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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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genug anderweitigen Ersatz bietet. Doch kann man eigentlich nur bei Stra߬
burg annähernd von einer Großstadt sprechen und dies auch nur eum Al-ano
saUs. In den andern Städten des Elsasses ist eben noch so ziemlich Alles
beim Alten geblieben, d. h. wenngleich keine schroffe Entfremdung zwischen
den beiden Elementen besteht, so doch auch keine merkliche Annäherung und
Freundschaft. Ganz zu Anfang nach der Annexion schien man sich auf
beiden Seiten etwas näher treten zu wollen. Man entdeckte aber nur zu
bald, namentlich in den höhern Gesellschastsschtchten, gegenseitig zu viele
Sonderetgenthümlichkeiten und dem Unterschiede der deutschen und französischen
gesellschaftlichen Erziehung entsprechende Charakteranlagen, als daß von einem
dauernden intimen Verkehr hätte die Rede sein können. Individuell mag
dies hier und da anders sein; aber durchschnittlich hört man Diejenigen, die
sich in dieser Beziehung zu enge aneinander gekettet haben, nicht viel von
Glück sagen.

Man ging also wieder auseinander und beschränkt sich seither auf den
Austausch rein äußerlicher Höflichkeitsformen. Beamtenthum und Bürger¬
schaft halten sich womöglich in getrennten Lagern, Zirkeln, Vereinen und
leben so zu sagen in einer permanenten Trennung. Ich halte das für die
gesellschaftliche Bildung beider Theile nicht für sehr vortheilhaft. Dies mag
auch zum Theil der Grund zu jener prägnant bureaukratischen Physiognomie
des reichsländischen Beamtenthums sein, der dem Fremden, der einmal die
kleinern und mittlern Städte des Reichslandes mit seinem Besuche beehrt,
auf den ersten Blick auffällt. Dazu kommt, -- und das ist ein Punkt, den
ich nur ungern berühre, der aber zur Ergänzung des hier versuchten gesell¬
schaftlichen Genrebildes des Elsasses nothwendig gehört und vielleicht viel
Widerwärtiges erklären dürfte -- daß in den reinen Beamtenzirkeln, auf
welche sich der hier lebende Deutsche gesellschaftlich fast einzig und allein an¬
gewiesen sieht, das ganze gesellige Leben durchschnittlich gar zu leicht denselben
bureaukratischen Anstrich annimmt, wie der amtliche Verkehr mit seiner immer¬
hin nothwendigen hierarchischen Ueber- und Unterordnung. Das ist jener
eisige Hauch der Bureaukratie, der die Blumen und Blüthen einer echten, auf
den Prinzipien gleicher Bildung und Gesittung beruhenden Geselligkeit und
Gemüthlichkeit gar zu gerne streift und ihres köstlichen, naturwüchsigen Duftes
und Farbenschmelzes beraubt. Das Leben des Beamten ist ja ohnehin, ohne
seine Ergänzung durch das bürgerliche Element, ziemlich eintönig und wenig
farbenreich. Warum also das Wenige, was dieses Leben bietet, noch oben¬
drein mit dem sauren Essig der Unbehaglichkeit und unmotivirter Erbitterung
vergällen? Kurz -- im Großen und Ganzen ist es für den Deutschen immer
noch ein wenigstens gesellschaftliches Opfer, wenn er die heimathlichen Penaten
verläßt und sich im Elsaß zu acclimatisiren sucht.


genug anderweitigen Ersatz bietet. Doch kann man eigentlich nur bei Stra߬
burg annähernd von einer Großstadt sprechen und dies auch nur eum Al-ano
saUs. In den andern Städten des Elsasses ist eben noch so ziemlich Alles
beim Alten geblieben, d. h. wenngleich keine schroffe Entfremdung zwischen
den beiden Elementen besteht, so doch auch keine merkliche Annäherung und
Freundschaft. Ganz zu Anfang nach der Annexion schien man sich auf
beiden Seiten etwas näher treten zu wollen. Man entdeckte aber nur zu
bald, namentlich in den höhern Gesellschastsschtchten, gegenseitig zu viele
Sonderetgenthümlichkeiten und dem Unterschiede der deutschen und französischen
gesellschaftlichen Erziehung entsprechende Charakteranlagen, als daß von einem
dauernden intimen Verkehr hätte die Rede sein können. Individuell mag
dies hier und da anders sein; aber durchschnittlich hört man Diejenigen, die
sich in dieser Beziehung zu enge aneinander gekettet haben, nicht viel von
Glück sagen.

Man ging also wieder auseinander und beschränkt sich seither auf den
Austausch rein äußerlicher Höflichkeitsformen. Beamtenthum und Bürger¬
schaft halten sich womöglich in getrennten Lagern, Zirkeln, Vereinen und
leben so zu sagen in einer permanenten Trennung. Ich halte das für die
gesellschaftliche Bildung beider Theile nicht für sehr vortheilhaft. Dies mag
auch zum Theil der Grund zu jener prägnant bureaukratischen Physiognomie
des reichsländischen Beamtenthums sein, der dem Fremden, der einmal die
kleinern und mittlern Städte des Reichslandes mit seinem Besuche beehrt,
auf den ersten Blick auffällt. Dazu kommt, — und das ist ein Punkt, den
ich nur ungern berühre, der aber zur Ergänzung des hier versuchten gesell¬
schaftlichen Genrebildes des Elsasses nothwendig gehört und vielleicht viel
Widerwärtiges erklären dürfte — daß in den reinen Beamtenzirkeln, auf
welche sich der hier lebende Deutsche gesellschaftlich fast einzig und allein an¬
gewiesen sieht, das ganze gesellige Leben durchschnittlich gar zu leicht denselben
bureaukratischen Anstrich annimmt, wie der amtliche Verkehr mit seiner immer¬
hin nothwendigen hierarchischen Ueber- und Unterordnung. Das ist jener
eisige Hauch der Bureaukratie, der die Blumen und Blüthen einer echten, auf
den Prinzipien gleicher Bildung und Gesittung beruhenden Geselligkeit und
Gemüthlichkeit gar zu gerne streift und ihres köstlichen, naturwüchsigen Duftes
und Farbenschmelzes beraubt. Das Leben des Beamten ist ja ohnehin, ohne
seine Ergänzung durch das bürgerliche Element, ziemlich eintönig und wenig
farbenreich. Warum also das Wenige, was dieses Leben bietet, noch oben¬
drein mit dem sauren Essig der Unbehaglichkeit und unmotivirter Erbitterung
vergällen? Kurz — im Großen und Ganzen ist es für den Deutschen immer
noch ein wenigstens gesellschaftliches Opfer, wenn er die heimathlichen Penaten
verläßt und sich im Elsaß zu acclimatisiren sucht.


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[0153] genug anderweitigen Ersatz bietet. Doch kann man eigentlich nur bei Stra߬ burg annähernd von einer Großstadt sprechen und dies auch nur eum Al-ano saUs. In den andern Städten des Elsasses ist eben noch so ziemlich Alles beim Alten geblieben, d. h. wenngleich keine schroffe Entfremdung zwischen den beiden Elementen besteht, so doch auch keine merkliche Annäherung und Freundschaft. Ganz zu Anfang nach der Annexion schien man sich auf beiden Seiten etwas näher treten zu wollen. Man entdeckte aber nur zu bald, namentlich in den höhern Gesellschastsschtchten, gegenseitig zu viele Sonderetgenthümlichkeiten und dem Unterschiede der deutschen und französischen gesellschaftlichen Erziehung entsprechende Charakteranlagen, als daß von einem dauernden intimen Verkehr hätte die Rede sein können. Individuell mag dies hier und da anders sein; aber durchschnittlich hört man Diejenigen, die sich in dieser Beziehung zu enge aneinander gekettet haben, nicht viel von Glück sagen. Man ging also wieder auseinander und beschränkt sich seither auf den Austausch rein äußerlicher Höflichkeitsformen. Beamtenthum und Bürger¬ schaft halten sich womöglich in getrennten Lagern, Zirkeln, Vereinen und leben so zu sagen in einer permanenten Trennung. Ich halte das für die gesellschaftliche Bildung beider Theile nicht für sehr vortheilhaft. Dies mag auch zum Theil der Grund zu jener prägnant bureaukratischen Physiognomie des reichsländischen Beamtenthums sein, der dem Fremden, der einmal die kleinern und mittlern Städte des Reichslandes mit seinem Besuche beehrt, auf den ersten Blick auffällt. Dazu kommt, — und das ist ein Punkt, den ich nur ungern berühre, der aber zur Ergänzung des hier versuchten gesell¬ schaftlichen Genrebildes des Elsasses nothwendig gehört und vielleicht viel Widerwärtiges erklären dürfte — daß in den reinen Beamtenzirkeln, auf welche sich der hier lebende Deutsche gesellschaftlich fast einzig und allein an¬ gewiesen sieht, das ganze gesellige Leben durchschnittlich gar zu leicht denselben bureaukratischen Anstrich annimmt, wie der amtliche Verkehr mit seiner immer¬ hin nothwendigen hierarchischen Ueber- und Unterordnung. Das ist jener eisige Hauch der Bureaukratie, der die Blumen und Blüthen einer echten, auf den Prinzipien gleicher Bildung und Gesittung beruhenden Geselligkeit und Gemüthlichkeit gar zu gerne streift und ihres köstlichen, naturwüchsigen Duftes und Farbenschmelzes beraubt. Das Leben des Beamten ist ja ohnehin, ohne seine Ergänzung durch das bürgerliche Element, ziemlich eintönig und wenig farbenreich. Warum also das Wenige, was dieses Leben bietet, noch oben¬ drein mit dem sauren Essig der Unbehaglichkeit und unmotivirter Erbitterung vergällen? Kurz — im Großen und Ganzen ist es für den Deutschen immer noch ein wenigstens gesellschaftliches Opfer, wenn er die heimathlichen Penaten verläßt und sich im Elsaß zu acclimatisiren sucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/153>, abgerufen am 27.11.2024.