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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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der Regierungspartei, wie jenen Halben und Unentschlossenen der nationalen
Partei, alle selbständig auftretenden Mitglieder der letzteren auf leichte Weise
anzufeinden; man stand damit bereits auf demselben Boden mit den Demo¬
kraten und Ultramontanen.

Selbst im Reichstag wurde die Kluft zwischen denjenigen Mitgliedern,
welche in directem Rapport mit der Regierung standen, und denjenigen, welche
sich ihre Unabhängigkeit als Volksvertreter zu wahren wußten, immer größer.
Letztere wurden offen und geheim in jeder Weise angefeindet, zum Theil
unter dem stillen Zusammenwirken einiger Spitzen des Beamtentums mit
der Demokratie des Beobachters und der Frankfurter'Zeitung verfolgt.

So standen die Dinge, als, wie ein reinigendes Gewitter, die Reichs"
eisenbahnfrage in den Vordergrund des politischen Interesses trat. Ihr Be¬
richterstatter war bekanntlich unter den Ersten, welche für dasselbe eintraten,
indem er schon um Weihnachten*) die politische Situation Württembergs
gegenüber dem Reichseisenbahnproject, allerdings in durchaus realistischer
Weise, wie es eine solche Frage mit sich bringt, darzustellen suchte. Selbst
die Gegner haben die thatsächliche Richtigkeit seiner Voraussetzungen nicht
zu bestreiten vermocht. Um so größer war die Erbitterung, mit welcher die
particularistische Presse, insbesondere die Frankfurter Zettung und der Stutt¬
garter Beobachter über uns herfielen. Es trat dabei zu Tage, daß einer der
ersten Beamten der obersten Eisenbahnverwaltung, sowie ein bekannter Ex-
redacteur des Beobachters zusammenarbeiteten, ersterer das Material, letzterer
den Geist und die Form liefernd. Unsere Hofdemokratie schrie über Landes-
verrath und forderte die Staatsanwaltschaft zum Einschreiten auf, weil wir
uns erlaubt hatten, auf die Chancen hinzuweisen, welche der A. 41. der
Reichsverfassung dem Reich gerade Württemberg gegenüber in Aussicht stellte!
Dieselbe Demokratie, welche noch am 6. Januar unter dem Einfluß Sonne-
mann's sich für die Reichseisenbahnen mit der Beschränkung auf Nord¬
deutschland und unter der Voraussetzung eines verantwortlichen Verkehrs¬
ministers in öffentlicher Resolution ausgesprochen, nachträglich aber
für gut befunden hatte, der Parole des Hoff zu folgen, welche die Aussicht
eröffnete, der Demokratie jenen Einfluß auf die Staatsregterung wieder zu
sichern, welchen sie seit 1870 unwiederbringlich verloren zu haben schien. Aber
auch einen Theil der "deutschen" Partei schien angesichts der Ungunst des
Hoff plötzlich alles politische Verständniß abhanden gekommen zu sein. Man
drohte von dieser Seite geradezu den Reichstagsabgeordneten, welche für die
Vorlage der Reichsregierung stimmen würden, ihnen in ihren Wahlkreisen
den Boden für die nächste Wahl zu untergraben; -- man glaubte ja im



') Vergl. Heft 2. d. Bl. von 1876.

der Regierungspartei, wie jenen Halben und Unentschlossenen der nationalen
Partei, alle selbständig auftretenden Mitglieder der letzteren auf leichte Weise
anzufeinden; man stand damit bereits auf demselben Boden mit den Demo¬
kraten und Ultramontanen.

Selbst im Reichstag wurde die Kluft zwischen denjenigen Mitgliedern,
welche in directem Rapport mit der Regierung standen, und denjenigen, welche
sich ihre Unabhängigkeit als Volksvertreter zu wahren wußten, immer größer.
Letztere wurden offen und geheim in jeder Weise angefeindet, zum Theil
unter dem stillen Zusammenwirken einiger Spitzen des Beamtentums mit
der Demokratie des Beobachters und der Frankfurter'Zeitung verfolgt.

So standen die Dinge, als, wie ein reinigendes Gewitter, die Reichs«
eisenbahnfrage in den Vordergrund des politischen Interesses trat. Ihr Be¬
richterstatter war bekanntlich unter den Ersten, welche für dasselbe eintraten,
indem er schon um Weihnachten*) die politische Situation Württembergs
gegenüber dem Reichseisenbahnproject, allerdings in durchaus realistischer
Weise, wie es eine solche Frage mit sich bringt, darzustellen suchte. Selbst
die Gegner haben die thatsächliche Richtigkeit seiner Voraussetzungen nicht
zu bestreiten vermocht. Um so größer war die Erbitterung, mit welcher die
particularistische Presse, insbesondere die Frankfurter Zettung und der Stutt¬
garter Beobachter über uns herfielen. Es trat dabei zu Tage, daß einer der
ersten Beamten der obersten Eisenbahnverwaltung, sowie ein bekannter Ex-
redacteur des Beobachters zusammenarbeiteten, ersterer das Material, letzterer
den Geist und die Form liefernd. Unsere Hofdemokratie schrie über Landes-
verrath und forderte die Staatsanwaltschaft zum Einschreiten auf, weil wir
uns erlaubt hatten, auf die Chancen hinzuweisen, welche der A. 41. der
Reichsverfassung dem Reich gerade Württemberg gegenüber in Aussicht stellte!
Dieselbe Demokratie, welche noch am 6. Januar unter dem Einfluß Sonne-
mann's sich für die Reichseisenbahnen mit der Beschränkung auf Nord¬
deutschland und unter der Voraussetzung eines verantwortlichen Verkehrs¬
ministers in öffentlicher Resolution ausgesprochen, nachträglich aber
für gut befunden hatte, der Parole des Hoff zu folgen, welche die Aussicht
eröffnete, der Demokratie jenen Einfluß auf die Staatsregterung wieder zu
sichern, welchen sie seit 1870 unwiederbringlich verloren zu haben schien. Aber
auch einen Theil der „deutschen" Partei schien angesichts der Ungunst des
Hoff plötzlich alles politische Verständniß abhanden gekommen zu sein. Man
drohte von dieser Seite geradezu den Reichstagsabgeordneten, welche für die
Vorlage der Reichsregierung stimmen würden, ihnen in ihren Wahlkreisen
den Boden für die nächste Wahl zu untergraben; — man glaubte ja im



') Vergl. Heft 2. d. Bl. von 1876.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/114>, abgerufen am 27.11.2024.