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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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welches sich durch Emissäre von der Schweiz nach Russisch-Polen, dem Posen"
schen und nach Galizien verbreitete und unter dem Adel und dessen Anhang
eine große Menge Mitglieder warb. Die Organisation dieser Verbindung war
ähnlich wie die des Jungen Deutschland, über die wir im vorhergehenden
Kapitel das Nothwendigste gesagt haben. Ein hervorragender Chef dieses
geheimen Vereins war Simon Konarski, der sich schon bei der Jnsurrection
von 1830 ausgezeichnet hatte. Um sich für seine Mission in Polen besser zu
verhüllen, lernte er die Uhrmachcrkunst, worauf er nach Lithauen ging, um
hier eine Anzahl Clubs zu stiften, die ihrerseits wieder weiter agitirten und
selbst unter den russischen Offizieren Sympathien fanden. Die russische Poli¬
zei war indeß besser bedient, und gewandter als die, welche sich von den
Emissären Mazzini's hinters Licht führen ließ, und so kam sie 1838 Konarski
auf die Spur. Derselbe wurde verhaftet und verschiedenen Martern unter¬
worfen, damit er die Namen seiner Mitverschwornen angebe. Er blieb jedoch
fest und gestand, obwohl mehrmals grausam geknutet, nichts von dem, was
man von ihm wissen wollte, sodaß der Militärgouverneur von Wolna aus¬
rief: "Das ist ein Mann von Eisen!" Ein russischer Offizier erbot sich, ihm
zur Flucht behülflich zu sein, wurde aber verrathen und zur Strafe als Ge¬
meiner in die Armee gesteckt, die im Kaukasus gegen die Tscherkessen kämpfte.
Konarski aber wurde 1839 hingerichtet. Er starb in den Augen seiner Lands¬
leute als Märtyrer. Das Volk, namentlich die Frauen, rissen seine Kleider
in Stücken, um die Fetzen als Reliquien aufzubewahren. Die Ketten, mit
denen er beladen gewesen, wurden in Ringe verwandelt, die seine Bewunderer
dann trugen. Noch in den vierziger Jahren wurde in Deutschland an Polen¬
freunde eine Lithographie verkauft, die den Dulder mit langem Bart und
schweren Ketten im Kerker darstellte.

Die Verschwörungen gingen dann fort und führten in den letzten Jahren
des fünften Decenniums unsres Jahrhunderts zu den Aufständen in Galizien
und Posen. Einige Zeit vor dem Ausbruche des Krimkrieges entstand aus
ihnen eine geheime Nationalregierung, welche die Vorbereitung einer neuen
Revolution betrieb und kein Mittel zu diesem Zwecke verschmähte- Mehrere
Jahre drang von dem Treiben derselben wenig in die Oeffentlichkeit. Doch
erzählte man sich seltsame Dinge von dieser unterirdischen Behörde. Mitter¬
nächtliche Versammlungen sollten in verborgenen Gewölben abgehalten worden
sein. Verräther waren, wie es hieß, von maskirten und vermummten
Richtern, von deren Wahrspruch es keine Berufung gab. zum Tode verur¬
theilt worden. Die Sendboten jener Nationalregierung waren unvermuthet
in Hütten und Palästen erschienen, um Aufträge auszurichten oder Steuern
abzufordern. Man hatte des Nachts mitten in den volkreichsten Straßen
Ermordete und neben ihnen einen Dolch mit einem Zettel gefunden, der mit


welches sich durch Emissäre von der Schweiz nach Russisch-Polen, dem Posen«
schen und nach Galizien verbreitete und unter dem Adel und dessen Anhang
eine große Menge Mitglieder warb. Die Organisation dieser Verbindung war
ähnlich wie die des Jungen Deutschland, über die wir im vorhergehenden
Kapitel das Nothwendigste gesagt haben. Ein hervorragender Chef dieses
geheimen Vereins war Simon Konarski, der sich schon bei der Jnsurrection
von 1830 ausgezeichnet hatte. Um sich für seine Mission in Polen besser zu
verhüllen, lernte er die Uhrmachcrkunst, worauf er nach Lithauen ging, um
hier eine Anzahl Clubs zu stiften, die ihrerseits wieder weiter agitirten und
selbst unter den russischen Offizieren Sympathien fanden. Die russische Poli¬
zei war indeß besser bedient, und gewandter als die, welche sich von den
Emissären Mazzini's hinters Licht führen ließ, und so kam sie 1838 Konarski
auf die Spur. Derselbe wurde verhaftet und verschiedenen Martern unter¬
worfen, damit er die Namen seiner Mitverschwornen angebe. Er blieb jedoch
fest und gestand, obwohl mehrmals grausam geknutet, nichts von dem, was
man von ihm wissen wollte, sodaß der Militärgouverneur von Wolna aus¬
rief: „Das ist ein Mann von Eisen!" Ein russischer Offizier erbot sich, ihm
zur Flucht behülflich zu sein, wurde aber verrathen und zur Strafe als Ge¬
meiner in die Armee gesteckt, die im Kaukasus gegen die Tscherkessen kämpfte.
Konarski aber wurde 1839 hingerichtet. Er starb in den Augen seiner Lands¬
leute als Märtyrer. Das Volk, namentlich die Frauen, rissen seine Kleider
in Stücken, um die Fetzen als Reliquien aufzubewahren. Die Ketten, mit
denen er beladen gewesen, wurden in Ringe verwandelt, die seine Bewunderer
dann trugen. Noch in den vierziger Jahren wurde in Deutschland an Polen¬
freunde eine Lithographie verkauft, die den Dulder mit langem Bart und
schweren Ketten im Kerker darstellte.

Die Verschwörungen gingen dann fort und führten in den letzten Jahren
des fünften Decenniums unsres Jahrhunderts zu den Aufständen in Galizien
und Posen. Einige Zeit vor dem Ausbruche des Krimkrieges entstand aus
ihnen eine geheime Nationalregierung, welche die Vorbereitung einer neuen
Revolution betrieb und kein Mittel zu diesem Zwecke verschmähte- Mehrere
Jahre drang von dem Treiben derselben wenig in die Oeffentlichkeit. Doch
erzählte man sich seltsame Dinge von dieser unterirdischen Behörde. Mitter¬
nächtliche Versammlungen sollten in verborgenen Gewölben abgehalten worden
sein. Verräther waren, wie es hieß, von maskirten und vermummten
Richtern, von deren Wahrspruch es keine Berufung gab. zum Tode verur¬
theilt worden. Die Sendboten jener Nationalregierung waren unvermuthet
in Hütten und Palästen erschienen, um Aufträge auszurichten oder Steuern
abzufordern. Man hatte des Nachts mitten in den volkreichsten Straßen
Ermordete und neben ihnen einen Dolch mit einem Zettel gefunden, der mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/74>, abgerufen am 19.10.2024.