Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.Sicilien verlebte, hegte den sehnlicher Wunsch, den alten Tempel von Segeste In Betreff dieser Rücksicht auf Frauen ist eine Erklärung bezüglich der Mein Patrone sagte zu mir: "Warum fragen Sie Zu Paulu nicht darum? Sicilien verlebte, hegte den sehnlicher Wunsch, den alten Tempel von Segeste In Betreff dieser Rücksicht auf Frauen ist eine Erklärung bezüglich der Mein Patrone sagte zu mir: „Warum fragen Sie Zu Paulu nicht darum? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135723"/> <p xml:id="ID_476" prev="#ID_475"> Sicilien verlebte, hegte den sehnlicher Wunsch, den alten Tempel von Segeste<lb/> zu besuchen, und meine Frau hätte sich der Gesellschaft sehr gern angeschlossen.<lb/> Der englische Consul hatte sich erboten, ihnen eine Escorte von Gendarmen<lb/> zu verschaffen; aber als sie mich um Rath fragten, ging ich zu meinem Patrone,<lb/> welcher sagte: „Nein, nein, nehmen Sie keine militärische Begleitung mit, es<lb/> müßte denn eine sehr zahlreiche Truppe sein. Denn die Pieeitti würden sich<lb/> sehr wenig daran kehren, und wenn sie die Damen auf der Straße an sich'<lb/> vorbeiziehen sähen, würden sie denken, es wären sehr reiche Leute und sich in<lb/> genügender Zahl in den Hinterhalt legen und auf der Rückreise — denn sie<lb/> müssen denselben Weg wieder zurückkommen — eine Salve in die Truppen<lb/> und Pferde hineinfeuern, und obwohl die Soldaten die Gesellschaft wahr¬<lb/> scheinlich vertheidigen und retten würden, so denken Sie doch nur einmal an<lb/> die Gefahr und den Schrecken, dem die Damen ausgesetzt sein würden. Nein,<lb/> nein. Sie thun besser, diesen Leuten zu trauen; denn, wissen Sie, die Picciotti<lb/> werden Frauen niemals — es müßte denn die stärkste Veranlassung, etwas<lb/> zu gewinnen, vorliegen — anfallen, selbst nicht, um sie zu berauben.</p><lb/> <p xml:id="ID_477"> In Betreff dieser Rücksicht auf Frauen ist eine Erklärung bezüglich der<lb/> Natur der Sicilianer im Allgemeinen und insbesondere der untern Classen<lb/> nothwendig. Reisende, welche Italien und andere Länder Europas besucht<lb/> haben, müssen, vorzüglich im Neapolitanischen und in der römischen Campagna<lb/> Frauen auf dem Felde und bei andern Arbeiten außerhalb des Hauses am<lb/> Werke gesehen haben. Die Sicilianer dagegen, und zwar selbst die niedrigste<lb/> Klasse des Landvolkes, werden ihren Frauen niemals gestatten, geschweige<lb/> denn sie zwingen, außerhalb des Hauses zu arbeiten, und obwohl sie dieselben<lb/> als untergeordnete Wesen betrachten und sie mit orientalischer Eifersucht be¬<lb/> wachen, betrachten sie es doch als unmännlich und schmachvoll, von ihnen<lb/> irgend welche andere Arbeit zu verlangen als häusliche. „(^«toso come un<lb/> Lieiliano", eifersüchtig wie ein Sicilianer, ist ein gewöhnliches Sprichwort in<lb/> Italien, der leichteste Verstoß gegen die Ehre ihrer Weiber, Töchter oder<lb/> anderer weiblichen Angehörigen ihrer Familie, sei er ein wirklicher oder ein<lb/> nur eingebildeter, wird übelgenommen und mit aller Wildheit ihrer vulkani¬<lb/> schen Natur gerächt. Die Hälfte der blutigen Verbrechen, die auf der Insel<lb/> begangen worden, ist die Folge dieser übertriebnen Vorstellung von der Ehre<lb/> ihrer Weiber. Eine gleiche Auffassung der Dinge setzen sie bei Andern voraus,<lb/> und obwohl sie einen Mann anfallen, berauben und belästigen können, würden<lb/> sie aus Furcht vor der Vendetta sich etwas der Art gegen eine Frau nie zu<lb/> Schulden kommen lassen, und ich muß annehmen, daß sie dabei auch eine<lb/> angeborne wilde Großmuth gegen das schwächere Geschlecht bewegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_478" next="#ID_479"> Mein Patrone sagte zu mir: „Warum fragen Sie Zu Paulu nicht darum?<lb/> Er ist ein großer Jäger und kennt in jener Gegend jeden Fuß Boden und alle</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0142]
Sicilien verlebte, hegte den sehnlicher Wunsch, den alten Tempel von Segeste
zu besuchen, und meine Frau hätte sich der Gesellschaft sehr gern angeschlossen.
Der englische Consul hatte sich erboten, ihnen eine Escorte von Gendarmen
zu verschaffen; aber als sie mich um Rath fragten, ging ich zu meinem Patrone,
welcher sagte: „Nein, nein, nehmen Sie keine militärische Begleitung mit, es
müßte denn eine sehr zahlreiche Truppe sein. Denn die Pieeitti würden sich
sehr wenig daran kehren, und wenn sie die Damen auf der Straße an sich'
vorbeiziehen sähen, würden sie denken, es wären sehr reiche Leute und sich in
genügender Zahl in den Hinterhalt legen und auf der Rückreise — denn sie
müssen denselben Weg wieder zurückkommen — eine Salve in die Truppen
und Pferde hineinfeuern, und obwohl die Soldaten die Gesellschaft wahr¬
scheinlich vertheidigen und retten würden, so denken Sie doch nur einmal an
die Gefahr und den Schrecken, dem die Damen ausgesetzt sein würden. Nein,
nein. Sie thun besser, diesen Leuten zu trauen; denn, wissen Sie, die Picciotti
werden Frauen niemals — es müßte denn die stärkste Veranlassung, etwas
zu gewinnen, vorliegen — anfallen, selbst nicht, um sie zu berauben.
In Betreff dieser Rücksicht auf Frauen ist eine Erklärung bezüglich der
Natur der Sicilianer im Allgemeinen und insbesondere der untern Classen
nothwendig. Reisende, welche Italien und andere Länder Europas besucht
haben, müssen, vorzüglich im Neapolitanischen und in der römischen Campagna
Frauen auf dem Felde und bei andern Arbeiten außerhalb des Hauses am
Werke gesehen haben. Die Sicilianer dagegen, und zwar selbst die niedrigste
Klasse des Landvolkes, werden ihren Frauen niemals gestatten, geschweige
denn sie zwingen, außerhalb des Hauses zu arbeiten, und obwohl sie dieselben
als untergeordnete Wesen betrachten und sie mit orientalischer Eifersucht be¬
wachen, betrachten sie es doch als unmännlich und schmachvoll, von ihnen
irgend welche andere Arbeit zu verlangen als häusliche. „(^«toso come un
Lieiliano", eifersüchtig wie ein Sicilianer, ist ein gewöhnliches Sprichwort in
Italien, der leichteste Verstoß gegen die Ehre ihrer Weiber, Töchter oder
anderer weiblichen Angehörigen ihrer Familie, sei er ein wirklicher oder ein
nur eingebildeter, wird übelgenommen und mit aller Wildheit ihrer vulkani¬
schen Natur gerächt. Die Hälfte der blutigen Verbrechen, die auf der Insel
begangen worden, ist die Folge dieser übertriebnen Vorstellung von der Ehre
ihrer Weiber. Eine gleiche Auffassung der Dinge setzen sie bei Andern voraus,
und obwohl sie einen Mann anfallen, berauben und belästigen können, würden
sie aus Furcht vor der Vendetta sich etwas der Art gegen eine Frau nie zu
Schulden kommen lassen, und ich muß annehmen, daß sie dabei auch eine
angeborne wilde Großmuth gegen das schwächere Geschlecht bewegt.
Mein Patrone sagte zu mir: „Warum fragen Sie Zu Paulu nicht darum?
Er ist ein großer Jäger und kennt in jener Gegend jeden Fuß Boden und alle
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |