Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.verdient sein offenes Wort, Wenn ich kurz erwidere, geschieht es, um wo¬ Im Reichsverwaltungsrechte die Grundlage des Landesverwaltungsrechts, Der sächsische Gesetzgeber wählte den Ausweg, den Staat vorläufig zum Grenzboten II 1870. 14
verdient sein offenes Wort, Wenn ich kurz erwidere, geschieht es, um wo¬ Im Reichsverwaltungsrechte die Grundlage des Landesverwaltungsrechts, Der sächsische Gesetzgeber wählte den Ausweg, den Staat vorläufig zum Grenzboten II 1870. 14
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135690"/> <p xml:id="ID_410" prev="#ID_409"> verdient sein offenes Wort, Wenn ich kurz erwidere, geschieht es, um wo¬<lb/> möglich auf die zeitgemäßen und wichtigen Fragen noch ein paar Streiflichter<lb/> fallen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_411"> Im Reichsverwaltungsrechte die Grundlage des Landesverwaltungsrechts,<lb/> in den Reichseinrichtungen die Grundlagen der Landeseinrichtungen erkennend<lb/> mußte ich mich im Jahre 1870 fragen, wie wohl der sächsische Gesetzgeber der<lb/> Verpflichtung zur Ausführung des Reichsgesetzes über den Unterstützungs¬<lb/> wohnsitz nachkommen könne. Die neue Verwaltungsgesetzgebung stand noch<lb/> nicht unmittelbar in Aussicht, es galt nach Mitteln und Wegen auszuschauen,<lb/> die die Verwirklichung der Reichsgesetzgebung ermöglichten. Die Bezirksar¬<lb/> menvereine lehnen sich blos ausnahmsweise an eine Landeseintheilung an, es<lb/> verstand sich von selbst, daß sie nicht ohne Weiteres zu Landarmenverbänden<lb/> erklärt werden konnten. Dagegen schien es mir nicht außer aller Möglichkeit<lb/> die Bezirksarmenvereine auf dem Wege der Verhandlungen so umzugestalten,<lb/> daß sie in dieser neuen Form als Landarmenverbände zu dienen vermöchten.<lb/> Hochwichtige hochverdienstliche Gestaltungen wie die Bezirksarmenvereine<lb/> dürfen vom Gesetzgeber keinem ungewissen Schicksale überlassen werden. Wollte<lb/> man die Bezirksarmenvereine einer ähnlichen Selbstauflösung Preis geben wie<lb/> einst die Altgemeinden, würde das den Selbstverwaltungstrieb im Volke ohne<lb/> Zweifel erheblich schädigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_412" next="#ID_413"> Der sächsische Gesetzgeber wählte den Ausweg, den Staat vorläufig zum<lb/> Landarmenvervande zu erklären. Zu welchen Mißständen dies führte, schildert<lb/> Herr Wittgenstein in beredter Weise. Die dauernde Regelung des Land¬<lb/> armenwesens ist damit nur um so schwerer geworden, wenn man den durch<lb/> die Verwaltungsgesetzgebung von 1873 eröffneten Weg nicht betreten will.<lb/> Daß die Übertragung des Landarmenwesens auf die neugebildeten Bezirks¬<lb/> verbände nicht schon früher zur Erörterung gelangte, hat mich nicht Wunder<lb/> genommen. Der Kreisstandpunkt ist nicht so leicht zu überwinden. Dennoch<lb/> will es mir scheinen, als ob die Dinge bereits weiter gediehen wären, als<lb/> ob die Bezirksverfassung das Uebergewicht über die Kreisverfassung schon er-<lb/> langt hätte. Die Entwickelung muß sich auch verhältnißmäßig rasch vollziehen,<lb/> da die Regierungsbezirke vordem ebenfalls nur staatsverwaltende Bedeutung<lb/> hatten. Es kommt im Wesentlichen darauf an in die Anschauungsweise sich<lb/> einzuleben, daß, wie ich wohl nur in etwas anderer Fassung als Herr Wittgen¬<lb/> stein sage, die Richtung der Zeit auf Stärkung und Ausgestaltung der obersten<lb/> und der niederen Verwaltung geht. Natürlich kann dies lediglich auf Kosten<lb/> der höheren Verwaltung geschehen. Die Kreise, die Regierungsbezirke müssen<lb/> zurücktreten, wenn die Bezirke gewinnen. Mit besonderer Klarheit wurde dies<lb/> w Baden erkannt und ich kann mich von der Vorstellung nicht trennen, daß<lb/> der badische Landeskommissär (Kreishauptmann, Regierungspräsident) als das</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1870. 14</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
verdient sein offenes Wort, Wenn ich kurz erwidere, geschieht es, um wo¬
möglich auf die zeitgemäßen und wichtigen Fragen noch ein paar Streiflichter
fallen zu lassen.
Im Reichsverwaltungsrechte die Grundlage des Landesverwaltungsrechts,
in den Reichseinrichtungen die Grundlagen der Landeseinrichtungen erkennend
mußte ich mich im Jahre 1870 fragen, wie wohl der sächsische Gesetzgeber der
Verpflichtung zur Ausführung des Reichsgesetzes über den Unterstützungs¬
wohnsitz nachkommen könne. Die neue Verwaltungsgesetzgebung stand noch
nicht unmittelbar in Aussicht, es galt nach Mitteln und Wegen auszuschauen,
die die Verwirklichung der Reichsgesetzgebung ermöglichten. Die Bezirksar¬
menvereine lehnen sich blos ausnahmsweise an eine Landeseintheilung an, es
verstand sich von selbst, daß sie nicht ohne Weiteres zu Landarmenverbänden
erklärt werden konnten. Dagegen schien es mir nicht außer aller Möglichkeit
die Bezirksarmenvereine auf dem Wege der Verhandlungen so umzugestalten,
daß sie in dieser neuen Form als Landarmenverbände zu dienen vermöchten.
Hochwichtige hochverdienstliche Gestaltungen wie die Bezirksarmenvereine
dürfen vom Gesetzgeber keinem ungewissen Schicksale überlassen werden. Wollte
man die Bezirksarmenvereine einer ähnlichen Selbstauflösung Preis geben wie
einst die Altgemeinden, würde das den Selbstverwaltungstrieb im Volke ohne
Zweifel erheblich schädigen.
Der sächsische Gesetzgeber wählte den Ausweg, den Staat vorläufig zum
Landarmenvervande zu erklären. Zu welchen Mißständen dies führte, schildert
Herr Wittgenstein in beredter Weise. Die dauernde Regelung des Land¬
armenwesens ist damit nur um so schwerer geworden, wenn man den durch
die Verwaltungsgesetzgebung von 1873 eröffneten Weg nicht betreten will.
Daß die Übertragung des Landarmenwesens auf die neugebildeten Bezirks¬
verbände nicht schon früher zur Erörterung gelangte, hat mich nicht Wunder
genommen. Der Kreisstandpunkt ist nicht so leicht zu überwinden. Dennoch
will es mir scheinen, als ob die Dinge bereits weiter gediehen wären, als
ob die Bezirksverfassung das Uebergewicht über die Kreisverfassung schon er-
langt hätte. Die Entwickelung muß sich auch verhältnißmäßig rasch vollziehen,
da die Regierungsbezirke vordem ebenfalls nur staatsverwaltende Bedeutung
hatten. Es kommt im Wesentlichen darauf an in die Anschauungsweise sich
einzuleben, daß, wie ich wohl nur in etwas anderer Fassung als Herr Wittgen¬
stein sage, die Richtung der Zeit auf Stärkung und Ausgestaltung der obersten
und der niederen Verwaltung geht. Natürlich kann dies lediglich auf Kosten
der höheren Verwaltung geschehen. Die Kreise, die Regierungsbezirke müssen
zurücktreten, wenn die Bezirke gewinnen. Mit besonderer Klarheit wurde dies
w Baden erkannt und ich kann mich von der Vorstellung nicht trennen, daß
der badische Landeskommissär (Kreishauptmann, Regierungspräsident) als das
Grenzboten II 1870. 14
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