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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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stadt Reutlingen (in südlicher Abzweigung nach Sigmaringen) - Ulm aus¬
gesprochen. Von badischer Seite ist diese Linie von Appenweier bis Oppenau
bereits in Angriff genommen, und die neueste officielle Karte des Reichseisen¬
bahnamts hat auch die Fortsetzung derselben bis Freudenstadt schon einge¬
zeichnet. In den Stuttgarter Kreisen sieht man längst dieser directen Linie
Straßburg-Ulm, welche, zumal in den Händen des Reichs unsere ganze bis¬
herige Eisenbahnverwaltung aus den Angeln heben würde, mit ernster und
begründeter Sorge entgegen. Um diese Gefahr vorläufig zu beseitigen, den
ganzen Verkehr Paris-Wien auf der Stuttgarter Linie festzuhalten, war erst
vor kurzem die kostspielige Linie Stuttgart-Bodungen-Freudenstadt und die
schon mit der Herstellung der Linie Oppenau-Freudenstadt völlig nutzlose
Bogenlinie Freudenstadt-Schiltach-Hausach von unserer Ständekammer be¬
schlossen worden, möglicherweise ein höchst verhängnißvoller Schritt für die
Finanzen des Staats. Wie nun aber, wenn das Reich, im Besitz der badischen
Bahn bis Oppenau nach Art. 41 der Reichsverfassung "im Interesse der
Vertheidigung Deutschlands" die Linie Straßburg-Ulm, d. h. die verhältni߬
mäßig kurze Strecke Oppenau-Freudenstadt-Ulm für seine Rechnung anzulegen
beschließt? Dazu bedarf es, wie schon bemerkt, keiner Verfassungsänderung,
sondern nur eines einfachen Reichsgesetzes und disponibler Mittel.

Das Reich sorgt damit nicht nur für die Vertheidigung Deutschlands, sondern
befriedigt auch ein dringendes Bedürfniß des gemeinsamen Verkehrs, welches
schon längst diese directe Linie von Westen nach Osten forderte. Aber eben¬
sogewiß ist auch, daß in dem Augenblick, wo das Reich diesen Beschluß fassen
wird, der Staat Württemberg, will er seine Finanzen nicht geradezu ruiniren,
sich zur Abtretung seiner Bahnen an das Reich bereit erklären muß, da das
letztere mit der Linie Straßburg - Ulm die Are des ganzen würde. Bahnverkehrs
ohnehin in seine Hand bekommen würde. Sie sehen hieraus, daß der Plan
der Erwerbung der Eisenbahnen durch das Reich auch von Süden aus be¬
trachtet durchaus nichts Abenteuerliches an sich trägt. Wir begrüßen in
demselben vielmehr nicht nur die einzige des Reiches würdige und nicht mehr
länger aufzuschiebende Lösung des Problems einer einheitlichen Eisenbahn¬
gesetzgebung und Verwaltung, sondern finden darin auch das beste Heilmittel
für gewisse innere staatliche Gebrechen; denn nur auf diesem Weg ist es
möglich, eine Quelle langjähriger Korruption des gesammten öffentlichen
Lebens in denjenigen Staaten zu verstopfen, in welchen bisher der Eisenbahn¬
mangel des Staats sich alle andere politischen Interessen unterthänig zu
machen, den Egoismus an die Stelle der politischen Grundsätze zu setzen
vermocht hat.

Wenn dessenungeachtet in den letzten Tagen ein Stuttgarter Localblatt,
welches allgemein als das so zu sagen officiöse Organ der dortigen national-


stadt Reutlingen (in südlicher Abzweigung nach Sigmaringen) - Ulm aus¬
gesprochen. Von badischer Seite ist diese Linie von Appenweier bis Oppenau
bereits in Angriff genommen, und die neueste officielle Karte des Reichseisen¬
bahnamts hat auch die Fortsetzung derselben bis Freudenstadt schon einge¬
zeichnet. In den Stuttgarter Kreisen sieht man längst dieser directen Linie
Straßburg-Ulm, welche, zumal in den Händen des Reichs unsere ganze bis¬
herige Eisenbahnverwaltung aus den Angeln heben würde, mit ernster und
begründeter Sorge entgegen. Um diese Gefahr vorläufig zu beseitigen, den
ganzen Verkehr Paris-Wien auf der Stuttgarter Linie festzuhalten, war erst
vor kurzem die kostspielige Linie Stuttgart-Bodungen-Freudenstadt und die
schon mit der Herstellung der Linie Oppenau-Freudenstadt völlig nutzlose
Bogenlinie Freudenstadt-Schiltach-Hausach von unserer Ständekammer be¬
schlossen worden, möglicherweise ein höchst verhängnißvoller Schritt für die
Finanzen des Staats. Wie nun aber, wenn das Reich, im Besitz der badischen
Bahn bis Oppenau nach Art. 41 der Reichsverfassung „im Interesse der
Vertheidigung Deutschlands" die Linie Straßburg-Ulm, d. h. die verhältni߬
mäßig kurze Strecke Oppenau-Freudenstadt-Ulm für seine Rechnung anzulegen
beschließt? Dazu bedarf es, wie schon bemerkt, keiner Verfassungsänderung,
sondern nur eines einfachen Reichsgesetzes und disponibler Mittel.

Das Reich sorgt damit nicht nur für die Vertheidigung Deutschlands, sondern
befriedigt auch ein dringendes Bedürfniß des gemeinsamen Verkehrs, welches
schon längst diese directe Linie von Westen nach Osten forderte. Aber eben¬
sogewiß ist auch, daß in dem Augenblick, wo das Reich diesen Beschluß fassen
wird, der Staat Württemberg, will er seine Finanzen nicht geradezu ruiniren,
sich zur Abtretung seiner Bahnen an das Reich bereit erklären muß, da das
letztere mit der Linie Straßburg - Ulm die Are des ganzen würde. Bahnverkehrs
ohnehin in seine Hand bekommen würde. Sie sehen hieraus, daß der Plan
der Erwerbung der Eisenbahnen durch das Reich auch von Süden aus be¬
trachtet durchaus nichts Abenteuerliches an sich trägt. Wir begrüßen in
demselben vielmehr nicht nur die einzige des Reiches würdige und nicht mehr
länger aufzuschiebende Lösung des Problems einer einheitlichen Eisenbahn¬
gesetzgebung und Verwaltung, sondern finden darin auch das beste Heilmittel
für gewisse innere staatliche Gebrechen; denn nur auf diesem Weg ist es
möglich, eine Quelle langjähriger Korruption des gesammten öffentlichen
Lebens in denjenigen Staaten zu verstopfen, in welchen bisher der Eisenbahn¬
mangel des Staats sich alle andere politischen Interessen unterthänig zu
machen, den Egoismus an die Stelle der politischen Grundsätze zu setzen
vermocht hat.

Wenn dessenungeachtet in den letzten Tagen ein Stuttgarter Localblatt,
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[0082] stadt Reutlingen (in südlicher Abzweigung nach Sigmaringen) - Ulm aus¬ gesprochen. Von badischer Seite ist diese Linie von Appenweier bis Oppenau bereits in Angriff genommen, und die neueste officielle Karte des Reichseisen¬ bahnamts hat auch die Fortsetzung derselben bis Freudenstadt schon einge¬ zeichnet. In den Stuttgarter Kreisen sieht man längst dieser directen Linie Straßburg-Ulm, welche, zumal in den Händen des Reichs unsere ganze bis¬ herige Eisenbahnverwaltung aus den Angeln heben würde, mit ernster und begründeter Sorge entgegen. Um diese Gefahr vorläufig zu beseitigen, den ganzen Verkehr Paris-Wien auf der Stuttgarter Linie festzuhalten, war erst vor kurzem die kostspielige Linie Stuttgart-Bodungen-Freudenstadt und die schon mit der Herstellung der Linie Oppenau-Freudenstadt völlig nutzlose Bogenlinie Freudenstadt-Schiltach-Hausach von unserer Ständekammer be¬ schlossen worden, möglicherweise ein höchst verhängnißvoller Schritt für die Finanzen des Staats. Wie nun aber, wenn das Reich, im Besitz der badischen Bahn bis Oppenau nach Art. 41 der Reichsverfassung „im Interesse der Vertheidigung Deutschlands" die Linie Straßburg-Ulm, d. h. die verhältni߬ mäßig kurze Strecke Oppenau-Freudenstadt-Ulm für seine Rechnung anzulegen beschließt? Dazu bedarf es, wie schon bemerkt, keiner Verfassungsänderung, sondern nur eines einfachen Reichsgesetzes und disponibler Mittel. Das Reich sorgt damit nicht nur für die Vertheidigung Deutschlands, sondern befriedigt auch ein dringendes Bedürfniß des gemeinsamen Verkehrs, welches schon längst diese directe Linie von Westen nach Osten forderte. Aber eben¬ sogewiß ist auch, daß in dem Augenblick, wo das Reich diesen Beschluß fassen wird, der Staat Württemberg, will er seine Finanzen nicht geradezu ruiniren, sich zur Abtretung seiner Bahnen an das Reich bereit erklären muß, da das letztere mit der Linie Straßburg - Ulm die Are des ganzen würde. Bahnverkehrs ohnehin in seine Hand bekommen würde. Sie sehen hieraus, daß der Plan der Erwerbung der Eisenbahnen durch das Reich auch von Süden aus be¬ trachtet durchaus nichts Abenteuerliches an sich trägt. Wir begrüßen in demselben vielmehr nicht nur die einzige des Reiches würdige und nicht mehr länger aufzuschiebende Lösung des Problems einer einheitlichen Eisenbahn¬ gesetzgebung und Verwaltung, sondern finden darin auch das beste Heilmittel für gewisse innere staatliche Gebrechen; denn nur auf diesem Weg ist es möglich, eine Quelle langjähriger Korruption des gesammten öffentlichen Lebens in denjenigen Staaten zu verstopfen, in welchen bisher der Eisenbahn¬ mangel des Staats sich alle andere politischen Interessen unterthänig zu machen, den Egoismus an die Stelle der politischen Grundsätze zu setzen vermocht hat. Wenn dessenungeachtet in den letzten Tagen ein Stuttgarter Localblatt, welches allgemein als das so zu sagen officiöse Organ der dortigen national-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/82>, abgerufen am 25.08.2024.