit emporgerichtetem
Kopfe, sodaß das Geweih auf den Schultern ruht und der Rücken des Thieres
eine glatte Fläche für einen Griff bildet. Auf einem dritten kleinen Kunst¬
werke, Fig. 117, steht ein Mann zwischen zwei Pferdeköpfen, und dicht da¬
neben befindet sich ein aalartiger Fisch, während die andere Seite des Cylin¬
ders mit zwei Wisentköpfen geschmückt ist, die jeder sofort als solche erkennen
wird, der einmal einen Bison gesehen hat. Ein viertes zeigt einen Steinbock
M seinen charakteristisch gebogenen Hörner, ein sechstes Pferde. Auf Fig. 119
unseres Buches sehen wir auf ein Stück Schiefer eine Gruppe Rennthiere,
öwei gehend und zwei liegend, eingekritzelt. Alle diese Gegenstände sind mit
überraschendem Geschick ausgeführt. Das Beste darunter ist die Abbildung
eines Mammuths auf einem Stück von seinem eignen Stoßzahn. Die eigen¬
thümliche Krümmung seiner beiden Zähne und die lange Mähne, Merkmale,
die der jetzt lebende Elephant nicht aufweist, zeigen, daß das Auge des Künst¬
lers mit derartigen Thieren vertraut gewesen ist. Auffallend ist, daß bei
diesen Thierfiguren fast niemals der unterste Theil der Füße dargestellt ist,
^n Umstand, der vielleicht darin seine Erklärung findet, daß der zeichnende
^ager nur das gab, was er sah, und daß die Füße im Grase versteckt waren.

Lassen sich nun, so fragt das Dawkins'sche Buch. diese Höhlenbewohner
nur irgend einem jetzt auf der Erde lebenden Volke identificiren? oder sind
^ gegenwärtig ebenso ohne Vertreter wie ihre ausgestorbenen Zeitgenossen,
das Mammuth und das wollhaarige Nashorn? Die Antwort lautet: Längs
amerikanischen Küste des nördlichen Eismeeres wohnen die Eskimo; von
^r Behringsstraße im Westen bis nach Grönland im Osten sprechen sie die¬
selbe Sprache, leben sie in derselben Weise als Jäger von Rennthieren und
Seehunden, gebrauchen sie, soweit die Europäer ihnen nicht ihre Werkzeuge
und Waffen liefern, dieselben Geräthschaften, und diese letzteren zeigen die
größte Aehnlichkett mit denen, welche man in den Höhlen der präglaeialen
^eit gefunden hat. Die Harpunen in der aus dem Eskimolande stammenden
Ashrno leschen Sammlung und im British Museum sind in Gestalt und Ein-
^chtung fast identisch mit denen aus den Höhlen Kerls und Aquitaniens.
Die Speerspitzen zum Vogel- und Fischfang, die Wurfspieße und Pfeile, sowie
^le Form ihrer Basis zur Einfügung in den Schaft sind, wie man aus den
' Illustrationen unsrer Schrift ersieht, gleichfalls bet den Urmenschen und den
jetzigen Polarmenschen dieselben. Das Instrument aus Stein, womit die
Eskimo ihre Pfeile gerade machen, hat die Gestalt eines steinernen Werkzeugs


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[0167] Kehrichthaufen jener Höhlen zurückgelassen hat, sind jene Bildwerke auf Renn¬ thiergeweihen. Schieferplatten und Elfenbetnstücken, die uns die Dawkins'sche Schrift im Holzschnitt zeigt. Auf einem Stück Elephantenzahn erblicken wir deutlich die Umrisse eines Ochsen. Ein zweites liefert uns eine recht zierliche Darstellung: ein Rennthier kniet in gefälliger Haltung mit emporgerichtetem Kopfe, sodaß das Geweih auf den Schultern ruht und der Rücken des Thieres eine glatte Fläche für einen Griff bildet. Auf einem dritten kleinen Kunst¬ werke, Fig. 117, steht ein Mann zwischen zwei Pferdeköpfen, und dicht da¬ neben befindet sich ein aalartiger Fisch, während die andere Seite des Cylin¬ ders mit zwei Wisentköpfen geschmückt ist, die jeder sofort als solche erkennen wird, der einmal einen Bison gesehen hat. Ein viertes zeigt einen Steinbock M seinen charakteristisch gebogenen Hörner, ein sechstes Pferde. Auf Fig. 119 unseres Buches sehen wir auf ein Stück Schiefer eine Gruppe Rennthiere, öwei gehend und zwei liegend, eingekritzelt. Alle diese Gegenstände sind mit überraschendem Geschick ausgeführt. Das Beste darunter ist die Abbildung eines Mammuths auf einem Stück von seinem eignen Stoßzahn. Die eigen¬ thümliche Krümmung seiner beiden Zähne und die lange Mähne, Merkmale, die der jetzt lebende Elephant nicht aufweist, zeigen, daß das Auge des Künst¬ lers mit derartigen Thieren vertraut gewesen ist. Auffallend ist, daß bei diesen Thierfiguren fast niemals der unterste Theil der Füße dargestellt ist, ^n Umstand, der vielleicht darin seine Erklärung findet, daß der zeichnende ^ager nur das gab, was er sah, und daß die Füße im Grase versteckt waren. Lassen sich nun, so fragt das Dawkins'sche Buch. diese Höhlenbewohner nur irgend einem jetzt auf der Erde lebenden Volke identificiren? oder sind ^ gegenwärtig ebenso ohne Vertreter wie ihre ausgestorbenen Zeitgenossen, das Mammuth und das wollhaarige Nashorn? Die Antwort lautet: Längs amerikanischen Küste des nördlichen Eismeeres wohnen die Eskimo; von ^r Behringsstraße im Westen bis nach Grönland im Osten sprechen sie die¬ selbe Sprache, leben sie in derselben Weise als Jäger von Rennthieren und Seehunden, gebrauchen sie, soweit die Europäer ihnen nicht ihre Werkzeuge und Waffen liefern, dieselben Geräthschaften, und diese letzteren zeigen die größte Aehnlichkett mit denen, welche man in den Höhlen der präglaeialen ^eit gefunden hat. Die Harpunen in der aus dem Eskimolande stammenden Ashrno leschen Sammlung und im British Museum sind in Gestalt und Ein- ^chtung fast identisch mit denen aus den Höhlen Kerls und Aquitaniens. Die Speerspitzen zum Vogel- und Fischfang, die Wurfspieße und Pfeile, sowie ^le Form ihrer Basis zur Einfügung in den Schaft sind, wie man aus den ' Illustrationen unsrer Schrift ersieht, gleichfalls bet den Urmenschen und den jetzigen Polarmenschen dieselben. Das Instrument aus Stein, womit die Eskimo ihre Pfeile gerade machen, hat die Gestalt eines steinernen Werkzeugs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/167>, abgerufen am 27.11.2024.