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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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'stritten hatte und demgemäß dem Reich nach Z 48 derselben nur die Controle,
aber nicht die dispositive Gesetzgebung über das Tarifwesen zuerkannt worden
war, hat Herr v. Varnbüler die Kühnheit, dem Reich den Borwurf zu machen,
daß es nicht bisher schon statt des neuesten Projects durch einfache Reichs¬
gesetzgebung einen gemeinsamen Tarif gemacht habe, ohne natürlich seinen
Lesern auch nur anzudeuten, daß auf diesem Weg bei der außerordentlichen
Verschiedenheit der Anlagekosten, unser finanzielles Wohl in ganz anderer
Weise wider unseren Willen geschädigt werden könnte, als durch den Ankauf
der Bahnen gegen angemessenen Preis. Von einem Mann ferner, welchem
als Reichstagsmitglied die besten Informationen zu Gebot stehen, insbesondere
was die Schwierigkeit und Kostspieligkeit des Betriebs der Bahnen im Reichs¬
land und den unverhältnißmäßigen Kaufpreis derselben betrifft, sollte man
kaum glauben, daß er die, neuerdings übrigens erheblich gesteigerte Rente
dieser Bahnen als Beweis dafür anführen werde, wie voraussichtlich das Reich
mit den Bahnen wirthschaften würde! Er könnte ferner wissen, nöthigenfalls
aus dem Bericht des badischen Abgeordneten Pflüger entnehmen, daß der
Rückgang der badischen Eisenbahnrente mit der Annahme des sog. natür¬
lichen Tarifsystems durchaus nicht in causalem Zusammenhang steht. Er
durfte namentlich nicht verschweigen, daß dieses System sich nach dem Zeug¬
niß der Elsässer Industriellen insbesondere des EnquStecommissionsmitglieds
G. Bergmann im Elsaß durchaus erprobt hat. Herr von Varnbüler konnte
und mußte ferner wissen, daß trotz der sehr willkürlichen Berechnung des
Reinertrags unserer württembergischen Bahnen -- namentlich auch gegenüber
dem Etat der Forst- und Hüttenverwaltung -- trotz der kargen Bezahlung
eines äußerst angestrengten Personals und der Unmöglichkeit, in Folge hiervon,
auf den einspurigen Bahnen ohne sehr beträchtliche Erhöhung der Betriebs¬
kosten die anderwärts bestehenden Nachtschnellzüge herzustellen, kurz daß trotz
all' unserer die Verkehrsinteressen beeinträchtigenden Sparsamkeit unsere Bahnen
1874 nur eine Rente von 3,05, die preußischen dagegen fast den doppelten
Ertrag abwarfen: und dennoch das Schreckbild eines großen Deficits, der
Vorwurf unpraktisch theurer Verwaltung durch das Reich I Es ist übrigens
sehr interessant, dieß alles schon in unes in jener Rede Varnbüler's vom
11. Dezember 1867 vorzufinden, woselbst er auch die Etsenbahnfrage behan¬
delte und dabei laut Protocoll so hübsch andeutete, "die Kammer werde
wohl mehr Vertrauen in seine (Varnbüler's) Eisenbahnver¬
waltung haben, als in diejenige des norddeutschen Bundes¬
kanzlers!" Natürlich fragt man jetzt allgemein nach der Ursache dieses
neuesten Rückfalls des Henninger Staatsmanns und unterrichtete Kreise
wollen dieselbe in gewissen Zurückweisungen finden, welche er in letzter Zeit
in Berlin erfahren haben soll, ja es scheint fast, als habe Herr v. Varnbüler


'stritten hatte und demgemäß dem Reich nach Z 48 derselben nur die Controle,
aber nicht die dispositive Gesetzgebung über das Tarifwesen zuerkannt worden
war, hat Herr v. Varnbüler die Kühnheit, dem Reich den Borwurf zu machen,
daß es nicht bisher schon statt des neuesten Projects durch einfache Reichs¬
gesetzgebung einen gemeinsamen Tarif gemacht habe, ohne natürlich seinen
Lesern auch nur anzudeuten, daß auf diesem Weg bei der außerordentlichen
Verschiedenheit der Anlagekosten, unser finanzielles Wohl in ganz anderer
Weise wider unseren Willen geschädigt werden könnte, als durch den Ankauf
der Bahnen gegen angemessenen Preis. Von einem Mann ferner, welchem
als Reichstagsmitglied die besten Informationen zu Gebot stehen, insbesondere
was die Schwierigkeit und Kostspieligkeit des Betriebs der Bahnen im Reichs¬
land und den unverhältnißmäßigen Kaufpreis derselben betrifft, sollte man
kaum glauben, daß er die, neuerdings übrigens erheblich gesteigerte Rente
dieser Bahnen als Beweis dafür anführen werde, wie voraussichtlich das Reich
mit den Bahnen wirthschaften würde! Er könnte ferner wissen, nöthigenfalls
aus dem Bericht des badischen Abgeordneten Pflüger entnehmen, daß der
Rückgang der badischen Eisenbahnrente mit der Annahme des sog. natür¬
lichen Tarifsystems durchaus nicht in causalem Zusammenhang steht. Er
durfte namentlich nicht verschweigen, daß dieses System sich nach dem Zeug¬
niß der Elsässer Industriellen insbesondere des EnquStecommissionsmitglieds
G. Bergmann im Elsaß durchaus erprobt hat. Herr von Varnbüler konnte
und mußte ferner wissen, daß trotz der sehr willkürlichen Berechnung des
Reinertrags unserer württembergischen Bahnen — namentlich auch gegenüber
dem Etat der Forst- und Hüttenverwaltung — trotz der kargen Bezahlung
eines äußerst angestrengten Personals und der Unmöglichkeit, in Folge hiervon,
auf den einspurigen Bahnen ohne sehr beträchtliche Erhöhung der Betriebs¬
kosten die anderwärts bestehenden Nachtschnellzüge herzustellen, kurz daß trotz
all' unserer die Verkehrsinteressen beeinträchtigenden Sparsamkeit unsere Bahnen
1874 nur eine Rente von 3,05, die preußischen dagegen fast den doppelten
Ertrag abwarfen: und dennoch das Schreckbild eines großen Deficits, der
Vorwurf unpraktisch theurer Verwaltung durch das Reich I Es ist übrigens
sehr interessant, dieß alles schon in unes in jener Rede Varnbüler's vom
11. Dezember 1867 vorzufinden, woselbst er auch die Etsenbahnfrage behan¬
delte und dabei laut Protocoll so hübsch andeutete, „die Kammer werde
wohl mehr Vertrauen in seine (Varnbüler's) Eisenbahnver¬
waltung haben, als in diejenige des norddeutschen Bundes¬
kanzlers!" Natürlich fragt man jetzt allgemein nach der Ursache dieses
neuesten Rückfalls des Henninger Staatsmanns und unterrichtete Kreise
wollen dieselbe in gewissen Zurückweisungen finden, welche er in letzter Zeit
in Berlin erfahren haben soll, ja es scheint fast, als habe Herr v. Varnbüler


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/112>, abgerufen am 24.11.2024.