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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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mit dem Reich einfassen? und auf wessen Kosten, mit welchem Erfolg würde
derselbe angefochten? Schon seither ertrugen die württembergischen Bahnen
bei einer Verzinsung des Anlagecapitals zu nahezu 5 °/<> nicht viel mehr als
ein Betrag, welcher sich noch erheblich vermindern würde, wenn unsere
Ertragsberechnungen nach kaufmännischen Regeln ausgeführt würden. Die
neueste Erhöhung der Tarife soll das Deficit vermindern, ist aber wesentlich
dadurch bedingt, daß die Tarifsätze außerhalb Württemberg keine Herabsetzung
erfahren. Thatsächlich ist es nur die Linie von Westen nach Osten, Pforzheim-
Ulm, welche, zur Zeit den directen Verkehr zwischen Paris und Wien ver¬
mittelnd, erhebliche Ueberschüsse gewährt, und das große Deficit der anderen
Buhnen, welche theilweise kaum die Betriebskosten ertragen, auszugleichen
geeignet ist. Alljährlich vermehrt sich die Zahl dieser fast gänzlich erträgst
losen Bahnen und wir sind leider noch lange nicht am Ende einer Entwicklung
angelangt, welche nur die Früchte einer früheren verkehrten Bahnpolitik all-
mälig zeitigt. Während nämlich der engherzige Pnrticularismus, welcher
bis zum Jahr 1870 in derselben herrschte, neben der ungünstigen territorialen
Lage unseres Staats anfänglich dahin geführt hatte, sämmtliche Bahnen in
der Richtung auf die Residenz zu bauen und letztere recht eigentlich zum Herz
des Landes zu machen, legte später die politische Aufschließung des Staats
seit 1870 und die allmältge weitere Ausbildung des in der Peripherie be¬
findlichen Bahnnetzes von Jahr zu Jahr die Nothwendigkett näher, für den
Verkehr mit den Nachbarstaaten, wollte man nicht auf den Transit gänzlich
verzichten, directe Linien herzustellen, sollten dieselben auch noch über Stuttgart
führen. Die ursprünglichen, nach dem Centrum des Landes führenden Haupt¬
bahnen müssen in Folge hiervon mehr und mehr zu Localbahnen werden,
durch welche der Staat sich selbst auf Umwegen Concurrenz macht. Gerade
in dieser Beziehung bildete jetzt die vorerwähnte bisher einträglichste Linie die
schwächste Seite der württembergischen Eisenbahnposition gegenüber dem Reich.
Mit dem Augenblick nämlich, wo die neue Umwallung Straßburgs ihrer
Bollendung entgegengeht, wird die Nothwendigkeit einer directen Verbindung
der beiden größten Wasserplätze des Südens Straßburgs und Ukas sich sofort
praktisch geltend machen. Die seitherige Verbindung über Stuttgart ist nicht
Nur ein beträchtlicher Umweg, sondern für militärische Zwecke so viel wie
unbrauchbar, da in dem engen, von steilen Höhen eingerahmten Thalkessel
von Stuttgart, künftighin nicht weniger als 7 Bahnlinien zusammenlaufen
werden, welche schon in gewöhnlichen Zeiten eine höchst mißliche Stauung
des Personen- und Güterverkehrs zur Folge haben, in den Zeiten einer
Mobilmachung aber geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten werden.
Wie wir hören, hat sich denn auch schon die erste strategische Autorität des
Reichs für die Herstellung der Bahnlinie Straßburg-Appenweier-Freuden-


Grenzboten I. 1876. 10

mit dem Reich einfassen? und auf wessen Kosten, mit welchem Erfolg würde
derselbe angefochten? Schon seither ertrugen die württembergischen Bahnen
bei einer Verzinsung des Anlagecapitals zu nahezu 5 °/<> nicht viel mehr als
ein Betrag, welcher sich noch erheblich vermindern würde, wenn unsere
Ertragsberechnungen nach kaufmännischen Regeln ausgeführt würden. Die
neueste Erhöhung der Tarife soll das Deficit vermindern, ist aber wesentlich
dadurch bedingt, daß die Tarifsätze außerhalb Württemberg keine Herabsetzung
erfahren. Thatsächlich ist es nur die Linie von Westen nach Osten, Pforzheim-
Ulm, welche, zur Zeit den directen Verkehr zwischen Paris und Wien ver¬
mittelnd, erhebliche Ueberschüsse gewährt, und das große Deficit der anderen
Buhnen, welche theilweise kaum die Betriebskosten ertragen, auszugleichen
geeignet ist. Alljährlich vermehrt sich die Zahl dieser fast gänzlich erträgst
losen Bahnen und wir sind leider noch lange nicht am Ende einer Entwicklung
angelangt, welche nur die Früchte einer früheren verkehrten Bahnpolitik all-
mälig zeitigt. Während nämlich der engherzige Pnrticularismus, welcher
bis zum Jahr 1870 in derselben herrschte, neben der ungünstigen territorialen
Lage unseres Staats anfänglich dahin geführt hatte, sämmtliche Bahnen in
der Richtung auf die Residenz zu bauen und letztere recht eigentlich zum Herz
des Landes zu machen, legte später die politische Aufschließung des Staats
seit 1870 und die allmältge weitere Ausbildung des in der Peripherie be¬
findlichen Bahnnetzes von Jahr zu Jahr die Nothwendigkett näher, für den
Verkehr mit den Nachbarstaaten, wollte man nicht auf den Transit gänzlich
verzichten, directe Linien herzustellen, sollten dieselben auch noch über Stuttgart
führen. Die ursprünglichen, nach dem Centrum des Landes führenden Haupt¬
bahnen müssen in Folge hiervon mehr und mehr zu Localbahnen werden,
durch welche der Staat sich selbst auf Umwegen Concurrenz macht. Gerade
in dieser Beziehung bildete jetzt die vorerwähnte bisher einträglichste Linie die
schwächste Seite der württembergischen Eisenbahnposition gegenüber dem Reich.
Mit dem Augenblick nämlich, wo die neue Umwallung Straßburgs ihrer
Bollendung entgegengeht, wird die Nothwendigkeit einer directen Verbindung
der beiden größten Wasserplätze des Südens Straßburgs und Ukas sich sofort
praktisch geltend machen. Die seitherige Verbindung über Stuttgart ist nicht
Nur ein beträchtlicher Umweg, sondern für militärische Zwecke so viel wie
unbrauchbar, da in dem engen, von steilen Höhen eingerahmten Thalkessel
von Stuttgart, künftighin nicht weniger als 7 Bahnlinien zusammenlaufen
werden, welche schon in gewöhnlichen Zeiten eine höchst mißliche Stauung
des Personen- und Güterverkehrs zur Folge haben, in den Zeiten einer
Mobilmachung aber geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten werden.
Wie wir hören, hat sich denn auch schon die erste strategische Autorität des
Reichs für die Herstellung der Bahnlinie Straßburg-Appenweier-Freuden-


Grenzboten I. 1876. 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/81>, abgerufen am 25.08.2024.