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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Aeser Gesundheitspflege.

In England besteht zur Zeit in jeder Stadt, jedem Marktflecken und
Kirchspiele eine Gesundheitsbehörde, loca! boarä vt dsaltti, welche durch freie
Wahl aus allen Ständen der Gemeinde sich zusammensetzt und nur an die
Mitgliedschaft wenigstens eines Arztes von Fach, okncsr ok luzaltk, gebunden
ist. Woran liegt es, daß ungeachtet zahlreicher Mahnungen innerhalb der
Volksvertretung und der Presse bei uns in Deutschland diese wichtige Ange¬
legenheit so langsam fortschreitet? -- Ein Anfang ist zwar gemacht, es
extstiren schon an einigen Orten Vereine für öffentliche Gesundheitspflege,
darunter einzelne, die einen segensreichen Eifer entwickeln, auch reisen ange¬
sehene Aerzte umher, halten Vorträge über den Gegenstand und treiben zu
neuen Bildungen an. Noch ist aber nicht zu bemerken, daß nur eine Anzahl
einflußreicher Persönlichkeiten in großen Städten sich für die Sache interessirte
und sich ihrer kräftig annähme, geschweige daß auch der Durchschnittsbürger
von der Ueberzeugung ausging, daß an seinem Orte, sei er noch so klein, ein
solcher Verein, wenn er nicht schon vorhanden, möglich und vonnöthen ist,
und strebte, ihn ins Leben rufen zu helfen.

Jene großartige Organisation entstand auf Betrieb des bygieinischen
Schriftstellers (er war nicht Mediciner von Fach) Soudwood Smith, welcher
vor 37 Jahren eine Agitation für Herbeiführung besserer Gesetze unternahm.
Nicht an Aerzte wandte er sich, sondern an Laien, und suchte diese weniger
durch Worte, als durch Darlegung von Thatsachen von der Nothwendigkeit
gewisser Aenderungen zu überzeugen. Nachdem statistisch festgestellt war, daß
in Großbritannien jährlich 160,000 Personen durch mangelnde Gesundheits¬
pflege ums Leben kommen, erhob ein Theil der Presse die Stimme und
machte die Sanitätsreform zu ihrer eigenen Sache. Sie wurde Tagesgespräch
und der Druck der öffentlichen Meinung nöthigte das Parlament zu einer
Reihe von Gesetzen, welche für uns ein Vorbild sein können. Der Grundsatz
ward aufgestellt, daß jede Ortschaft in Bezug auf ihre Gesundheitsverhält-


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Aeser Gesundheitspflege.

In England besteht zur Zeit in jeder Stadt, jedem Marktflecken und
Kirchspiele eine Gesundheitsbehörde, loca! boarä vt dsaltti, welche durch freie
Wahl aus allen Ständen der Gemeinde sich zusammensetzt und nur an die
Mitgliedschaft wenigstens eines Arztes von Fach, okncsr ok luzaltk, gebunden
ist. Woran liegt es, daß ungeachtet zahlreicher Mahnungen innerhalb der
Volksvertretung und der Presse bei uns in Deutschland diese wichtige Ange¬
legenheit so langsam fortschreitet? — Ein Anfang ist zwar gemacht, es
extstiren schon an einigen Orten Vereine für öffentliche Gesundheitspflege,
darunter einzelne, die einen segensreichen Eifer entwickeln, auch reisen ange¬
sehene Aerzte umher, halten Vorträge über den Gegenstand und treiben zu
neuen Bildungen an. Noch ist aber nicht zu bemerken, daß nur eine Anzahl
einflußreicher Persönlichkeiten in großen Städten sich für die Sache interessirte
und sich ihrer kräftig annähme, geschweige daß auch der Durchschnittsbürger
von der Ueberzeugung ausging, daß an seinem Orte, sei er noch so klein, ein
solcher Verein, wenn er nicht schon vorhanden, möglich und vonnöthen ist,
und strebte, ihn ins Leben rufen zu helfen.

Jene großartige Organisation entstand auf Betrieb des bygieinischen
Schriftstellers (er war nicht Mediciner von Fach) Soudwood Smith, welcher
vor 37 Jahren eine Agitation für Herbeiführung besserer Gesetze unternahm.
Nicht an Aerzte wandte er sich, sondern an Laien, und suchte diese weniger
durch Worte, als durch Darlegung von Thatsachen von der Nothwendigkeit
gewisser Aenderungen zu überzeugen. Nachdem statistisch festgestellt war, daß
in Großbritannien jährlich 160,000 Personen durch mangelnde Gesundheits¬
pflege ums Leben kommen, erhob ein Theil der Presse die Stimme und
machte die Sanitätsreform zu ihrer eigenen Sache. Sie wurde Tagesgespräch
und der Druck der öffentlichen Meinung nöthigte das Parlament zu einer
Reihe von Gesetzen, welche für uns ein Vorbild sein können. Der Grundsatz
ward aufgestellt, daß jede Ortschaft in Bezug auf ihre Gesundheitsverhält-


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[0089] Aeser Gesundheitspflege. In England besteht zur Zeit in jeder Stadt, jedem Marktflecken und Kirchspiele eine Gesundheitsbehörde, loca! boarä vt dsaltti, welche durch freie Wahl aus allen Ständen der Gemeinde sich zusammensetzt und nur an die Mitgliedschaft wenigstens eines Arztes von Fach, okncsr ok luzaltk, gebunden ist. Woran liegt es, daß ungeachtet zahlreicher Mahnungen innerhalb der Volksvertretung und der Presse bei uns in Deutschland diese wichtige Ange¬ legenheit so langsam fortschreitet? — Ein Anfang ist zwar gemacht, es extstiren schon an einigen Orten Vereine für öffentliche Gesundheitspflege, darunter einzelne, die einen segensreichen Eifer entwickeln, auch reisen ange¬ sehene Aerzte umher, halten Vorträge über den Gegenstand und treiben zu neuen Bildungen an. Noch ist aber nicht zu bemerken, daß nur eine Anzahl einflußreicher Persönlichkeiten in großen Städten sich für die Sache interessirte und sich ihrer kräftig annähme, geschweige daß auch der Durchschnittsbürger von der Ueberzeugung ausging, daß an seinem Orte, sei er noch so klein, ein solcher Verein, wenn er nicht schon vorhanden, möglich und vonnöthen ist, und strebte, ihn ins Leben rufen zu helfen. Jene großartige Organisation entstand auf Betrieb des bygieinischen Schriftstellers (er war nicht Mediciner von Fach) Soudwood Smith, welcher vor 37 Jahren eine Agitation für Herbeiführung besserer Gesetze unternahm. Nicht an Aerzte wandte er sich, sondern an Laien, und suchte diese weniger durch Worte, als durch Darlegung von Thatsachen von der Nothwendigkeit gewisser Aenderungen zu überzeugen. Nachdem statistisch festgestellt war, daß in Großbritannien jährlich 160,000 Personen durch mangelnde Gesundheits¬ pflege ums Leben kommen, erhob ein Theil der Presse die Stimme und machte die Sanitätsreform zu ihrer eigenen Sache. Sie wurde Tagesgespräch und der Druck der öffentlichen Meinung nöthigte das Parlament zu einer Reihe von Gesetzen, welche für uns ein Vorbild sein können. Der Grundsatz ward aufgestellt, daß jede Ortschaft in Bezug auf ihre Gesundheitsverhält- Grcnzboten I. 187K. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/89>, abgerufen am 22.07.2024.