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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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zur Wahrscheinlichkeit, und ist ferner anzunehmen, daß die Eskimo sich in
den Grundzügen ihres Wesens seit ihrer Auswanderung nach den Polar¬
gegenden nicht erheblich verändert haben, so haben wir in der That in den
uns von v. Rink gebotenen Sagen vielleicht ein Material vor uns, welches
Rückschlüsse auf die geistigen Zustände jener ihrer Vorfahren im westlichen
Europa gestattet. Natürlich wäre dabei Vorsicht geboten, da es sich um Zeit"
räume handelt, die kaum zu bestimmen sind, und da die Veränderung des
Wohnorts ohne Zweifel einen gewissen Einfluß nicht blos auf Aeußerlichkeiten
geübt haben wird.

Als erwiesen hat nach der Dawkins'schen Schrift zu gelten, daß schon
in der sogenannten pleistoeänen Zeit, somit vor der theilweisen Vereisung
und späteren Ueverschwemmung eines Theiles von Europa, in den Thälern
der Dordogne und Vezere, in Devonshire und Sommersetshire und in
Schwaben (bei Schussenried) Menschen gelebt haben, in einer Periode also,
wo die Braunkohlenlager noch als hochstämmige grüne Wälder blühten und
Früchte trugen, wo in der Mitte unsres Welttheils neben Rennthier- und
Moschusochsen-Heerden noch Löwen, Hyänen, Flußpferde und Elephanten
hausten, und das Festland im Nordwesten mit England und Irland zusam¬
menhing und im Süden sich durch Stcilien und Malta an Afrika anschloß-

Auch über gewisse Seiten der Lebensweise und Culturstufe dieser Vor¬
menschen giebt die Wissenschaft mit Sicherheit Aufschluß. Sie kannten das
Feuer, und sie kochten; denn man hat in den betreffenden Höhlen Holzkohlen
und steinerne Kochtöpfe gefunden. Sie machten sich Waffen und Werkzeuge
aus Stein oder Knochen ; denn der Boden jener Höhlen ist mit rohen Messern,
Lanzenspitzen, Hämmern und Sägen aus Feuer- oder Hornstein bedeckt, und
daneben liegen zugespitzte Knochen- und Geweihstücke, die zu Pfeilen und
Harpunen verwendet worden sein müssen. Sie verstanden zu nähen; denn
von ihrem Haushalt sind zahlreiche Nadeln und Pfrieme erhalten. Sie zeich'
reden und Schnitzler Bilder von ihrer Umgebung auf Rennthiergeweihe und
Schieferplatten. Dagegen finden sich keine Spuren, daß sie die Herstellung
von Thongefäßen oder das Spinnen und Weben verstanden oder Thiere zu
zähmen oder den Acker zu bauen verstanden hätten. Sie waren in der Haupt'
sache ein Jägervolk, und aus den des Markes wegen von ihnen zerspaltenen
Knochen geht hervor, daß ihnen vorzüglich das Rennthier, dann das Pferd
und das Wisent ihre Nahrung lieferten. Sie hatten Werkzeuge zur Bear¬
beitung von Fellen und mit jenen sorgfältig geglätteten Nadeln aus Knochen,
die mit einem sauber ausgebohrten Oehr versehen waren, machten sie sich
vermuthlich aus den Häuten erlegter Rennthiere Kleider, wobei ihnen dünne
Sehnen, wie noch heute den Eskimo, als Zwirn dienten.

Die merkwürdigsten Reste, die der Mensch der präglacialen Zeit in den


zur Wahrscheinlichkeit, und ist ferner anzunehmen, daß die Eskimo sich in
den Grundzügen ihres Wesens seit ihrer Auswanderung nach den Polar¬
gegenden nicht erheblich verändert haben, so haben wir in der That in den
uns von v. Rink gebotenen Sagen vielleicht ein Material vor uns, welches
Rückschlüsse auf die geistigen Zustände jener ihrer Vorfahren im westlichen
Europa gestattet. Natürlich wäre dabei Vorsicht geboten, da es sich um Zeit»
räume handelt, die kaum zu bestimmen sind, und da die Veränderung des
Wohnorts ohne Zweifel einen gewissen Einfluß nicht blos auf Aeußerlichkeiten
geübt haben wird.

Als erwiesen hat nach der Dawkins'schen Schrift zu gelten, daß schon
in der sogenannten pleistoeänen Zeit, somit vor der theilweisen Vereisung
und späteren Ueverschwemmung eines Theiles von Europa, in den Thälern
der Dordogne und Vezere, in Devonshire und Sommersetshire und in
Schwaben (bei Schussenried) Menschen gelebt haben, in einer Periode also,
wo die Braunkohlenlager noch als hochstämmige grüne Wälder blühten und
Früchte trugen, wo in der Mitte unsres Welttheils neben Rennthier- und
Moschusochsen-Heerden noch Löwen, Hyänen, Flußpferde und Elephanten
hausten, und das Festland im Nordwesten mit England und Irland zusam¬
menhing und im Süden sich durch Stcilien und Malta an Afrika anschloß-

Auch über gewisse Seiten der Lebensweise und Culturstufe dieser Vor¬
menschen giebt die Wissenschaft mit Sicherheit Aufschluß. Sie kannten das
Feuer, und sie kochten; denn man hat in den betreffenden Höhlen Holzkohlen
und steinerne Kochtöpfe gefunden. Sie machten sich Waffen und Werkzeuge
aus Stein oder Knochen ; denn der Boden jener Höhlen ist mit rohen Messern,
Lanzenspitzen, Hämmern und Sägen aus Feuer- oder Hornstein bedeckt, und
daneben liegen zugespitzte Knochen- und Geweihstücke, die zu Pfeilen und
Harpunen verwendet worden sein müssen. Sie verstanden zu nähen; denn
von ihrem Haushalt sind zahlreiche Nadeln und Pfrieme erhalten. Sie zeich'
reden und Schnitzler Bilder von ihrer Umgebung auf Rennthiergeweihe und
Schieferplatten. Dagegen finden sich keine Spuren, daß sie die Herstellung
von Thongefäßen oder das Spinnen und Weben verstanden oder Thiere zu
zähmen oder den Acker zu bauen verstanden hätten. Sie waren in der Haupt'
sache ein Jägervolk, und aus den des Markes wegen von ihnen zerspaltenen
Knochen geht hervor, daß ihnen vorzüglich das Rennthier, dann das Pferd
und das Wisent ihre Nahrung lieferten. Sie hatten Werkzeuge zur Bear¬
beitung von Fellen und mit jenen sorgfältig geglätteten Nadeln aus Knochen,
die mit einem sauber ausgebohrten Oehr versehen waren, machten sie sich
vermuthlich aus den Häuten erlegter Rennthiere Kleider, wobei ihnen dünne
Sehnen, wie noch heute den Eskimo, als Zwirn dienten.

Die merkwürdigsten Reste, die der Mensch der präglacialen Zeit in den


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[0166] zur Wahrscheinlichkeit, und ist ferner anzunehmen, daß die Eskimo sich in den Grundzügen ihres Wesens seit ihrer Auswanderung nach den Polar¬ gegenden nicht erheblich verändert haben, so haben wir in der That in den uns von v. Rink gebotenen Sagen vielleicht ein Material vor uns, welches Rückschlüsse auf die geistigen Zustände jener ihrer Vorfahren im westlichen Europa gestattet. Natürlich wäre dabei Vorsicht geboten, da es sich um Zeit» räume handelt, die kaum zu bestimmen sind, und da die Veränderung des Wohnorts ohne Zweifel einen gewissen Einfluß nicht blos auf Aeußerlichkeiten geübt haben wird. Als erwiesen hat nach der Dawkins'schen Schrift zu gelten, daß schon in der sogenannten pleistoeänen Zeit, somit vor der theilweisen Vereisung und späteren Ueverschwemmung eines Theiles von Europa, in den Thälern der Dordogne und Vezere, in Devonshire und Sommersetshire und in Schwaben (bei Schussenried) Menschen gelebt haben, in einer Periode also, wo die Braunkohlenlager noch als hochstämmige grüne Wälder blühten und Früchte trugen, wo in der Mitte unsres Welttheils neben Rennthier- und Moschusochsen-Heerden noch Löwen, Hyänen, Flußpferde und Elephanten hausten, und das Festland im Nordwesten mit England und Irland zusam¬ menhing und im Süden sich durch Stcilien und Malta an Afrika anschloß- Auch über gewisse Seiten der Lebensweise und Culturstufe dieser Vor¬ menschen giebt die Wissenschaft mit Sicherheit Aufschluß. Sie kannten das Feuer, und sie kochten; denn man hat in den betreffenden Höhlen Holzkohlen und steinerne Kochtöpfe gefunden. Sie machten sich Waffen und Werkzeuge aus Stein oder Knochen ; denn der Boden jener Höhlen ist mit rohen Messern, Lanzenspitzen, Hämmern und Sägen aus Feuer- oder Hornstein bedeckt, und daneben liegen zugespitzte Knochen- und Geweihstücke, die zu Pfeilen und Harpunen verwendet worden sein müssen. Sie verstanden zu nähen; denn von ihrem Haushalt sind zahlreiche Nadeln und Pfrieme erhalten. Sie zeich' reden und Schnitzler Bilder von ihrer Umgebung auf Rennthiergeweihe und Schieferplatten. Dagegen finden sich keine Spuren, daß sie die Herstellung von Thongefäßen oder das Spinnen und Weben verstanden oder Thiere zu zähmen oder den Acker zu bauen verstanden hätten. Sie waren in der Haupt' sache ein Jägervolk, und aus den des Markes wegen von ihnen zerspaltenen Knochen geht hervor, daß ihnen vorzüglich das Rennthier, dann das Pferd und das Wisent ihre Nahrung lieferten. Sie hatten Werkzeuge zur Bear¬ beitung von Fellen und mit jenen sorgfältig geglätteten Nadeln aus Knochen, die mit einem sauber ausgebohrten Oehr versehen waren, machten sie sich vermuthlich aus den Häuten erlegter Rennthiere Kleider, wobei ihnen dünne Sehnen, wie noch heute den Eskimo, als Zwirn dienten. Die merkwürdigsten Reste, die der Mensch der präglacialen Zeit in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/166>, abgerufen am 27.11.2024.