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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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sprechen, die nach einander im ehemaligen Polen den Versuch machten, die
revolutionären Kräfte im Lande zu organisiren und für einen Aufstand zu
waffaem welcher die alten Zustände zurückführen sollte, in einigen Fällen auch
eine demokratische Republik zum Zwecke hatte, die indeß sehr bald am Ehr¬
geize ihrer Führer gestorben sein oder mit einer Umgestaltung in einen aristo¬
kratischen Staat geendigt haben würden, sodaß die Welt eben wieder jenes
alte Verhältniß gesehen hätte.

Eine der ersten auf Vorbereitung eines Aufstandes gegen Rußland hin¬
wirkenden geheimen Gesellschaften war die der "Wahren Polen", die kurz
nach 1.813 entstand, aber nur wenige Mitglieder zählte und bald nach ihrer
Gründung sich wieder auflöste. 1818 erhob sich eine andere geheime Secte,
die der "Nation aler Freimaurerei", welche den Maurern ihre Sprache,
ihre Grade und Ceremonien entlehnte, aber auf nationale Unabhängigkeit hin¬
strebte. Diese Gesellschaft nahm Personen jedes Standes aus, suchte aber
namentlich Officiere und Beamte an sich heranzuziehen, um deren technische
Kenntniß am Tage des Kampfes nutzbar machen zu können. Es entstanden
eine große Menge Logen, aber trotzdem erhielt sich die Gesellschaft nur wenige
Jahre; denn Uneinigkeit, der alte Erbfehler der Polen, stellte sich auch hier
unter den Mitgliedern ein, und völlige Auflösung wurde nur dadurch ver¬
hütet, daß man den Verein gänzlich umgestaltete. Derselbe änderte seine
Riten und Ceremonien und nannte sich fortan die "Sensenträger", im
Andenken an die Revolution von 1794, wo unter Kosciuszko ganze Regi¬
menter, die nur mit Sensen bewaffnet waren, gefochten hatten. 1821 traten
Abgeordnete dieses Geheimbundes zu Warschau zusammen und entwarfen einen
neuen Plan zur Herbeiführung eines Aufstandes gegen die russische Regierung,
worauf sie den neuen Namen der "Patriotischen Gesellschaft" annah¬
men. Inzwischen hatte sich unter den Studirenden der Universität Wtlna
eine geheime Verbindung gebildet, die indeß von den Russen entdeckt und auf¬
gelöst wurde. Im Jahre 1822 vereinigte sich die Patriotische Gesellschaft mit
dem masonischen Orden der "Neuen Tempelritter", der kurz zuvor vom
Kapitän Majewski in Warschau gestiftet worden war und mit den drei sym¬
bolischen Graden der Freimaurer einen vierten verband, in welchem die Ein¬
zuweihenden schwören mußten, alles, was in ihrer Macht stehe, zu thun, um
das Land von den Fremden zu befreien. Diese Geheimbünde haben allerdings
mitgewirkt, wenn 1830 die Revolution losbrach, aber allein hätten sie die¬
selbe gewiß nicht zu Stande gebracht, und ohne sie wäre der Kampf ebenfalls
begonnen worden.

Die nach dem Mißlingen des Aufstandes auswandernden Polen setzten
theilweise die alten Geheimbünde fort, theilweise schlössen sie sich den Hütten
der französischen Carbonari an. bis 1834 das "Junge Polen" entstand.


Grenjboten I. 1876. 9

sprechen, die nach einander im ehemaligen Polen den Versuch machten, die
revolutionären Kräfte im Lande zu organisiren und für einen Aufstand zu
waffaem welcher die alten Zustände zurückführen sollte, in einigen Fällen auch
eine demokratische Republik zum Zwecke hatte, die indeß sehr bald am Ehr¬
geize ihrer Führer gestorben sein oder mit einer Umgestaltung in einen aristo¬
kratischen Staat geendigt haben würden, sodaß die Welt eben wieder jenes
alte Verhältniß gesehen hätte.

Eine der ersten auf Vorbereitung eines Aufstandes gegen Rußland hin¬
wirkenden geheimen Gesellschaften war die der „Wahren Polen", die kurz
nach 1.813 entstand, aber nur wenige Mitglieder zählte und bald nach ihrer
Gründung sich wieder auflöste. 1818 erhob sich eine andere geheime Secte,
die der „Nation aler Freimaurerei", welche den Maurern ihre Sprache,
ihre Grade und Ceremonien entlehnte, aber auf nationale Unabhängigkeit hin¬
strebte. Diese Gesellschaft nahm Personen jedes Standes aus, suchte aber
namentlich Officiere und Beamte an sich heranzuziehen, um deren technische
Kenntniß am Tage des Kampfes nutzbar machen zu können. Es entstanden
eine große Menge Logen, aber trotzdem erhielt sich die Gesellschaft nur wenige
Jahre; denn Uneinigkeit, der alte Erbfehler der Polen, stellte sich auch hier
unter den Mitgliedern ein, und völlige Auflösung wurde nur dadurch ver¬
hütet, daß man den Verein gänzlich umgestaltete. Derselbe änderte seine
Riten und Ceremonien und nannte sich fortan die „Sensenträger", im
Andenken an die Revolution von 1794, wo unter Kosciuszko ganze Regi¬
menter, die nur mit Sensen bewaffnet waren, gefochten hatten. 1821 traten
Abgeordnete dieses Geheimbundes zu Warschau zusammen und entwarfen einen
neuen Plan zur Herbeiführung eines Aufstandes gegen die russische Regierung,
worauf sie den neuen Namen der „Patriotischen Gesellschaft" annah¬
men. Inzwischen hatte sich unter den Studirenden der Universität Wtlna
eine geheime Verbindung gebildet, die indeß von den Russen entdeckt und auf¬
gelöst wurde. Im Jahre 1822 vereinigte sich die Patriotische Gesellschaft mit
dem masonischen Orden der „Neuen Tempelritter", der kurz zuvor vom
Kapitän Majewski in Warschau gestiftet worden war und mit den drei sym¬
bolischen Graden der Freimaurer einen vierten verband, in welchem die Ein¬
zuweihenden schwören mußten, alles, was in ihrer Macht stehe, zu thun, um
das Land von den Fremden zu befreien. Diese Geheimbünde haben allerdings
mitgewirkt, wenn 1830 die Revolution losbrach, aber allein hätten sie die¬
selbe gewiß nicht zu Stande gebracht, und ohne sie wäre der Kampf ebenfalls
begonnen worden.

Die nach dem Mißlingen des Aufstandes auswandernden Polen setzten
theilweise die alten Geheimbünde fort, theilweise schlössen sie sich den Hütten
der französischen Carbonari an. bis 1834 das „Junge Polen" entstand.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/73>, abgerufen am 27.09.2024.