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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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entgehen, wie Thomas Shadwell's "tds libortillv clvLti-o^ä" beweist. Musi¬
kalisch hat zuerst le Tellier den einmal vorhandenen Text und zwar als
komische Oper gestaltet (1713). dann folgte Gluck (1761) mit seinem Opern-
Ballet und bald darauf (1777) Righini mit einer förmlichen Oper. -- In
Spanien selber hat die Bearbeitung Zamora's (aus dem ersten Viertel des
vorigen Jahrhunderts) bis in die neueste Zeit. d. h. bis aus Zorilla herab,
den Steg auf der Bühne zu behaupten gewußt, sein Stück ist eine glückliche
Umgestaltung des ursprünglichen von Tirso, er läßt die neapolitanischen Aben¬
teuer des Helden weg, versetzt uns frischweg nach Sevilla, und beginnt, wie
Mozart's Oper, mit der Ermordung des Comthurs. Da Ponte, Mozart's
Librettist hat dieses Stück gekannt und seine Bearbeitung nach ihm gemodelt,
sodaß sein eignes poetisches Verdienst, besonders was erfinderische Zuthaten
und originelle Charakteristik betrifft, gering ist. Ob ihm auch die Behandlung
bekannt war, welche deutsche Puppentheater, beziehungsweise die von Stra߬
burg, Augsburg und Ulm (siehe Scheible's Kloster III, S. 725 fg.) der spani¬
schen Sage angedeihen ließen, bleibt dahingestellt, wahrscheinlich ist es nicht.
In allen dreien kommt natürlich die Rolle des Dieners dem Hanswurst zu
und dieser nennt aus purer Naivetät im Straßburger-Stück (worin beiläufig
auch wieder als Titel das "steinerne Todtengastmahl" figurirt) seinen Herrn,
statt Don Juan, "Dummhans". Das Ulmer Fabrikat hat das Eigenthümliche,
daß hier von einer Liebesgeschichte gar keine Rede ist und daß der steinerne
Gast kein anderer als Don Juan's Vater ist, welchen der saubere Sohn,
ein Lump und Verbrecher von der gemeinsten Sorte, einfach darum erstochen
hat, weil jener ihm für seine Ausschweifungen kein Geld mehr geben will;
unmittelbar darauf bereitet das Ungeheuer seiner Schwester dasselbe Schicksal,
und auch der Klausner fällt ihm (wie dieß meines Wissens auch in den ersten
deutschen Bearbeitungen der Mozart'schen Oper der Fall war) zum Opfer.
Was Mozart's Meisterwerk in deutscher Aufführung noch lange Zeit hindurch
entstellte, fällt, wie gesagt, dem da Ponte nicht zur Last, sondern ist eine
Concession an den herrschenden schlechten Geschmack. Man wollte und durfte
das derbkomische Element nicht völlig ausschließen, und ihm zu Liebe wurden
die schönen Recitative durch Dialoge der gewöhnlichsten Sorte unterbrochen
und der musikalische Faden recht eigentlich zerrissen. Sogar Schröder in
Hamburg konnte sich dieser Forderung der schlechten Sitte nicht entziehen --
man denke nur an das Gespräch des Helden mit dem Gerichtsdiener, welches
noch vor wenigen Jahren eine nicht von Jedermann verachtete Zugabe bildete.
Weniger plump, aber ebenso geschmacklos war es, wenn in deutschen, völlig
da Ponte's Bearbeitung folgenden Opernbüchern Don Juan als "Herr von
Freudenreich" und sein Leporello als "Fränzchen" erschienen, oder wenn der
aus Moliere entlehnte Herr Dimanche eingeschwärzt wurde. Nirgends in


entgehen, wie Thomas Shadwell's „tds libortillv clvLti-o^ä" beweist. Musi¬
kalisch hat zuerst le Tellier den einmal vorhandenen Text und zwar als
komische Oper gestaltet (1713). dann folgte Gluck (1761) mit seinem Opern-
Ballet und bald darauf (1777) Righini mit einer förmlichen Oper. — In
Spanien selber hat die Bearbeitung Zamora's (aus dem ersten Viertel des
vorigen Jahrhunderts) bis in die neueste Zeit. d. h. bis aus Zorilla herab,
den Steg auf der Bühne zu behaupten gewußt, sein Stück ist eine glückliche
Umgestaltung des ursprünglichen von Tirso, er läßt die neapolitanischen Aben¬
teuer des Helden weg, versetzt uns frischweg nach Sevilla, und beginnt, wie
Mozart's Oper, mit der Ermordung des Comthurs. Da Ponte, Mozart's
Librettist hat dieses Stück gekannt und seine Bearbeitung nach ihm gemodelt,
sodaß sein eignes poetisches Verdienst, besonders was erfinderische Zuthaten
und originelle Charakteristik betrifft, gering ist. Ob ihm auch die Behandlung
bekannt war, welche deutsche Puppentheater, beziehungsweise die von Stra߬
burg, Augsburg und Ulm (siehe Scheible's Kloster III, S. 725 fg.) der spani¬
schen Sage angedeihen ließen, bleibt dahingestellt, wahrscheinlich ist es nicht.
In allen dreien kommt natürlich die Rolle des Dieners dem Hanswurst zu
und dieser nennt aus purer Naivetät im Straßburger-Stück (worin beiläufig
auch wieder als Titel das „steinerne Todtengastmahl" figurirt) seinen Herrn,
statt Don Juan, „Dummhans". Das Ulmer Fabrikat hat das Eigenthümliche,
daß hier von einer Liebesgeschichte gar keine Rede ist und daß der steinerne
Gast kein anderer als Don Juan's Vater ist, welchen der saubere Sohn,
ein Lump und Verbrecher von der gemeinsten Sorte, einfach darum erstochen
hat, weil jener ihm für seine Ausschweifungen kein Geld mehr geben will;
unmittelbar darauf bereitet das Ungeheuer seiner Schwester dasselbe Schicksal,
und auch der Klausner fällt ihm (wie dieß meines Wissens auch in den ersten
deutschen Bearbeitungen der Mozart'schen Oper der Fall war) zum Opfer.
Was Mozart's Meisterwerk in deutscher Aufführung noch lange Zeit hindurch
entstellte, fällt, wie gesagt, dem da Ponte nicht zur Last, sondern ist eine
Concession an den herrschenden schlechten Geschmack. Man wollte und durfte
das derbkomische Element nicht völlig ausschließen, und ihm zu Liebe wurden
die schönen Recitative durch Dialoge der gewöhnlichsten Sorte unterbrochen
und der musikalische Faden recht eigentlich zerrissen. Sogar Schröder in
Hamburg konnte sich dieser Forderung der schlechten Sitte nicht entziehen —
man denke nur an das Gespräch des Helden mit dem Gerichtsdiener, welches
noch vor wenigen Jahren eine nicht von Jedermann verachtete Zugabe bildete.
Weniger plump, aber ebenso geschmacklos war es, wenn in deutschen, völlig
da Ponte's Bearbeitung folgenden Opernbüchern Don Juan als „Herr von
Freudenreich" und sein Leporello als „Fränzchen" erschienen, oder wenn der
aus Moliere entlehnte Herr Dimanche eingeschwärzt wurde. Nirgends in


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[0128] entgehen, wie Thomas Shadwell's „tds libortillv clvLti-o^ä" beweist. Musi¬ kalisch hat zuerst le Tellier den einmal vorhandenen Text und zwar als komische Oper gestaltet (1713). dann folgte Gluck (1761) mit seinem Opern- Ballet und bald darauf (1777) Righini mit einer förmlichen Oper. — In Spanien selber hat die Bearbeitung Zamora's (aus dem ersten Viertel des vorigen Jahrhunderts) bis in die neueste Zeit. d. h. bis aus Zorilla herab, den Steg auf der Bühne zu behaupten gewußt, sein Stück ist eine glückliche Umgestaltung des ursprünglichen von Tirso, er läßt die neapolitanischen Aben¬ teuer des Helden weg, versetzt uns frischweg nach Sevilla, und beginnt, wie Mozart's Oper, mit der Ermordung des Comthurs. Da Ponte, Mozart's Librettist hat dieses Stück gekannt und seine Bearbeitung nach ihm gemodelt, sodaß sein eignes poetisches Verdienst, besonders was erfinderische Zuthaten und originelle Charakteristik betrifft, gering ist. Ob ihm auch die Behandlung bekannt war, welche deutsche Puppentheater, beziehungsweise die von Stra߬ burg, Augsburg und Ulm (siehe Scheible's Kloster III, S. 725 fg.) der spani¬ schen Sage angedeihen ließen, bleibt dahingestellt, wahrscheinlich ist es nicht. In allen dreien kommt natürlich die Rolle des Dieners dem Hanswurst zu und dieser nennt aus purer Naivetät im Straßburger-Stück (worin beiläufig auch wieder als Titel das „steinerne Todtengastmahl" figurirt) seinen Herrn, statt Don Juan, „Dummhans". Das Ulmer Fabrikat hat das Eigenthümliche, daß hier von einer Liebesgeschichte gar keine Rede ist und daß der steinerne Gast kein anderer als Don Juan's Vater ist, welchen der saubere Sohn, ein Lump und Verbrecher von der gemeinsten Sorte, einfach darum erstochen hat, weil jener ihm für seine Ausschweifungen kein Geld mehr geben will; unmittelbar darauf bereitet das Ungeheuer seiner Schwester dasselbe Schicksal, und auch der Klausner fällt ihm (wie dieß meines Wissens auch in den ersten deutschen Bearbeitungen der Mozart'schen Oper der Fall war) zum Opfer. Was Mozart's Meisterwerk in deutscher Aufführung noch lange Zeit hindurch entstellte, fällt, wie gesagt, dem da Ponte nicht zur Last, sondern ist eine Concession an den herrschenden schlechten Geschmack. Man wollte und durfte das derbkomische Element nicht völlig ausschließen, und ihm zu Liebe wurden die schönen Recitative durch Dialoge der gewöhnlichsten Sorte unterbrochen und der musikalische Faden recht eigentlich zerrissen. Sogar Schröder in Hamburg konnte sich dieser Forderung der schlechten Sitte nicht entziehen — man denke nur an das Gespräch des Helden mit dem Gerichtsdiener, welches noch vor wenigen Jahren eine nicht von Jedermann verachtete Zugabe bildete. Weniger plump, aber ebenso geschmacklos war es, wenn in deutschen, völlig da Ponte's Bearbeitung folgenden Opernbüchern Don Juan als „Herr von Freudenreich" und sein Leporello als „Fränzchen" erschienen, oder wenn der aus Moliere entlehnte Herr Dimanche eingeschwärzt wurde. Nirgends in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/128>, abgerufen am 27.11.2024.