Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.Bunde mit der Regierung bereits über die künftigen Wahlen im Lande ver¬ So war Alles aufs Beste vorbereitet, als die Eisenbahnvorlage in den Bunde mit der Regierung bereits über die künftigen Wahlen im Lande ver¬ So war Alles aufs Beste vorbereitet, als die Eisenbahnvorlage in den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135696"/> <p xml:id="ID_424" prev="#ID_423"> Bunde mit der Regierung bereits über die künftigen Wahlen im Lande ver¬<lb/> fügen zu können! — ja man suchte sogar bei andern süddeutschen Abgeordneten<lb/> für diesen Terrorismus Propaganda zu machen, glücklicherweise vergebens, da<lb/> an der Charakterfestigkeit und — sagen wir es offen — dem geläuterten<lb/> Politischen Verständniß unserer badischen Nachbarn diese Versuche wirkungslos<lb/> abprallten. Um so leichter war es für die Regierungspartei und die Ab¬<lb/> trünnigen der unseren die politisch ungebildeten Kreise in der einseitigsten<lb/> Weise gegen das Reich zu bearbeiten. Das schwere Geschütz lieferten der<lb/> volksparteiliche „Beobachter" und die klerikale Presse: daneben mußten dann<lb/> sämmtliche von der Regierung mehr oder weniger abhängigen Localblätter —<lb/> für den größten Theil des Volkes die einzige politische Lectüre — seit Monaten<lb/> das Publikum consequent durch die offenbarste Entstellung der Sache — als<lb/> Wolle das gierige Reich den Schwaben ihre Bahnen nehmen und ihnen nach<lb/> wie vor die ganze Eisenbahnschuld im bisherigen Umfang zur Last legen! —<lb/> zu täuschen. Natürlich wurde dabei das Ansehen der Reichsregierung, der<lb/> man solche Absichten imvutirte, bei aller zur Schau getragenen Demuth in<lb/> den Augen der Massen mehr und mehr herabgezogen. Die ruhigen, rein<lb/> sachlich gehaltenen Artikel des „Schwäbischen Mereur", welche nicht sofort in<lb/> die Masse des Volkes dringen, sondern erst einer Verarbeitung durch eine<lb/> populäre Agitation bedürfen, konnten wenigstens für den Augenblick hiergegen<lb/> keinen wirksamen Damm bilden.</p><lb/> <p xml:id="ID_425" next="#ID_426"> So war Alles aufs Beste vorbereitet, als die Eisenbahnvorlage in den<lb/> preußischen Landtag gelangte. Der Regierung lag alles daran, möglichst<lb/> rasch, noch vor der Berathung im preußischen Abgeordnetenhause und vor der<lb/> Abreise des Herrn von Mittnacht nach Berlin (2. April) ein recht stattliches<lb/> Votum der Abgeordnetenkammer zu erzielen. Jeder Tag drohte mit der zu¬<lb/> nehmenden Einsicht des Publikums in die wahre Lage unseres Eisenbahn¬<lb/> wesens, in die großen Gefahren, welche unsern Steuerzahlern aus einer Son-<lb/> derpolitik drohen, die durch eine augenblickliche Agitation erzielte Mehrheit<lb/> zu zerbröckeln. Wenn dann dazu noch eine in alle Kreise der Bevölkerung<lb/> eindringende aufklärende Rede des Fürsten Reichskanzlers kam — welche Ge¬<lb/> fahr der Belehrung der Unkundigen auf der einen, der Entmuthigung der<lb/> Mattherzigen auf der andern Seite? Vor allem mochte die württembergische<lb/> Staatsregierung erwägen, daß in dieser Sache nach Bismarck zu reden poli¬<lb/> tisch ungleich schwieriger sei als vorher. Daß man durch das Votum der<lb/> württembergischen Abgeordnetenkammer auf den preußischen Landtag einzu¬<lb/> wirken hoffte, glauben wir nicht, da man aus Erfahrung weiß, daß 25 Mil¬<lb/> lionen Deutscher sich nicht durch ein Häuflein von 1^ Millionen, selbst wenn<lb/> diese einig sein sollten, Gesetze vorschreiben lassen: überdieß kannte unsere<lb/> Staatsregierung am besten die geistigen Kräfte, über welche in dieser Frage</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0115]
Bunde mit der Regierung bereits über die künftigen Wahlen im Lande ver¬
fügen zu können! — ja man suchte sogar bei andern süddeutschen Abgeordneten
für diesen Terrorismus Propaganda zu machen, glücklicherweise vergebens, da
an der Charakterfestigkeit und — sagen wir es offen — dem geläuterten
Politischen Verständniß unserer badischen Nachbarn diese Versuche wirkungslos
abprallten. Um so leichter war es für die Regierungspartei und die Ab¬
trünnigen der unseren die politisch ungebildeten Kreise in der einseitigsten
Weise gegen das Reich zu bearbeiten. Das schwere Geschütz lieferten der
volksparteiliche „Beobachter" und die klerikale Presse: daneben mußten dann
sämmtliche von der Regierung mehr oder weniger abhängigen Localblätter —
für den größten Theil des Volkes die einzige politische Lectüre — seit Monaten
das Publikum consequent durch die offenbarste Entstellung der Sache — als
Wolle das gierige Reich den Schwaben ihre Bahnen nehmen und ihnen nach
wie vor die ganze Eisenbahnschuld im bisherigen Umfang zur Last legen! —
zu täuschen. Natürlich wurde dabei das Ansehen der Reichsregierung, der
man solche Absichten imvutirte, bei aller zur Schau getragenen Demuth in
den Augen der Massen mehr und mehr herabgezogen. Die ruhigen, rein
sachlich gehaltenen Artikel des „Schwäbischen Mereur", welche nicht sofort in
die Masse des Volkes dringen, sondern erst einer Verarbeitung durch eine
populäre Agitation bedürfen, konnten wenigstens für den Augenblick hiergegen
keinen wirksamen Damm bilden.
So war Alles aufs Beste vorbereitet, als die Eisenbahnvorlage in den
preußischen Landtag gelangte. Der Regierung lag alles daran, möglichst
rasch, noch vor der Berathung im preußischen Abgeordnetenhause und vor der
Abreise des Herrn von Mittnacht nach Berlin (2. April) ein recht stattliches
Votum der Abgeordnetenkammer zu erzielen. Jeder Tag drohte mit der zu¬
nehmenden Einsicht des Publikums in die wahre Lage unseres Eisenbahn¬
wesens, in die großen Gefahren, welche unsern Steuerzahlern aus einer Son-
derpolitik drohen, die durch eine augenblickliche Agitation erzielte Mehrheit
zu zerbröckeln. Wenn dann dazu noch eine in alle Kreise der Bevölkerung
eindringende aufklärende Rede des Fürsten Reichskanzlers kam — welche Ge¬
fahr der Belehrung der Unkundigen auf der einen, der Entmuthigung der
Mattherzigen auf der andern Seite? Vor allem mochte die württembergische
Staatsregierung erwägen, daß in dieser Sache nach Bismarck zu reden poli¬
tisch ungleich schwieriger sei als vorher. Daß man durch das Votum der
württembergischen Abgeordnetenkammer auf den preußischen Landtag einzu¬
wirken hoffte, glauben wir nicht, da man aus Erfahrung weiß, daß 25 Mil¬
lionen Deutscher sich nicht durch ein Häuflein von 1^ Millionen, selbst wenn
diese einig sein sollten, Gesetze vorschreiben lassen: überdieß kannte unsere
Staatsregierung am besten die geistigen Kräfte, über welche in dieser Frage
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