Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.hat, wie das durch und seit Mozart's Tonwerk der Fall ist; er erst hat den hat, wie das durch und seit Mozart's Tonwerk der Fall ist; er erst hat den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135707"/> <p xml:id="ID_449" prev="#ID_448" next="#ID_450"> hat, wie das durch und seit Mozart's Tonwerk der Fall ist; er erst hat den<lb/> Stoff mit dem Hauch und Wehen des Genius durchgeistet, er erst die schlum¬<lb/> mernden Keime der Sage zu so herrlicher Blüthe erweckt, er erst aus den<lb/> ahnungsvollen Tiefen seines künstlerischen Gefühls eine Fülle geistiger Bezüge<lb/> hineingewoben. Don Juan ist unter seinen Händen erst recht', wie Faust<lb/> unter denen Goethe's zu einer typischen Gestalt geworden, die uns an ihrem<lb/> vollen Bilde einen Theil unseres menschlichen Strebens und Wollens zeigt.<lb/> Und er war im Vortheil gegenüber Goethe — denn er gebot über das Reich<lb/> der Töne, und nur innerhalb dieser Zauberwelt ist es möglich, alle Züge<lb/> der Menschenseele bloßzulegen und das Unbegriffene und Unbewußte, das<lb/> Unsagbare und Geheimnißvolle ihres Webens einer ahnungsvollen Empfindung<lb/> zugänglich zu machen. Es ist hier nicht der Ort und liegt weder im Willen<lb/> noch im Können des Verfassers, sich über die künstlerischen Darstellungen<lb/> der Don Juan-Sage, speziell über Mozart's Werk zu verbreiten und sie einer<lb/> ästhetischen Würdigung zu unterziehen; der Schwerpunkt unserer Aufgabe liegt<lb/> anderswo. Nur möge, um der Abrundung willen, ein kurzer Blick auf die<lb/> Haupterscheinungen gestattet sein (vgl. Dr. Kahlert. „die Sage von Don Juan",<lb/> im „Freihafen" 1841, S. 113 fg. auch abgedruckt in Scheible's „Kloster" III.<lb/> S. 667 fg. und O. Jahr, „Leben Mozart's" IV. 328 fg.). Bekanntlich hat<lb/> Tirso von Molina (mit dem wahren Namen eigentlich Gabriel Tellez) das<lb/> Verdienst, die Sage zuerst dramatisch verwerthet zu haben. Er war Prior<lb/> eines Barfüßerklosters und lebte 1370 — 1648; er gilt als Fortbildner des<lb/> Dramas von Lope und steht, künstlerisch betrachtet, zwischen diesem und<lb/> Calderon. An Schönheit der Diction und Wohllaut der Sprache übertrifft<lb/> er nach dem Urtheil competenter Richter (s> von Schack, Gesch. d. span. Dr. II.<lb/> S. 364) alle spanischen Dramatiker. Die Bemerkung, die man gemacht haben<lb/> will, daß in seinem Stücke die Männer übel wegkommen, wird bekanntlich<lb/> durch die Charakteristik und die Schicksale seines Don Juan nicht widerlegt.<lb/> Vor dem Richterstuhl der ästhetischen Kritik kann zwar gerade dieses Drama<lb/> — sein Titel ist <zi durlaäor Ah Lvvillg. eonviÄÄÄo Ah pieära. — nicht<lb/> bestehen, es ist flüchtig gearbeitet und leidet an unnützen Weitschweifigkeiten,<lb/> an Ueberfluß eines nicht streng gegliederten und unmotivirten Stoffes. Zwar<lb/> schon bet ihm tritt das Dämonische mit seinen Schauern in den Vordergrund,<lb/> aber es ist keine Frage, daß Lorenzo da Ponte, der Verfasser des Mozart'schen<lb/> Operubuches (geb. 1749, starb 1838 als Director der italienischen Oper in<lb/> New-Uork, vgl. seine ebenda erschienenen Memoiren in 4 Bdn. 1823), mit<lb/> glücklicher Hand gebessert hat. Ob freilich ihm selber oder Mozart das Ver¬<lb/> dienst gebührt, das Poetische, das in der Sage schlummerte, erkannt zu haben,<lb/> mag fraglich bleiben: so viel ist sicher, daß die ganze Auffassung und die<lb/> dichterische Gestaltung des Textes, wenn auch da Ponte erwiesenermaßen vieles</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0126]
hat, wie das durch und seit Mozart's Tonwerk der Fall ist; er erst hat den
Stoff mit dem Hauch und Wehen des Genius durchgeistet, er erst die schlum¬
mernden Keime der Sage zu so herrlicher Blüthe erweckt, er erst aus den
ahnungsvollen Tiefen seines künstlerischen Gefühls eine Fülle geistiger Bezüge
hineingewoben. Don Juan ist unter seinen Händen erst recht', wie Faust
unter denen Goethe's zu einer typischen Gestalt geworden, die uns an ihrem
vollen Bilde einen Theil unseres menschlichen Strebens und Wollens zeigt.
Und er war im Vortheil gegenüber Goethe — denn er gebot über das Reich
der Töne, und nur innerhalb dieser Zauberwelt ist es möglich, alle Züge
der Menschenseele bloßzulegen und das Unbegriffene und Unbewußte, das
Unsagbare und Geheimnißvolle ihres Webens einer ahnungsvollen Empfindung
zugänglich zu machen. Es ist hier nicht der Ort und liegt weder im Willen
noch im Können des Verfassers, sich über die künstlerischen Darstellungen
der Don Juan-Sage, speziell über Mozart's Werk zu verbreiten und sie einer
ästhetischen Würdigung zu unterziehen; der Schwerpunkt unserer Aufgabe liegt
anderswo. Nur möge, um der Abrundung willen, ein kurzer Blick auf die
Haupterscheinungen gestattet sein (vgl. Dr. Kahlert. „die Sage von Don Juan",
im „Freihafen" 1841, S. 113 fg. auch abgedruckt in Scheible's „Kloster" III.
S. 667 fg. und O. Jahr, „Leben Mozart's" IV. 328 fg.). Bekanntlich hat
Tirso von Molina (mit dem wahren Namen eigentlich Gabriel Tellez) das
Verdienst, die Sage zuerst dramatisch verwerthet zu haben. Er war Prior
eines Barfüßerklosters und lebte 1370 — 1648; er gilt als Fortbildner des
Dramas von Lope und steht, künstlerisch betrachtet, zwischen diesem und
Calderon. An Schönheit der Diction und Wohllaut der Sprache übertrifft
er nach dem Urtheil competenter Richter (s> von Schack, Gesch. d. span. Dr. II.
S. 364) alle spanischen Dramatiker. Die Bemerkung, die man gemacht haben
will, daß in seinem Stücke die Männer übel wegkommen, wird bekanntlich
durch die Charakteristik und die Schicksale seines Don Juan nicht widerlegt.
Vor dem Richterstuhl der ästhetischen Kritik kann zwar gerade dieses Drama
— sein Titel ist <zi durlaäor Ah Lvvillg. eonviÄÄÄo Ah pieära. — nicht
bestehen, es ist flüchtig gearbeitet und leidet an unnützen Weitschweifigkeiten,
an Ueberfluß eines nicht streng gegliederten und unmotivirten Stoffes. Zwar
schon bet ihm tritt das Dämonische mit seinen Schauern in den Vordergrund,
aber es ist keine Frage, daß Lorenzo da Ponte, der Verfasser des Mozart'schen
Operubuches (geb. 1749, starb 1838 als Director der italienischen Oper in
New-Uork, vgl. seine ebenda erschienenen Memoiren in 4 Bdn. 1823), mit
glücklicher Hand gebessert hat. Ob freilich ihm selber oder Mozart das Ver¬
dienst gebührt, das Poetische, das in der Sage schlummerte, erkannt zu haben,
mag fraglich bleiben: so viel ist sicher, daß die ganze Auffassung und die
dichterische Gestaltung des Textes, wenn auch da Ponte erwiesenermaßen vieles
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