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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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oder, wo dies der Fall, daß er sofort austreten werde. Die Geräthe der
Freimaurerlogen aber wurden, um die Geheimnisse des Bundes unter die
Leute zu bringen, auf offner Straße verkauft.

Jenes Verbot nun hielt Alexander Murawieff nicht ab, die Loge des
"Sicherheitsvereins" zu gründen, deren Riten und Grade wesentlich der
Maurerei nachgebildet waren, in denen aber furchtbare Eide, Dolche, Gift u, tgi.
eine große Rolle spielten. Der Verein gliederte sich in drei Klassen: Brüder,
Männer und Bojaren. Aus den letzteren wurden die Chefs gewählt. Die
Benennung der dritten und obersten Klasse zeigt deutlich, wie sehr das
aristokratische Element im Bunde überwog. Dasselbe führte zur Bildung
einer neuen Secte, die noch aristokratischer war und sich die "Russischen
Ritter" nannte. Das Ziel der letzteren war einerseits Erlangung einer
Constitution für Rußland, andrerseits Widerstand gegen die geheimen Gesell¬
schaften in Polen. Die beiden Vereine wuchsen schließlich zusammen und
nahmen jetzt die gemeinschaftliche Bezeichnung "Union für das öffent¬
liche Wohl" an. Meinungsverschiedenheiten veranlaßten, daß der Verein
sich wieder auflöste, und eine neue geheime Gesellschaft entstand unter dem
Titel: "Union der Bojaren". Das Programm derselben lief zuerst nur
auf Herabminderung der Gewalt des Czaren und Auflösung der Neichseinheit
in eine Anzahl föderirter Provinzen hinaus. Allmälig aber ging man
weiter, der Kaiser sollte vertrieben oder getödtet und die Republik ausgerufen
werden. Das war den gemäßigtliberalen Mitgliedern der Gesellschaft zu
viel des Schönen und Guten, sie traten aus, und bald darauf löste sich der
Verein, nachdem er seine Documente sorgfältig verbrannt hatte, auf.

Die Revolutionen in Spanien und Italien bewogen Pestel, einen Mann,
welcher an allen bisher genannten Geheimbünden betheiligt gewesen war,
einen neuen zu bilden. Wieder gehörte zum Plane die Ermordung Alexander's
und die Einführung der Republik. Aber die Umstände waren demselben nicht
günstig, und so unterblieb die Sache bis 1824. wo die Gesellschaft "Der
Norden" gegründet wurde, in welcher Pestel abermals der leitende Geist
war. Man hörte jetzt von der Existenz der "Patriotischen Gesellschaft" in
Warschau und beschloß, sich mit derselben in Einvernehmen zu setzen. Dies
gelang. Die russischen Verschwornen verpflichteten sich zur Anerkennung der
Unabhängigkeit Polens, wogegen die polnischen versprachen, den Großfürsten
Konstantin in Warschau zurückzuhalten, während in Rußland die Revolution
durchgeführt werde. Beide Länder sollten auf Verlangen der Polen die republika¬
nische Staatsform annehmen. Die letztere Bedingung mißfiel den Bojaren auf
Seite der Russen, und sie vereinigten sich mit einer anderen Gesellschaft, den
1823 vomArtillerielieuteuantBorisoff gegründeten "Vereinigten Slaven",
die auf einen slavischen Völkerbund hinsteuerten. Die Jnsurrection stand auf


oder, wo dies der Fall, daß er sofort austreten werde. Die Geräthe der
Freimaurerlogen aber wurden, um die Geheimnisse des Bundes unter die
Leute zu bringen, auf offner Straße verkauft.

Jenes Verbot nun hielt Alexander Murawieff nicht ab, die Loge des
„Sicherheitsvereins" zu gründen, deren Riten und Grade wesentlich der
Maurerei nachgebildet waren, in denen aber furchtbare Eide, Dolche, Gift u, tgi.
eine große Rolle spielten. Der Verein gliederte sich in drei Klassen: Brüder,
Männer und Bojaren. Aus den letzteren wurden die Chefs gewählt. Die
Benennung der dritten und obersten Klasse zeigt deutlich, wie sehr das
aristokratische Element im Bunde überwog. Dasselbe führte zur Bildung
einer neuen Secte, die noch aristokratischer war und sich die „Russischen
Ritter" nannte. Das Ziel der letzteren war einerseits Erlangung einer
Constitution für Rußland, andrerseits Widerstand gegen die geheimen Gesell¬
schaften in Polen. Die beiden Vereine wuchsen schließlich zusammen und
nahmen jetzt die gemeinschaftliche Bezeichnung „Union für das öffent¬
liche Wohl" an. Meinungsverschiedenheiten veranlaßten, daß der Verein
sich wieder auflöste, und eine neue geheime Gesellschaft entstand unter dem
Titel: „Union der Bojaren". Das Programm derselben lief zuerst nur
auf Herabminderung der Gewalt des Czaren und Auflösung der Neichseinheit
in eine Anzahl föderirter Provinzen hinaus. Allmälig aber ging man
weiter, der Kaiser sollte vertrieben oder getödtet und die Republik ausgerufen
werden. Das war den gemäßigtliberalen Mitgliedern der Gesellschaft zu
viel des Schönen und Guten, sie traten aus, und bald darauf löste sich der
Verein, nachdem er seine Documente sorgfältig verbrannt hatte, auf.

Die Revolutionen in Spanien und Italien bewogen Pestel, einen Mann,
welcher an allen bisher genannten Geheimbünden betheiligt gewesen war,
einen neuen zu bilden. Wieder gehörte zum Plane die Ermordung Alexander's
und die Einführung der Republik. Aber die Umstände waren demselben nicht
günstig, und so unterblieb die Sache bis 1824. wo die Gesellschaft „Der
Norden" gegründet wurde, in welcher Pestel abermals der leitende Geist
war. Man hörte jetzt von der Existenz der „Patriotischen Gesellschaft" in
Warschau und beschloß, sich mit derselben in Einvernehmen zu setzen. Dies
gelang. Die russischen Verschwornen verpflichteten sich zur Anerkennung der
Unabhängigkeit Polens, wogegen die polnischen versprachen, den Großfürsten
Konstantin in Warschau zurückzuhalten, während in Rußland die Revolution
durchgeführt werde. Beide Länder sollten auf Verlangen der Polen die republika¬
nische Staatsform annehmen. Die letztere Bedingung mißfiel den Bojaren auf
Seite der Russen, und sie vereinigten sich mit einer anderen Gesellschaft, den
1823 vomArtillerielieuteuantBorisoff gegründeten „Vereinigten Slaven",
die auf einen slavischen Völkerbund hinsteuerten. Die Jnsurrection stand auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/76>, abgerufen am 27.09.2024.