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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Kirchenbehörde werde in Folge der Einverleibung in Wegfall kommen müssen.
Nur wünschte der Landtag für diese Veränderungen einigen Aufschub, etwa von
zwei Jahren.

Auf diese Basis war die Vorlage gestellt, welche die preußische Regierung
dem preußischen Landtag wegen Einverleibung Lauenburgs gemacht hatte und
welche am 3. April im Einzelnen berathen wurde. Der Antragsteller und
Hauptredner für die Ungültigkeitserklärung der Vereinigung Lauenburgs mit
Preußens am 3. Februar 1866 war der Abgeordnete Virchorv gewesen. Wer
hätte es auch anders sein können? Der Hauptredner am 3. April 1876, die
endliche Einverleibung Lauenburgs in Preußen zu erschweren, war Herr Virchow.
Wer hätte es auch anders sein können? Wer sonst noch hätte in zehn Jahren,
die lehrreich gewesen wie irgend ein geschichtliches Jahrzehnt, nicht das Ge¬
ringste gelernt? Das Auftreten des Herrn Virchow verschaffte dem Abge¬
ordnetenhaus zum ersten Mal in dieser Session die Theilnahme des Fürsten
Bismarck an seinen Verhandlungen. Herr Virchow wollte mit der Volks¬
versammlung der Socialdemokraten in der Stadt Lauenburg den künftigen
Kreis Lauenburg nicht mehr Herzogthum genannt wissen. Fürst Bismarck
entgegnete, daß diese Volksversammlung nicht die Gesinnung der wirklichen
Bevölkerung ausgedrückt habe, die vielmehr ein starkes lokales Selbstgefühl
besitze. Ueberdieß schloß er, kostet Ihnen die Belassung der Benennung Her¬
zogthum ja gar nichts. Ferner wollte Herr Virchow die besondere Vermögens¬
verwaltung Lauenburgs beseitigen und das dortige Vermögen mit dem Pro-
vinzialvermögen Schleswig-Holsteins verschmelzen. Fürst Bismarck entgegnete:
man möge doch warten bis die Lauenburger die Schleswig-Holsteiner, die bei
näherer Bekanntschaft gewinnen, hinlänglich liebgewonnen haben, um die
Gütergemeinschaft nicht zu scheuen. Herr Virchow fand es unwürdig, daß
Preußen mit Lauenburg Pallirer solle, anstatt einfach über das Ländchen und
sein Vermögen zu verfügen. Fürst Bismarck entgegnete, daß Preußen noch
mit viel kleineren Leuten Verträge abgeschlossen habe. Aus Anlaß des Para¬
graphen 12, welcher über die vermögensrechtlichen Verhältnisse zwischen Preußen
und Lauenburg bestimmt, verglich der Abgeordnete Virchow Lauenburg mit
^ner ausgequetschten Citrone und beantragte die Verweisung des Paragraphen
an die Budgetkommission, ohne indeß damit durchzuringen.

Am 5. April erfolgte die dritte Lesung des auf Lauenburg bezüglichen
Gesetzentwurfs. Der Gesetzentwurf bedarf, da er eine Verfassungsänderung
enthält, einer zweimaligen Genehmigung binnen 21 Tagen, wobei der Beschluß
über die zweite Genehmigung in Form der dritten Lesung erfolgt. Für diese
wiederholte dritte Lesung kündigte Herr Virchow bei Beginn der erstmaligen
dritten Lesung neue Abänderungsvorschläge an. Denn jetzt, meinte er, sei
man über die Stimmung von Lauenburg zu wenig unterrichtet. Diese An-


Kirchenbehörde werde in Folge der Einverleibung in Wegfall kommen müssen.
Nur wünschte der Landtag für diese Veränderungen einigen Aufschub, etwa von
zwei Jahren.

Auf diese Basis war die Vorlage gestellt, welche die preußische Regierung
dem preußischen Landtag wegen Einverleibung Lauenburgs gemacht hatte und
welche am 3. April im Einzelnen berathen wurde. Der Antragsteller und
Hauptredner für die Ungültigkeitserklärung der Vereinigung Lauenburgs mit
Preußens am 3. Februar 1866 war der Abgeordnete Virchorv gewesen. Wer
hätte es auch anders sein können? Der Hauptredner am 3. April 1876, die
endliche Einverleibung Lauenburgs in Preußen zu erschweren, war Herr Virchow.
Wer hätte es auch anders sein können? Wer sonst noch hätte in zehn Jahren,
die lehrreich gewesen wie irgend ein geschichtliches Jahrzehnt, nicht das Ge¬
ringste gelernt? Das Auftreten des Herrn Virchow verschaffte dem Abge¬
ordnetenhaus zum ersten Mal in dieser Session die Theilnahme des Fürsten
Bismarck an seinen Verhandlungen. Herr Virchow wollte mit der Volks¬
versammlung der Socialdemokraten in der Stadt Lauenburg den künftigen
Kreis Lauenburg nicht mehr Herzogthum genannt wissen. Fürst Bismarck
entgegnete, daß diese Volksversammlung nicht die Gesinnung der wirklichen
Bevölkerung ausgedrückt habe, die vielmehr ein starkes lokales Selbstgefühl
besitze. Ueberdieß schloß er, kostet Ihnen die Belassung der Benennung Her¬
zogthum ja gar nichts. Ferner wollte Herr Virchow die besondere Vermögens¬
verwaltung Lauenburgs beseitigen und das dortige Vermögen mit dem Pro-
vinzialvermögen Schleswig-Holsteins verschmelzen. Fürst Bismarck entgegnete:
man möge doch warten bis die Lauenburger die Schleswig-Holsteiner, die bei
näherer Bekanntschaft gewinnen, hinlänglich liebgewonnen haben, um die
Gütergemeinschaft nicht zu scheuen. Herr Virchow fand es unwürdig, daß
Preußen mit Lauenburg Pallirer solle, anstatt einfach über das Ländchen und
sein Vermögen zu verfügen. Fürst Bismarck entgegnete, daß Preußen noch
mit viel kleineren Leuten Verträge abgeschlossen habe. Aus Anlaß des Para¬
graphen 12, welcher über die vermögensrechtlichen Verhältnisse zwischen Preußen
und Lauenburg bestimmt, verglich der Abgeordnete Virchow Lauenburg mit
^ner ausgequetschten Citrone und beantragte die Verweisung des Paragraphen
an die Budgetkommission, ohne indeß damit durchzuringen.

Am 5. April erfolgte die dritte Lesung des auf Lauenburg bezüglichen
Gesetzentwurfs. Der Gesetzentwurf bedarf, da er eine Verfassungsänderung
enthält, einer zweimaligen Genehmigung binnen 21 Tagen, wobei der Beschluß
über die zweite Genehmigung in Form der dritten Lesung erfolgt. Für diese
wiederholte dritte Lesung kündigte Herr Virchow bei Beginn der erstmaligen
dritten Lesung neue Abänderungsvorschläge an. Denn jetzt, meinte er, sei
man über die Stimmung von Lauenburg zu wenig unterrichtet. Diese An-


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[0121] Kirchenbehörde werde in Folge der Einverleibung in Wegfall kommen müssen. Nur wünschte der Landtag für diese Veränderungen einigen Aufschub, etwa von zwei Jahren. Auf diese Basis war die Vorlage gestellt, welche die preußische Regierung dem preußischen Landtag wegen Einverleibung Lauenburgs gemacht hatte und welche am 3. April im Einzelnen berathen wurde. Der Antragsteller und Hauptredner für die Ungültigkeitserklärung der Vereinigung Lauenburgs mit Preußens am 3. Februar 1866 war der Abgeordnete Virchorv gewesen. Wer hätte es auch anders sein können? Der Hauptredner am 3. April 1876, die endliche Einverleibung Lauenburgs in Preußen zu erschweren, war Herr Virchow. Wer hätte es auch anders sein können? Wer sonst noch hätte in zehn Jahren, die lehrreich gewesen wie irgend ein geschichtliches Jahrzehnt, nicht das Ge¬ ringste gelernt? Das Auftreten des Herrn Virchow verschaffte dem Abge¬ ordnetenhaus zum ersten Mal in dieser Session die Theilnahme des Fürsten Bismarck an seinen Verhandlungen. Herr Virchow wollte mit der Volks¬ versammlung der Socialdemokraten in der Stadt Lauenburg den künftigen Kreis Lauenburg nicht mehr Herzogthum genannt wissen. Fürst Bismarck entgegnete, daß diese Volksversammlung nicht die Gesinnung der wirklichen Bevölkerung ausgedrückt habe, die vielmehr ein starkes lokales Selbstgefühl besitze. Ueberdieß schloß er, kostet Ihnen die Belassung der Benennung Her¬ zogthum ja gar nichts. Ferner wollte Herr Virchow die besondere Vermögens¬ verwaltung Lauenburgs beseitigen und das dortige Vermögen mit dem Pro- vinzialvermögen Schleswig-Holsteins verschmelzen. Fürst Bismarck entgegnete: man möge doch warten bis die Lauenburger die Schleswig-Holsteiner, die bei näherer Bekanntschaft gewinnen, hinlänglich liebgewonnen haben, um die Gütergemeinschaft nicht zu scheuen. Herr Virchow fand es unwürdig, daß Preußen mit Lauenburg Pallirer solle, anstatt einfach über das Ländchen und sein Vermögen zu verfügen. Fürst Bismarck entgegnete, daß Preußen noch mit viel kleineren Leuten Verträge abgeschlossen habe. Aus Anlaß des Para¬ graphen 12, welcher über die vermögensrechtlichen Verhältnisse zwischen Preußen und Lauenburg bestimmt, verglich der Abgeordnete Virchow Lauenburg mit ^ner ausgequetschten Citrone und beantragte die Verweisung des Paragraphen an die Budgetkommission, ohne indeß damit durchzuringen. Am 5. April erfolgte die dritte Lesung des auf Lauenburg bezüglichen Gesetzentwurfs. Der Gesetzentwurf bedarf, da er eine Verfassungsänderung enthält, einer zweimaligen Genehmigung binnen 21 Tagen, wobei der Beschluß über die zweite Genehmigung in Form der dritten Lesung erfolgt. Für diese wiederholte dritte Lesung kündigte Herr Virchow bei Beginn der erstmaligen dritten Lesung neue Abänderungsvorschläge an. Denn jetzt, meinte er, sei man über die Stimmung von Lauenburg zu wenig unterrichtet. Diese An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/121>, abgerufen am 27.11.2024.