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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Der Aufstieg zu ihm war außerordentlich ermüdend, und als wir den Gipfel
erreichten, war unser erster Gedanke, den Inhalt unsrer Körbe auszubreiten;
denn wir waren alle sehr hungrig. Gnu Tann hatte an Alles gedacht, selbst
an eine Alkohollampe, um das Wasser zu einer Tasse Thee ins Kochen zu
bringen, die oben auf diesem Berge, wo die Luft so dünn ist, über die Maßen
willkommen war.

Wir verweilten hier fast vier Stunden und würden noch länger geblieben
sein, wenn Gnu Tann eingewilligt hätte. Aber er wollte nur bei Tage auf
der Straße sein; denn, wie er sagte: ,,ol jornu nun ounuseemu, ma la
molli ö 6i 1i oueoni." (Am Tage kennen wir uns, aber die Nacht
gehört den Eulen.) Eins von Euren komischen sicilischen Sprichwörtern,
nicht wahr?

Wir haben bis jetzt einen höchst angenehmen und erfolgreichen Ausflug
gehabt. Jedermann ist freundlich gegen uns gewesen, und selbst die gewöhnlich
so zudringlichen Bettler ließen uns in Ruhe; sie schienen auf unsern Fuhrmann
und seinen Freund mit scheuer Furcht zu blicken."

Am nächsten Abend erwartete ich ängstlich die Rückkehr der Reisegesellschaft;
da ich von verschiedenen Anfällen aus die Postkutschen und mehrern Versuchen,
Leute zu berauben gehört hatte, welche gerade auf den Straßen vorgekommen
waren, über die meine Frau mit ihren Freundinnen auf ihrem Wege zum
Tempel von Segeste hatten fahren müssen. Wir erwarteten ihre Ankunft
um sechs, spätestens um sieben Uhr, aber es wurde neun, und noch immer
waren sie nicht erschienen. Nach einigen Minuten indeß hörten wir das
Klingeln der Schellen, und gleich nachher fuhr Gnu Tann, tapfer mit seiner
Peitsche knallend, in den Hof der Villa herein. Die Damen kamen allesammt
so fröhlich und glücklich als möglich in unsre Wohnung und verbreiteten sich
ausführlich über die wohlgelungene Excursion und das viele Vergnügen, das
sie gehabt hatten. Auch Gnu Tann kam herein und sagte mit der Miene
eines getreuen Dieners. der stolz ist, seine Pflicht erfüllt zu haben: "Lignu-
rinn, el 1i eunsignu sani " Sö-loi." (Mein Herr, hier gebe ich sie Ihnen ge¬
sund und wohlbehalten zurück.) Ich sah ihn wohl zehn Tage nicht wieder,
und als er kam und mir die Rechnung brachte, fand ich sie ganz in der
Ordnung und mäßiger als das, was die Hotels für einen solchen Ausflug
gefordert haben würden.

Und jetzt, wie konnte er unbehelligt über dieselben Straßen fahren, die
zu dieser Zeit von Räubern unsicher gemacht wurden, und in denselben Tagen,
wo auf der ganzen Strecke dieser Straßen Räubereien verübt wurden? Der
Leser muß das ohne Zweifel verstanden haben. Gnu Tann hatte Pa߬
worte und Zeichen, und Niemand würde ihn anzurühren gewagt haben,
da alle jene Wegelagerer, wie er er selbst, zur Mafia gehörten.


Der Aufstieg zu ihm war außerordentlich ermüdend, und als wir den Gipfel
erreichten, war unser erster Gedanke, den Inhalt unsrer Körbe auszubreiten;
denn wir waren alle sehr hungrig. Gnu Tann hatte an Alles gedacht, selbst
an eine Alkohollampe, um das Wasser zu einer Tasse Thee ins Kochen zu
bringen, die oben auf diesem Berge, wo die Luft so dünn ist, über die Maßen
willkommen war.

Wir verweilten hier fast vier Stunden und würden noch länger geblieben
sein, wenn Gnu Tann eingewilligt hätte. Aber er wollte nur bei Tage auf
der Straße sein; denn, wie er sagte: ,,ol jornu nun ounuseemu, ma la
molli ö 6i 1i oueoni." (Am Tage kennen wir uns, aber die Nacht
gehört den Eulen.) Eins von Euren komischen sicilischen Sprichwörtern,
nicht wahr?

Wir haben bis jetzt einen höchst angenehmen und erfolgreichen Ausflug
gehabt. Jedermann ist freundlich gegen uns gewesen, und selbst die gewöhnlich
so zudringlichen Bettler ließen uns in Ruhe; sie schienen auf unsern Fuhrmann
und seinen Freund mit scheuer Furcht zu blicken."

Am nächsten Abend erwartete ich ängstlich die Rückkehr der Reisegesellschaft;
da ich von verschiedenen Anfällen aus die Postkutschen und mehrern Versuchen,
Leute zu berauben gehört hatte, welche gerade auf den Straßen vorgekommen
waren, über die meine Frau mit ihren Freundinnen auf ihrem Wege zum
Tempel von Segeste hatten fahren müssen. Wir erwarteten ihre Ankunft
um sechs, spätestens um sieben Uhr, aber es wurde neun, und noch immer
waren sie nicht erschienen. Nach einigen Minuten indeß hörten wir das
Klingeln der Schellen, und gleich nachher fuhr Gnu Tann, tapfer mit seiner
Peitsche knallend, in den Hof der Villa herein. Die Damen kamen allesammt
so fröhlich und glücklich als möglich in unsre Wohnung und verbreiteten sich
ausführlich über die wohlgelungene Excursion und das viele Vergnügen, das
sie gehabt hatten. Auch Gnu Tann kam herein und sagte mit der Miene
eines getreuen Dieners. der stolz ist, seine Pflicht erfüllt zu haben: „Lignu-
rinn, el 1i eunsignu sani « Sö-loi." (Mein Herr, hier gebe ich sie Ihnen ge¬
sund und wohlbehalten zurück.) Ich sah ihn wohl zehn Tage nicht wieder,
und als er kam und mir die Rechnung brachte, fand ich sie ganz in der
Ordnung und mäßiger als das, was die Hotels für einen solchen Ausflug
gefordert haben würden.

Und jetzt, wie konnte er unbehelligt über dieselben Straßen fahren, die
zu dieser Zeit von Räubern unsicher gemacht wurden, und in denselben Tagen,
wo auf der ganzen Strecke dieser Straßen Räubereien verübt wurden? Der
Leser muß das ohne Zweifel verstanden haben. Gnu Tann hatte Pa߬
worte und Zeichen, und Niemand würde ihn anzurühren gewagt haben,
da alle jene Wegelagerer, wie er er selbst, zur Mafia gehörten.


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[0148] Der Aufstieg zu ihm war außerordentlich ermüdend, und als wir den Gipfel erreichten, war unser erster Gedanke, den Inhalt unsrer Körbe auszubreiten; denn wir waren alle sehr hungrig. Gnu Tann hatte an Alles gedacht, selbst an eine Alkohollampe, um das Wasser zu einer Tasse Thee ins Kochen zu bringen, die oben auf diesem Berge, wo die Luft so dünn ist, über die Maßen willkommen war. Wir verweilten hier fast vier Stunden und würden noch länger geblieben sein, wenn Gnu Tann eingewilligt hätte. Aber er wollte nur bei Tage auf der Straße sein; denn, wie er sagte: ,,ol jornu nun ounuseemu, ma la molli ö 6i 1i oueoni." (Am Tage kennen wir uns, aber die Nacht gehört den Eulen.) Eins von Euren komischen sicilischen Sprichwörtern, nicht wahr? Wir haben bis jetzt einen höchst angenehmen und erfolgreichen Ausflug gehabt. Jedermann ist freundlich gegen uns gewesen, und selbst die gewöhnlich so zudringlichen Bettler ließen uns in Ruhe; sie schienen auf unsern Fuhrmann und seinen Freund mit scheuer Furcht zu blicken." Am nächsten Abend erwartete ich ängstlich die Rückkehr der Reisegesellschaft; da ich von verschiedenen Anfällen aus die Postkutschen und mehrern Versuchen, Leute zu berauben gehört hatte, welche gerade auf den Straßen vorgekommen waren, über die meine Frau mit ihren Freundinnen auf ihrem Wege zum Tempel von Segeste hatten fahren müssen. Wir erwarteten ihre Ankunft um sechs, spätestens um sieben Uhr, aber es wurde neun, und noch immer waren sie nicht erschienen. Nach einigen Minuten indeß hörten wir das Klingeln der Schellen, und gleich nachher fuhr Gnu Tann, tapfer mit seiner Peitsche knallend, in den Hof der Villa herein. Die Damen kamen allesammt so fröhlich und glücklich als möglich in unsre Wohnung und verbreiteten sich ausführlich über die wohlgelungene Excursion und das viele Vergnügen, das sie gehabt hatten. Auch Gnu Tann kam herein und sagte mit der Miene eines getreuen Dieners. der stolz ist, seine Pflicht erfüllt zu haben: „Lignu- rinn, el 1i eunsignu sani « Sö-loi." (Mein Herr, hier gebe ich sie Ihnen ge¬ sund und wohlbehalten zurück.) Ich sah ihn wohl zehn Tage nicht wieder, und als er kam und mir die Rechnung brachte, fand ich sie ganz in der Ordnung und mäßiger als das, was die Hotels für einen solchen Ausflug gefordert haben würden. Und jetzt, wie konnte er unbehelligt über dieselben Straßen fahren, die zu dieser Zeit von Räubern unsicher gemacht wurden, und in denselben Tagen, wo auf der ganzen Strecke dieser Straßen Räubereien verübt wurden? Der Leser muß das ohne Zweifel verstanden haben. Gnu Tann hatte Pa߬ worte und Zeichen, und Niemand würde ihn anzurühren gewagt haben, da alle jene Wegelagerer, wie er er selbst, zur Mafia gehörten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/148>, abgerufen am 27.11.2024.