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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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auf der Straße, und diese waren meistentheils Bauern oder Fuhrleute. Ge¬
legentlich konnten wir auch Tagelöhner sehen, die auf dem Felde arbeiteten.

Jedermann schien Gnu Tann zu kennen, und gewöhnlich begrüßte man
ihn mit den Worten: "galutamu 0 Onu kann, mi jg-an taeermu a. se' ura,?"
(Gott grüß dich, Kutscher Tann, was machst du in dieser Stunde?) Und er
pflegte zu antworten: "l'tilli surmu boni xr'^duscÄi-ihl in xg.ni."
(Alle Stunden sind gut zum Brotverdienen.) Er antwortete stets mit den¬
selben Worten, gleichviel wie er angeredet wurde, es war dabei immer vom
"Brotverdienen" die Rede.

Gegen ein Uhr fingen wir an, Hunger zu bekommen, und drückten unsern
Wunsch aus. an einem schattigen Plätzchen Halt zu machen und zu frühstücken.
Aber Gnu Tann sagte, daß wir ein paar Meilen weiter am ?6nao (Gute)
des Baron O. anhalten würden, dessen Ouratulc" (Oberknecht) ihm befreundet
sei und uns erwarte, und dort könnten wir nach unsrer Bequemlichkeit unter
den Wipfeln eines Orangenhains oder in der mit dem Gute verbundenen
schönen Villa frühstücken. Zu rechter Zeit wurde die Villa erreicht, und der
Curatulo, ein Mann, der ganz wie unser Zu Paulu aussah, empfing uns
mit großer Höflichkeit und führte uns in das Landhaus des Barons, wo im
Speisesaale bereits der Tisch gedeckt, aber mit nichts als grünen Mandeln,
Erdbeeren, Salat und süßem Fenchel sowie verschiedenen Sorten Wein besetzt
war. Indeß schleppte Gnu Tann einen der Körbe aus dem riesigen Strick¬
netze unter dem Wagen herbei, der allerlei gute Dinge enthielt, und wir hatten
ein entzückendes Frühstück. Als wir mit demselben fertig und bereit waren,
unsere Reise fortzusetzen, versuchten wir, dem Curatulo ein Zehnfrankenstück
in die Hand gleiten zu lassen, aber er lehnte artig ab, es anzunehmen. Gnu
Tann bemerkte es und erklärte sich sehr respectvoll, aber entschieden dagegen,
daß wir irgend jemand Geld anboten, so daß wir ihm fortan seinen Willen
ließen. --

Während wir im Speisezimmer, das auf einer Seitenesplanade der Villa
hinaussah, beim Frühstück saßen, bemerkten wir eine Anzahl Männer mit
Gewehren, von denen man uns sagte, sie seien Wächter des Gutes. Sie
waren alle in baumwollenen Sammet gekleidet und trugen rothe Mützen und
waren eine recht wild aussehende Schaar. Gnu Tann schien mit ihnen allen
ein Herz und eine Seele zu sein, und sie bekamen etwas zu essen und in
Fülle zu trinken, wozu sie sich draußen unter die Orangenbäume lagerten.

Wir erreichten Alcamo, als man das Avemaria läutete. Der Eindruck,
den der Ort auf uns machte, war der, als ob wir das wiederbevölkerte
Pompeji betreten hätten, wo seine alten Bewohner herumwimmelten oder vor
ihren Thüren säßen, um die kühle Abendluft einzuathmen. Alles sah so alt,
geschwärzt, schimmelig und von Oelrauch bedeckt aus, alles war überfüllt; die


auf der Straße, und diese waren meistentheils Bauern oder Fuhrleute. Ge¬
legentlich konnten wir auch Tagelöhner sehen, die auf dem Felde arbeiteten.

Jedermann schien Gnu Tann zu kennen, und gewöhnlich begrüßte man
ihn mit den Worten: „galutamu 0 Onu kann, mi jg-an taeermu a. se' ura,?"
(Gott grüß dich, Kutscher Tann, was machst du in dieser Stunde?) Und er
pflegte zu antworten: «l'tilli surmu boni xr'^duscÄi-ihl in xg.ni."
(Alle Stunden sind gut zum Brotverdienen.) Er antwortete stets mit den¬
selben Worten, gleichviel wie er angeredet wurde, es war dabei immer vom
„Brotverdienen" die Rede.

Gegen ein Uhr fingen wir an, Hunger zu bekommen, und drückten unsern
Wunsch aus. an einem schattigen Plätzchen Halt zu machen und zu frühstücken.
Aber Gnu Tann sagte, daß wir ein paar Meilen weiter am ?6nao (Gute)
des Baron O. anhalten würden, dessen Ouratulc» (Oberknecht) ihm befreundet
sei und uns erwarte, und dort könnten wir nach unsrer Bequemlichkeit unter
den Wipfeln eines Orangenhains oder in der mit dem Gute verbundenen
schönen Villa frühstücken. Zu rechter Zeit wurde die Villa erreicht, und der
Curatulo, ein Mann, der ganz wie unser Zu Paulu aussah, empfing uns
mit großer Höflichkeit und führte uns in das Landhaus des Barons, wo im
Speisesaale bereits der Tisch gedeckt, aber mit nichts als grünen Mandeln,
Erdbeeren, Salat und süßem Fenchel sowie verschiedenen Sorten Wein besetzt
war. Indeß schleppte Gnu Tann einen der Körbe aus dem riesigen Strick¬
netze unter dem Wagen herbei, der allerlei gute Dinge enthielt, und wir hatten
ein entzückendes Frühstück. Als wir mit demselben fertig und bereit waren,
unsere Reise fortzusetzen, versuchten wir, dem Curatulo ein Zehnfrankenstück
in die Hand gleiten zu lassen, aber er lehnte artig ab, es anzunehmen. Gnu
Tann bemerkte es und erklärte sich sehr respectvoll, aber entschieden dagegen,
daß wir irgend jemand Geld anboten, so daß wir ihm fortan seinen Willen
ließen. —

Während wir im Speisezimmer, das auf einer Seitenesplanade der Villa
hinaussah, beim Frühstück saßen, bemerkten wir eine Anzahl Männer mit
Gewehren, von denen man uns sagte, sie seien Wächter des Gutes. Sie
waren alle in baumwollenen Sammet gekleidet und trugen rothe Mützen und
waren eine recht wild aussehende Schaar. Gnu Tann schien mit ihnen allen
ein Herz und eine Seele zu sein, und sie bekamen etwas zu essen und in
Fülle zu trinken, wozu sie sich draußen unter die Orangenbäume lagerten.

Wir erreichten Alcamo, als man das Avemaria läutete. Der Eindruck,
den der Ort auf uns machte, war der, als ob wir das wiederbevölkerte
Pompeji betreten hätten, wo seine alten Bewohner herumwimmelten oder vor
ihren Thüren säßen, um die kühle Abendluft einzuathmen. Alles sah so alt,
geschwärzt, schimmelig und von Oelrauch bedeckt aus, alles war überfüllt; die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/146>, abgerufen am 27.11.2024.