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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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einzulegen und so wenigstens einigermaßen der Wissenschaft nutzbar zu
machen. In vielen Schulbibliotheken lagen sie. wie sie gerade eingelaufen
waren, zu Convoluten zusammengeschnürt, dem Staube von Jahrzehnten
preisgegeben. Im Großen und Ganzen aber war dieses Schicksal kein
unverdientes. Die meisten Programme wurden ja eben nur geschrieben, weil
der Betreffende an der Reihe war, es waren vielfach bloße LxLeimmg, oruäi-
tioms, die sich bisweilen nicht sehr von einer Schularbeit unterschieden. Zum
Theil hing dies wohl mit den verschiedenen Ansichten über das Lesepublikum
der Programmliteratur zusammen -- die einen meinten, das Programm sei
in erster Linie für die Schüler zu schreiben, andere, es sei für die Eltern der
Schüler und sonstige Freunde der Schule berechnet, noch andere, es sei ledig¬
lich für die Fachgenossen bestimmt -- zum Theil aber auch mit ganz andern,
tieferliegenden Ursachen. Das Programmschreiben war für die meisten eine
Last und brachte namentlich ältere Herren, die längst in ihrem Lehrerberufe
zu biedern Handwerkern geworden waren und sich um die Fortschritte der
Wissenschaft nicht sonderlich mehr kümmerten, in schwere Verlegenheit.

So ist es denn ein erfreuliches Zeichen, daß gleich im ersten Jahre der
neuen Einrichtung von 353 Gymnasien 88 den Muth gehabt haben, frei¬
willig auf eine zweifelhafte Bereicherung der Wissenschaft zu verzichten.
Andere haben sich nur scheinbar nicht ausgeschlossen; denn eine Schulrede oder
die Beschreibung einer Schulfeierlichkeit oder eine Uebersetzungsprobe kann
doch nicht gut als "wissenschaftliche Abbhandlung" gelten. Hoffentlich wird,
wenn die erste Schämigkeit erst überwunden sein wird, die Anzahl derjenigen
Schulen, welche sich lieber auf die Schulnachrichten beschränken als irgend ein
werthloses Elaborat beifügen, mit jedem Jahre sich steigern und so endlich
ein Zopf ganz von selber fallen, den man schon jetzt einfach hätte abschneiden
sollen, anstatt ihn noch einmal in einer neuen, wirklich recht komischen Fac,on
aufzufrifiren. Wer seinen Fachgenossen eine brauchbare wissenschaftliche Mit¬
theilung zu machen hat, wen seine Forschungen zu Resultaten geführt
haben, die ihm der Verbreitung werth zu sein scheinen, der braucht wahrlich
nicht damit zu warten, und er wird auch schwerlich Lust haben, damit
zu warten, bis die Reihe des Programmschreibens an ihn gekommen ist,
sondern er hat dazu hinlängliche Gelegenheit in einer Menge von Fachzeit¬
schriften, die ihm seinen Beitrag noch dazu honoriren und in denen er unbe¬
dingt auf Leser rechnen kann, was im Programm beides nicht der Fall ist.
Und handelt es sich um größere Arbeiten, nun. so wird sich auch stets ein
Verleger finden, der bereit ist, sie als besonderes Buch herauszugeben.

Das Programmverzeichntß für 1876 charakterisirt also, wie wir gesehen,
zur Menüge unsre Programmliteratur; es charakterisirt aber auch -- und
hierüber se! uns ebenfalls noch ein kurzes Wort gestattet - das Gymnasium,


einzulegen und so wenigstens einigermaßen der Wissenschaft nutzbar zu
machen. In vielen Schulbibliotheken lagen sie. wie sie gerade eingelaufen
waren, zu Convoluten zusammengeschnürt, dem Staube von Jahrzehnten
preisgegeben. Im Großen und Ganzen aber war dieses Schicksal kein
unverdientes. Die meisten Programme wurden ja eben nur geschrieben, weil
der Betreffende an der Reihe war, es waren vielfach bloße LxLeimmg, oruäi-
tioms, die sich bisweilen nicht sehr von einer Schularbeit unterschieden. Zum
Theil hing dies wohl mit den verschiedenen Ansichten über das Lesepublikum
der Programmliteratur zusammen — die einen meinten, das Programm sei
in erster Linie für die Schüler zu schreiben, andere, es sei für die Eltern der
Schüler und sonstige Freunde der Schule berechnet, noch andere, es sei ledig¬
lich für die Fachgenossen bestimmt — zum Theil aber auch mit ganz andern,
tieferliegenden Ursachen. Das Programmschreiben war für die meisten eine
Last und brachte namentlich ältere Herren, die längst in ihrem Lehrerberufe
zu biedern Handwerkern geworden waren und sich um die Fortschritte der
Wissenschaft nicht sonderlich mehr kümmerten, in schwere Verlegenheit.

So ist es denn ein erfreuliches Zeichen, daß gleich im ersten Jahre der
neuen Einrichtung von 353 Gymnasien 88 den Muth gehabt haben, frei¬
willig auf eine zweifelhafte Bereicherung der Wissenschaft zu verzichten.
Andere haben sich nur scheinbar nicht ausgeschlossen; denn eine Schulrede oder
die Beschreibung einer Schulfeierlichkeit oder eine Uebersetzungsprobe kann
doch nicht gut als „wissenschaftliche Abbhandlung" gelten. Hoffentlich wird,
wenn die erste Schämigkeit erst überwunden sein wird, die Anzahl derjenigen
Schulen, welche sich lieber auf die Schulnachrichten beschränken als irgend ein
werthloses Elaborat beifügen, mit jedem Jahre sich steigern und so endlich
ein Zopf ganz von selber fallen, den man schon jetzt einfach hätte abschneiden
sollen, anstatt ihn noch einmal in einer neuen, wirklich recht komischen Fac,on
aufzufrifiren. Wer seinen Fachgenossen eine brauchbare wissenschaftliche Mit¬
theilung zu machen hat, wen seine Forschungen zu Resultaten geführt
haben, die ihm der Verbreitung werth zu sein scheinen, der braucht wahrlich
nicht damit zu warten, und er wird auch schwerlich Lust haben, damit
zu warten, bis die Reihe des Programmschreibens an ihn gekommen ist,
sondern er hat dazu hinlängliche Gelegenheit in einer Menge von Fachzeit¬
schriften, die ihm seinen Beitrag noch dazu honoriren und in denen er unbe¬
dingt auf Leser rechnen kann, was im Programm beides nicht der Fall ist.
Und handelt es sich um größere Arbeiten, nun. so wird sich auch stets ein
Verleger finden, der bereit ist, sie als besonderes Buch herauszugeben.

Das Programmverzeichntß für 1876 charakterisirt also, wie wir gesehen,
zur Menüge unsre Programmliteratur; es charakterisirt aber auch — und
hierüber se! uns ebenfalls noch ein kurzes Wort gestattet - das Gymnasium,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/69>, abgerufen am 25.08.2024.