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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Hunderts durch eine Feuersbrunst zerstört (s. Scheible's Kloster III. S. 673).
Abweichend von dieser Angabe lautet ein Bericht aus dem Jahre 1837
(s. Lewald's Europa v. I l837, III. 571), wonach ein Stück einer alten
Consularstatue in der Nähe der nlameSa vis^ja, (der alten Promenade), welche
im Munde des Volkes "der steinerne Gast" hieß, noch damals aufrecht stand.
Indeß ließe sich dieser Widerspruch vielleicht so lösen, daß auch nach der Ent¬
fernung oder Zerstörung der wirklichen und ursprünglichen Comthurstatue das
Volk in seinem Bedürfniß nach concreter Anschauung die Sage an eine be¬
liebige andere gerade vorhandene Statue anknüpfte. Aber auch den Don
Juan lassen sich die Sevillaner nicht nehmen, im Gegentheil, sie können dem
Forscher mit zweien aufwarten, welche beide die Sage in ihr Bereich gezogen
und auch, weil sie so ziemlich gleichen Charakters waren in ihrem Thun und
Treiben, vielfach in eins gemischt hat. Zwar die Chroniken melden von
diesen Don Juan's wenig oder (nach von Schack's Angabe, Gesch. d. span.
Drama II. 592) gar nichts, sondern alles beruht bloß auf mündlicher Ueber¬
lieferung, aber eben dieser Umstand spricht wie kein anderer für die Be¬
thätigung der Sage. Noch heute (wenigstens sah dieß von Schack selbst)
werden auf den Straßen Sevillas fliegende Blätter verkauft, welche die Sage
von Don Juan in Romanform erzählen, noch heute wird dem Fremden in
einem seitab gelegenen Winkel des Marktplatzes (?IaW as 1a tsris,) dicht
hinter dem Chorende der Kirche oninium sanctorum ein mehr zierliches denn
großes Haus mit einem halb arabischen, halb germanischen Doppelfenster über
dem Balcon als das bezeichnet, welches Don Juan bewohnt habe; jetzt gehört
es dem gräflichen Geschlechte Montijo y Theva. demselben, aus dem die
frühere Kaiserin der Franzosen entsprossen ist (s. Wackernagel, Sevilla S. 95).
Dieser Don Juan gehörte zu der Familie derer von Marana. Von ihm
weiß die Sage weiter: Einst bei Nacht durchstreifte er, nachdem er eben ein
Gelage verlassen, die Stadt auf Liebesabenteuer. Ein Leichenzug kommt ihm
entgegen. Mit trunkenem Hohn hält er denselben an und frägt nach dem
Gestorbenen: er empfängt die Antwort: "Wir begraben den Don Juan de
Marana." Halb betroffen, halb noch zum Spott schließt er sich an und
Wandelt mit dem Zug durch die dunklen Gassen. Endlich tritt der Zug in
vie Kirche ein; unter Gesängen, die wie Stimmen des letzten Gerichtes tönen,
wird der Sarg vor dem Altare niedergesetzt und der Deckel abgehoben: da
wirklich erkennt Don Juan sich selber im Sarg liegend. Bewußtlos stürzt
er nieder und als er am Morgen in der nun leeren Kirche erwacht, erwacht er
auch zu einem neuen Leben. Er baut aus den Reichthümern, die ihm noch
übrig sind, das große Armen - und Krankenhaus der christlichen Liebe, das
Ilosxieio as I", cariäuä und widmet eben diesem in büßender Frömmigkeit
den Nest seines Lebens. Mit einigen Variationen erzählt diese Geschichte


Hunderts durch eine Feuersbrunst zerstört (s. Scheible's Kloster III. S. 673).
Abweichend von dieser Angabe lautet ein Bericht aus dem Jahre 1837
(s. Lewald's Europa v. I l837, III. 571), wonach ein Stück einer alten
Consularstatue in der Nähe der nlameSa vis^ja, (der alten Promenade), welche
im Munde des Volkes „der steinerne Gast" hieß, noch damals aufrecht stand.
Indeß ließe sich dieser Widerspruch vielleicht so lösen, daß auch nach der Ent¬
fernung oder Zerstörung der wirklichen und ursprünglichen Comthurstatue das
Volk in seinem Bedürfniß nach concreter Anschauung die Sage an eine be¬
liebige andere gerade vorhandene Statue anknüpfte. Aber auch den Don
Juan lassen sich die Sevillaner nicht nehmen, im Gegentheil, sie können dem
Forscher mit zweien aufwarten, welche beide die Sage in ihr Bereich gezogen
und auch, weil sie so ziemlich gleichen Charakters waren in ihrem Thun und
Treiben, vielfach in eins gemischt hat. Zwar die Chroniken melden von
diesen Don Juan's wenig oder (nach von Schack's Angabe, Gesch. d. span.
Drama II. 592) gar nichts, sondern alles beruht bloß auf mündlicher Ueber¬
lieferung, aber eben dieser Umstand spricht wie kein anderer für die Be¬
thätigung der Sage. Noch heute (wenigstens sah dieß von Schack selbst)
werden auf den Straßen Sevillas fliegende Blätter verkauft, welche die Sage
von Don Juan in Romanform erzählen, noch heute wird dem Fremden in
einem seitab gelegenen Winkel des Marktplatzes (?IaW as 1a tsris,) dicht
hinter dem Chorende der Kirche oninium sanctorum ein mehr zierliches denn
großes Haus mit einem halb arabischen, halb germanischen Doppelfenster über
dem Balcon als das bezeichnet, welches Don Juan bewohnt habe; jetzt gehört
es dem gräflichen Geschlechte Montijo y Theva. demselben, aus dem die
frühere Kaiserin der Franzosen entsprossen ist (s. Wackernagel, Sevilla S. 95).
Dieser Don Juan gehörte zu der Familie derer von Marana. Von ihm
weiß die Sage weiter: Einst bei Nacht durchstreifte er, nachdem er eben ein
Gelage verlassen, die Stadt auf Liebesabenteuer. Ein Leichenzug kommt ihm
entgegen. Mit trunkenem Hohn hält er denselben an und frägt nach dem
Gestorbenen: er empfängt die Antwort: „Wir begraben den Don Juan de
Marana." Halb betroffen, halb noch zum Spott schließt er sich an und
Wandelt mit dem Zug durch die dunklen Gassen. Endlich tritt der Zug in
vie Kirche ein; unter Gesängen, die wie Stimmen des letzten Gerichtes tönen,
wird der Sarg vor dem Altare niedergesetzt und der Deckel abgehoben: da
wirklich erkennt Don Juan sich selber im Sarg liegend. Bewußtlos stürzt
er nieder und als er am Morgen in der nun leeren Kirche erwacht, erwacht er
auch zu einem neuen Leben. Er baut aus den Reichthümern, die ihm noch
übrig sind, das große Armen - und Krankenhaus der christlichen Liebe, das
Ilosxieio as I», cariäuä und widmet eben diesem in büßender Frömmigkeit
den Nest seines Lebens. Mit einigen Variationen erzählt diese Geschichte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/131>, abgerufen am 27.11.2024.