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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Sr. Majestät, fügte Ernst August hinzu, werden dann selbst finden, daß ich
ein ganz anderer Fürst im Reiche bin, als man mich zu beschreiben
bemüht gewesen ist.

Hier ging in Erfüllung, was Gärtner wiederholt betont hatte: das gute
Einvernehmen mit Preußen dient Ew. Hoheit mehr als alle Regimenter. --

Leider war es dem um die Neugestaltung der Verhältnisse hochverdienten
Geh. Rath Gärtner nicht vergönnt, geordnete Verhältnisse in ihrer vollen
Zugkraft zu erleben. Er selbst kämpfte noch im Siechthum seines Körpers mit
materiellen Fragen seiner Existenz, da Ernst August sich nicht herbeiließ, end¬
gültigen Entschluß über die Beibehaltung im Dienste zu fassen und über Gärtner's
zukünftige Besoldung schlüssig zu werden. Gärtner erlebte den Abschluß der
Frage nicht mehr: am 1. März 1744 ging er lebensmüde zu einem bessern
Sein über. Als man dem Herzog die Trauernachricht brachte, ordnete er die
Versiegelung der Habe Gärtner's an, eine militairische Wache trug Sorge, daß
der Nachlaß völlig intact blieb. Erst als man inne wurde, daß die verschie¬
denen Zugänge des Hauses die Controle erschwerten, zog die Sicherheitswache
aus dem Trauerhause ab, und Gärtner's Sohn gelobte auf Handschlag sich
in keiner Weise an dem schriftlichen Nachlaß des Vaters zu vergreifen. Die
Beisetzung des Geheimenraths in der Kirche zu Eisenach ordnete Ernst August
als ein ehrenvolles Begräbniß an, aber er gab ihm nicht die höchste Ehre,
daß die sterblichen Ueberreste unter dem Glänze der Fackeln zur ewigen Ruhe¬
stätte geleitet wurden.

Wenn, wie hier ein wenig beneidenswerthes Leben seinen Abschluß fand,
so könnte man versucht sein, sich scheuen Blickes von der deutschen Vergangen¬
heit abzuwenden. Der Beruf sich mit ihr zu beschäftigen, wäre ein trüber,
wenn nicht über dem Vaterlande des 19. Jahrhunderts ein freundlich hell¬
leuchtender Stern aufgegangen wäre, und sich auf die Vergangenheit nicht
das schöne Goethe'sche Wort anwenden ließe: Nicht alles Wünschenswerthe
ist erreichbar, nicht alles Erkennenswerthe erkennbar.




Parfüms der französischen Literatur.
Fernande. Drama von V. Sardon.

Das Sensationsdrama "Fernande" ist, wenn wir recht berichtet sind,
eines der letzten Stücke des französischen Theater-Königs -- denn das ist er --
Victorien Sardon und, wenn auch vielleicht nicht eines der besten, so doch
gewiß dasjenige, welches den specifischen Unterschied zwischen französischer und


Sr. Majestät, fügte Ernst August hinzu, werden dann selbst finden, daß ich
ein ganz anderer Fürst im Reiche bin, als man mich zu beschreiben
bemüht gewesen ist.

Hier ging in Erfüllung, was Gärtner wiederholt betont hatte: das gute
Einvernehmen mit Preußen dient Ew. Hoheit mehr als alle Regimenter. —

Leider war es dem um die Neugestaltung der Verhältnisse hochverdienten
Geh. Rath Gärtner nicht vergönnt, geordnete Verhältnisse in ihrer vollen
Zugkraft zu erleben. Er selbst kämpfte noch im Siechthum seines Körpers mit
materiellen Fragen seiner Existenz, da Ernst August sich nicht herbeiließ, end¬
gültigen Entschluß über die Beibehaltung im Dienste zu fassen und über Gärtner's
zukünftige Besoldung schlüssig zu werden. Gärtner erlebte den Abschluß der
Frage nicht mehr: am 1. März 1744 ging er lebensmüde zu einem bessern
Sein über. Als man dem Herzog die Trauernachricht brachte, ordnete er die
Versiegelung der Habe Gärtner's an, eine militairische Wache trug Sorge, daß
der Nachlaß völlig intact blieb. Erst als man inne wurde, daß die verschie¬
denen Zugänge des Hauses die Controle erschwerten, zog die Sicherheitswache
aus dem Trauerhause ab, und Gärtner's Sohn gelobte auf Handschlag sich
in keiner Weise an dem schriftlichen Nachlaß des Vaters zu vergreifen. Die
Beisetzung des Geheimenraths in der Kirche zu Eisenach ordnete Ernst August
als ein ehrenvolles Begräbniß an, aber er gab ihm nicht die höchste Ehre,
daß die sterblichen Ueberreste unter dem Glänze der Fackeln zur ewigen Ruhe¬
stätte geleitet wurden.

Wenn, wie hier ein wenig beneidenswerthes Leben seinen Abschluß fand,
so könnte man versucht sein, sich scheuen Blickes von der deutschen Vergangen¬
heit abzuwenden. Der Beruf sich mit ihr zu beschäftigen, wäre ein trüber,
wenn nicht über dem Vaterlande des 19. Jahrhunderts ein freundlich hell¬
leuchtender Stern aufgegangen wäre, und sich auf die Vergangenheit nicht
das schöne Goethe'sche Wort anwenden ließe: Nicht alles Wünschenswerthe
ist erreichbar, nicht alles Erkennenswerthe erkennbar.




Parfüms der französischen Literatur.
Fernande. Drama von V. Sardon.

Das Sensationsdrama „Fernande" ist, wenn wir recht berichtet sind,
eines der letzten Stücke des französischen Theater-Königs — denn das ist er —
Victorien Sardon und, wenn auch vielleicht nicht eines der besten, so doch
gewiß dasjenige, welches den specifischen Unterschied zwischen französischer und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/503>, abgerufen am 22.07.2024.