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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Bis zu einer gewissen Grenze hat diese Verehrung ja ihre große Berechtigung.
Vorbei hat die im Welschthum untergehende Sprache gerettet und dadurch
kräftig zur Erhaltung des National-Charakters mitgewirkt. Die Holländer
hatten sich immerhin und haben sich auch jetzt noch des Einflußes von draußen
zu erwehren. Noch jetzt glauben die höheren Stände ihre Bildung dadurch
zeigen zu müssen, daß sie französische Sprache und Sitten zu Hause sorgsam
pflegen und heimisches Wesen verachten. Dieser Neigung gegenüber sucht
man nun Vorbei's Werke zu popularisiren, aber man hat es, eben wie im
17. Jahrhundert, nicht weiter als bis zu einem sueeös ä'estime gebracht,
d. h. jeder Holländer ist von der Vortrefflichkeit Vorbei's überzeugt, aber er
verlangt nicht die Werke des Dichters kennen zu lernen. Hat man es aber
auf dem anderen jetzt eingeschlagenen Wege so weit gebracht, daß die Schrift¬
sprache eine, wenn auch gereinigte und corrigirte Volkssprache ist, dann ist
die Möglichkeit für den Dichter und Schriftsteller gegeben, zum Volke zu
reden, d. h. Gefühle in ihm zu erwecken. Wir halten es darum nicht allein
für nutzlos, sondern geradezu für verkehrt, die Vorbei'sche Sprache und Dichtung
so über die Maßen zu verherrlichen. Indessen lieben die Holländer es gar
zu sehr, rückwärts zu schauen und sich in dem Sonnenschein des verflogenen
Ruhmes zu baden, anstatt auf die Gegenwart und in die Zukunft zu blicken.
Die dadurch entstandene Selbstverherrlichung hat nicht wenig beigetragen zur
Ueberschätzung des Dichters. Indem man seine Werke als mustergültig hin¬
stellt, thut man entschieden einen großen Schritt rückwärts. Vorbei's Dich¬
tungen verrathen noch zu deutlich den Einfluß der zunftgemäßen Poesie (?)
der Rederykers. Freilich! Auch diese sind noch nicht ausgestorben; sie be¬
schäftigen sich zwar weniger mit dem Fabriziren von Versen, als mit geschmack¬
losen Hersagen derselben. Daß diese Gesellschaften, wo Spießbürgertum und
Unnatur sich vereinigen, noch so lange ihr Leben und zwar in so großer
Anzahl fristen konnten, beweist, wie viel noch an der literarischen Bildung
des Volkes fehlt, und daß die Geschmacksverwirrung der vorigen Jahrhunderte
noch in einer gewissen Blüthe steht. Derselben würde aber eine Popularisirung
Vorbei's nur neue Nahrung geben.




Grenzboten II. 187".2

Bis zu einer gewissen Grenze hat diese Verehrung ja ihre große Berechtigung.
Vorbei hat die im Welschthum untergehende Sprache gerettet und dadurch
kräftig zur Erhaltung des National-Charakters mitgewirkt. Die Holländer
hatten sich immerhin und haben sich auch jetzt noch des Einflußes von draußen
zu erwehren. Noch jetzt glauben die höheren Stände ihre Bildung dadurch
zeigen zu müssen, daß sie französische Sprache und Sitten zu Hause sorgsam
pflegen und heimisches Wesen verachten. Dieser Neigung gegenüber sucht
man nun Vorbei's Werke zu popularisiren, aber man hat es, eben wie im
17. Jahrhundert, nicht weiter als bis zu einem sueeös ä'estime gebracht,
d. h. jeder Holländer ist von der Vortrefflichkeit Vorbei's überzeugt, aber er
verlangt nicht die Werke des Dichters kennen zu lernen. Hat man es aber
auf dem anderen jetzt eingeschlagenen Wege so weit gebracht, daß die Schrift¬
sprache eine, wenn auch gereinigte und corrigirte Volkssprache ist, dann ist
die Möglichkeit für den Dichter und Schriftsteller gegeben, zum Volke zu
reden, d. h. Gefühle in ihm zu erwecken. Wir halten es darum nicht allein
für nutzlos, sondern geradezu für verkehrt, die Vorbei'sche Sprache und Dichtung
so über die Maßen zu verherrlichen. Indessen lieben die Holländer es gar
zu sehr, rückwärts zu schauen und sich in dem Sonnenschein des verflogenen
Ruhmes zu baden, anstatt auf die Gegenwart und in die Zukunft zu blicken.
Die dadurch entstandene Selbstverherrlichung hat nicht wenig beigetragen zur
Ueberschätzung des Dichters. Indem man seine Werke als mustergültig hin¬
stellt, thut man entschieden einen großen Schritt rückwärts. Vorbei's Dich¬
tungen verrathen noch zu deutlich den Einfluß der zunftgemäßen Poesie (?)
der Rederykers. Freilich! Auch diese sind noch nicht ausgestorben; sie be¬
schäftigen sich zwar weniger mit dem Fabriziren von Versen, als mit geschmack¬
losen Hersagen derselben. Daß diese Gesellschaften, wo Spießbürgertum und
Unnatur sich vereinigen, noch so lange ihr Leben und zwar in so großer
Anzahl fristen konnten, beweist, wie viel noch an der literarischen Bildung
des Volkes fehlt, und daß die Geschmacksverwirrung der vorigen Jahrhunderte
noch in einer gewissen Blüthe steht. Derselben würde aber eine Popularisirung
Vorbei's nur neue Nahrung geben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/13>, abgerufen am 27.11.2024.