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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Die Mafiosi,
in.

Wir waren einige Zeit auf der Insel gewesen, hatten aber niemals eine
der merkwürdigen und interessanten Trümmerstätten der altgriechischen Periode
Siciliens besucht, oder vielmehr meine Frau hatte nichts der Art besucht, ich
selbst war in meiner Knabenzeit dort gewesen. Aber man betrachtete in der
Zeit, von der ich schreibe, das Reisen im Innern infolge der vielen Raub¬
anfälle, welche stattfanden, als sehr unsicher. Das platte Land war damals
von den rsmtönti heimgesucht, d. h. von den jungen Leuten, welche bei der
Recrutirung das Loos gezogen hatten und, statt in der Armee zu dienen,
nach den Bergen geflohen waren, sich dort aus den großen Gütern verbargen
und vom Plündern lebten.

Ein Jahr später schickte die italienische Regierung ein von dem bekannten
General Govone befestigtes Armeecorps herüber, welches sich über die ganze
Insel, besonders aber über die Provinzen Girgenti und Palermo verbreitete
und jeden jungen Bauer festnahm, der das Alter von einundzwanzig Jahren
zu haben schien. Man untersuchte dann, ob sie Recruten wären, und schickte
sie, wenn dieß der Fall, zu ihren Regimentern. Die Zahl derjenigen, welche
sich der Conscription entzogen, belief sich in zwei oder drei Jahren auf mehr
als fünftausend Mann. Seit jener Zeit haben sie sich ruhig in die Sache
gefügt, und dieselbe hat sich als das beste Mittel erwiesen, welches man
sich zur Civilisirung der. Landbevölkerung hätte ersinnen können; denn nach
dem italienischen Gesetze wird diesen Rekruten, die größtentheils nicht die
geringste Schulbildung genossen haben, innerhalb der drei Jahre, die sie beim
Militär dienen müssen, das Lesen und Schreiben beigebracht, und sie werden
nicht eher entlassen, bis sie sich diese Kenntniß erworben haben. Es ist sehr
interessant, die Kasernen und Kanonendecks der italienischen Kriegsschiffe zu
besuchen; denn drei oder vier Stunden des Tages verwandeln sich dieselben
^ Schulstuben, und die unwissenden Soldaten und Matrosen werden von
Sergeanten und Quartermastern unter Aufsicht der diensthabenden Offi¬
ziere im Abc und Buchstabiren unterrichtet. So kehren Tausende von un¬
wissenden jungen Leuten, die ihr ganzes Leben hindurch keine Schule besucht
haben würden, mit den ersten Anfängen der Bildung heim, die sie sich in
ihren Dörfern oder auf ihren einsamen Pachthöfen niemals erworben haben
würden.

Eine vornehme junge englische Dame, die sich als Malerin auszeichnete
und in Gesellschaft einer älteren Dame und deren Tochter den Winter in


Grenzl'oder II. 187ki. 18
Die Mafiosi,
in.

Wir waren einige Zeit auf der Insel gewesen, hatten aber niemals eine
der merkwürdigen und interessanten Trümmerstätten der altgriechischen Periode
Siciliens besucht, oder vielmehr meine Frau hatte nichts der Art besucht, ich
selbst war in meiner Knabenzeit dort gewesen. Aber man betrachtete in der
Zeit, von der ich schreibe, das Reisen im Innern infolge der vielen Raub¬
anfälle, welche stattfanden, als sehr unsicher. Das platte Land war damals
von den rsmtönti heimgesucht, d. h. von den jungen Leuten, welche bei der
Recrutirung das Loos gezogen hatten und, statt in der Armee zu dienen,
nach den Bergen geflohen waren, sich dort aus den großen Gütern verbargen
und vom Plündern lebten.

Ein Jahr später schickte die italienische Regierung ein von dem bekannten
General Govone befestigtes Armeecorps herüber, welches sich über die ganze
Insel, besonders aber über die Provinzen Girgenti und Palermo verbreitete
und jeden jungen Bauer festnahm, der das Alter von einundzwanzig Jahren
zu haben schien. Man untersuchte dann, ob sie Recruten wären, und schickte
sie, wenn dieß der Fall, zu ihren Regimentern. Die Zahl derjenigen, welche
sich der Conscription entzogen, belief sich in zwei oder drei Jahren auf mehr
als fünftausend Mann. Seit jener Zeit haben sie sich ruhig in die Sache
gefügt, und dieselbe hat sich als das beste Mittel erwiesen, welches man
sich zur Civilisirung der. Landbevölkerung hätte ersinnen können; denn nach
dem italienischen Gesetze wird diesen Rekruten, die größtentheils nicht die
geringste Schulbildung genossen haben, innerhalb der drei Jahre, die sie beim
Militär dienen müssen, das Lesen und Schreiben beigebracht, und sie werden
nicht eher entlassen, bis sie sich diese Kenntniß erworben haben. Es ist sehr
interessant, die Kasernen und Kanonendecks der italienischen Kriegsschiffe zu
besuchen; denn drei oder vier Stunden des Tages verwandeln sich dieselben
^ Schulstuben, und die unwissenden Soldaten und Matrosen werden von
Sergeanten und Quartermastern unter Aufsicht der diensthabenden Offi¬
ziere im Abc und Buchstabiren unterrichtet. So kehren Tausende von un¬
wissenden jungen Leuten, die ihr ganzes Leben hindurch keine Schule besucht
haben würden, mit den ersten Anfängen der Bildung heim, die sie sich in
ihren Dörfern oder auf ihren einsamen Pachthöfen niemals erworben haben
würden.

Eine vornehme junge englische Dame, die sich als Malerin auszeichnete
und in Gesellschaft einer älteren Dame und deren Tochter den Winter in


Grenzl'oder II. 187ki. 18
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[0141] Die Mafiosi, in. Wir waren einige Zeit auf der Insel gewesen, hatten aber niemals eine der merkwürdigen und interessanten Trümmerstätten der altgriechischen Periode Siciliens besucht, oder vielmehr meine Frau hatte nichts der Art besucht, ich selbst war in meiner Knabenzeit dort gewesen. Aber man betrachtete in der Zeit, von der ich schreibe, das Reisen im Innern infolge der vielen Raub¬ anfälle, welche stattfanden, als sehr unsicher. Das platte Land war damals von den rsmtönti heimgesucht, d. h. von den jungen Leuten, welche bei der Recrutirung das Loos gezogen hatten und, statt in der Armee zu dienen, nach den Bergen geflohen waren, sich dort aus den großen Gütern verbargen und vom Plündern lebten. Ein Jahr später schickte die italienische Regierung ein von dem bekannten General Govone befestigtes Armeecorps herüber, welches sich über die ganze Insel, besonders aber über die Provinzen Girgenti und Palermo verbreitete und jeden jungen Bauer festnahm, der das Alter von einundzwanzig Jahren zu haben schien. Man untersuchte dann, ob sie Recruten wären, und schickte sie, wenn dieß der Fall, zu ihren Regimentern. Die Zahl derjenigen, welche sich der Conscription entzogen, belief sich in zwei oder drei Jahren auf mehr als fünftausend Mann. Seit jener Zeit haben sie sich ruhig in die Sache gefügt, und dieselbe hat sich als das beste Mittel erwiesen, welches man sich zur Civilisirung der. Landbevölkerung hätte ersinnen können; denn nach dem italienischen Gesetze wird diesen Rekruten, die größtentheils nicht die geringste Schulbildung genossen haben, innerhalb der drei Jahre, die sie beim Militär dienen müssen, das Lesen und Schreiben beigebracht, und sie werden nicht eher entlassen, bis sie sich diese Kenntniß erworben haben. Es ist sehr interessant, die Kasernen und Kanonendecks der italienischen Kriegsschiffe zu besuchen; denn drei oder vier Stunden des Tages verwandeln sich dieselben ^ Schulstuben, und die unwissenden Soldaten und Matrosen werden von Sergeanten und Quartermastern unter Aufsicht der diensthabenden Offi¬ ziere im Abc und Buchstabiren unterrichtet. So kehren Tausende von un¬ wissenden jungen Leuten, die ihr ganzes Leben hindurch keine Schule besucht haben würden, mit den ersten Anfängen der Bildung heim, die sie sich in ihren Dörfern oder auf ihren einsamen Pachthöfen niemals erworben haben würden. Eine vornehme junge englische Dame, die sich als Malerin auszeichnete und in Gesellschaft einer älteren Dame und deren Tochter den Winter in Grenzl'oder II. 187ki. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/141>, abgerufen am 27.11.2024.