Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

herzoglichen Liebden seit einiger Zeit empfangene widrige Begegnungen "ge¬
bührende Satisfaction" zu verschaffen.

Die in Eisenach eingesetzte Allodial-Commission, welche dem Geh. Rath
Gärtner ein Dorn im Auge war. arbeitete nur langsam; denn schwer hielt
es, Ernst August's Willen durchzuführen, der Herzogin die Schulden aufzu¬
bürden, die sie von dem Erbe und den nach und nach zugestandenen Witthums-
geldern abtragen sollte. Aber am Ende wurde der Herzog gefügiger. In
einem langen Expose, das er den Herrn Räthen am Vormittag 150 Mal
durchzulesen empfahl, näherte er sich wenigstens den Forderungen Preußens,
wenn nur die Herzogin nicht nach Allstedt ziehen wolle. Man sollte vor¬
wenden, daß dort alles baufällig sei und von ihm eingerissen werde; er bot
8 -- 10,000 Thlr, am liebsten 50,000 Thaler als einmalige Abstandssumme.
"Ich muß eben meine Umstände jetzt bedenken, denn anders wäre es, wenn
wir mit einer armen Bettelwittwe zu thun hätten, so könnten wir alle Uni¬
versitäten 20 Jahre darüber sprechen lassen. Das geht aber hier nicht an,
wo wir mit zwei Königen (Polen und Preußen) zu thun haben, die eben
nichts mehr wünschen, als mir in die Haare zu kommen. Ja meine Herrn
Räthe, wenn Sie mir 600.000 Thlr. Caution machen und für den Schaden
stehen wollen, daß mich diese Könige nicht angreifen! Wo sie aber nicht
solvend seyn, ob Sie auch alle Gelehrsamkeit und Bibliotheken besitzen, so
wollen wir das hübsch bleiben lassen. Ich schreibe alle diese Punkte aus
reifer Ueberlegung. da ich nunmehr in meinem 63. Jahre schon Verstand
habe; es ist besser ein magerer Vergleich als ein fetter Proceß. --Was wollen
wir mehr haben, wenn sie die Schulden, so weit es reicht, bezahlt, und uns
im Uebrigen in Ruhe läßt. Wenn der Vogel einmal aus dem Lande ist,
seyd Ihr Herrn alle nicht im Stande, selbigen ohne Reifrock wieder hinein
zu bringen."

Wiederholt hatte Preußen seine Pression für größere Forderungen aus¬
geübt. Ernst August gestand es ein, daß er in diesem Punkte nicht mehr
das alte Princip walten lassen konnte: Ich bin groß und Du bist klein.
Er mahnte zum Abschluß. "Es ist uns von verschiedenen Orten durch ver¬
traute Briefe: einen von Halle, einen von Berlin und einen noch sonst wo¬
her, berichtet worden, daß 4 preußische Regimenter parat stehen, um in All¬
stedt, Eisenach oder Weimar einzurücken. Da so wohl Chursachsen als auch
andere sich vor der Macht der Könige von Preußen fürchten und daher eben¬
sowenig Hülfe zu erwarten steht, als von 50 Universitäten und der durch
Euren alt bekannten Eigensinn zu befürchtende Schade und Prostitution von
Euch allen mit Eurem Körper nicht wieder ersetzt werden kann, so er¬
warten wir von Euch, die ihr alt genug seid, daß Ihr wisset, was Ihr thun


herzoglichen Liebden seit einiger Zeit empfangene widrige Begegnungen „ge¬
bührende Satisfaction" zu verschaffen.

Die in Eisenach eingesetzte Allodial-Commission, welche dem Geh. Rath
Gärtner ein Dorn im Auge war. arbeitete nur langsam; denn schwer hielt
es, Ernst August's Willen durchzuführen, der Herzogin die Schulden aufzu¬
bürden, die sie von dem Erbe und den nach und nach zugestandenen Witthums-
geldern abtragen sollte. Aber am Ende wurde der Herzog gefügiger. In
einem langen Expose, das er den Herrn Räthen am Vormittag 150 Mal
durchzulesen empfahl, näherte er sich wenigstens den Forderungen Preußens,
wenn nur die Herzogin nicht nach Allstedt ziehen wolle. Man sollte vor¬
wenden, daß dort alles baufällig sei und von ihm eingerissen werde; er bot
8 — 10,000 Thlr, am liebsten 50,000 Thaler als einmalige Abstandssumme.
„Ich muß eben meine Umstände jetzt bedenken, denn anders wäre es, wenn
wir mit einer armen Bettelwittwe zu thun hätten, so könnten wir alle Uni¬
versitäten 20 Jahre darüber sprechen lassen. Das geht aber hier nicht an,
wo wir mit zwei Königen (Polen und Preußen) zu thun haben, die eben
nichts mehr wünschen, als mir in die Haare zu kommen. Ja meine Herrn
Räthe, wenn Sie mir 600.000 Thlr. Caution machen und für den Schaden
stehen wollen, daß mich diese Könige nicht angreifen! Wo sie aber nicht
solvend seyn, ob Sie auch alle Gelehrsamkeit und Bibliotheken besitzen, so
wollen wir das hübsch bleiben lassen. Ich schreibe alle diese Punkte aus
reifer Ueberlegung. da ich nunmehr in meinem 63. Jahre schon Verstand
habe; es ist besser ein magerer Vergleich als ein fetter Proceß. —Was wollen
wir mehr haben, wenn sie die Schulden, so weit es reicht, bezahlt, und uns
im Uebrigen in Ruhe läßt. Wenn der Vogel einmal aus dem Lande ist,
seyd Ihr Herrn alle nicht im Stande, selbigen ohne Reifrock wieder hinein
zu bringen."

Wiederholt hatte Preußen seine Pression für größere Forderungen aus¬
geübt. Ernst August gestand es ein, daß er in diesem Punkte nicht mehr
das alte Princip walten lassen konnte: Ich bin groß und Du bist klein.
Er mahnte zum Abschluß. „Es ist uns von verschiedenen Orten durch ver¬
traute Briefe: einen von Halle, einen von Berlin und einen noch sonst wo¬
her, berichtet worden, daß 4 preußische Regimenter parat stehen, um in All¬
stedt, Eisenach oder Weimar einzurücken. Da so wohl Chursachsen als auch
andere sich vor der Macht der Könige von Preußen fürchten und daher eben¬
sowenig Hülfe zu erwarten steht, als von 50 Universitäten und der durch
Euren alt bekannten Eigensinn zu befürchtende Schade und Prostitution von
Euch allen mit Eurem Körper nicht wieder ersetzt werden kann, so er¬
warten wir von Euch, die ihr alt genug seid, daß Ihr wisset, was Ihr thun


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135554"/>
          <p xml:id="ID_1527" prev="#ID_1526"> herzoglichen Liebden seit einiger Zeit empfangene widrige Begegnungen &#x201E;ge¬<lb/>
bührende Satisfaction" zu verschaffen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1528"> Die in Eisenach eingesetzte Allodial-Commission, welche dem Geh. Rath<lb/>
Gärtner ein Dorn im Auge war. arbeitete nur langsam; denn schwer hielt<lb/>
es, Ernst August's Willen durchzuführen, der Herzogin die Schulden aufzu¬<lb/>
bürden, die sie von dem Erbe und den nach und nach zugestandenen Witthums-<lb/>
geldern abtragen sollte. Aber am Ende wurde der Herzog gefügiger. In<lb/>
einem langen Expose, das er den Herrn Räthen am Vormittag 150 Mal<lb/>
durchzulesen empfahl, näherte er sich wenigstens den Forderungen Preußens,<lb/>
wenn nur die Herzogin nicht nach Allstedt ziehen wolle. Man sollte vor¬<lb/>
wenden, daß dort alles baufällig sei und von ihm eingerissen werde; er bot<lb/>
8 &#x2014; 10,000 Thlr, am liebsten 50,000 Thaler als einmalige Abstandssumme.<lb/>
&#x201E;Ich muß eben meine Umstände jetzt bedenken, denn anders wäre es, wenn<lb/>
wir mit einer armen Bettelwittwe zu thun hätten, so könnten wir alle Uni¬<lb/>
versitäten 20 Jahre darüber sprechen lassen. Das geht aber hier nicht an,<lb/>
wo wir mit zwei Königen (Polen und Preußen) zu thun haben, die eben<lb/>
nichts mehr wünschen, als mir in die Haare zu kommen. Ja meine Herrn<lb/>
Räthe, wenn Sie mir 600.000 Thlr. Caution machen und für den Schaden<lb/>
stehen wollen, daß mich diese Könige nicht angreifen! Wo sie aber nicht<lb/>
solvend seyn, ob Sie auch alle Gelehrsamkeit und Bibliotheken besitzen, so<lb/>
wollen wir das hübsch bleiben lassen. Ich schreibe alle diese Punkte aus<lb/>
reifer Ueberlegung. da ich nunmehr in meinem 63. Jahre schon Verstand<lb/>
habe; es ist besser ein magerer Vergleich als ein fetter Proceß. &#x2014;Was wollen<lb/>
wir mehr haben, wenn sie die Schulden, so weit es reicht, bezahlt, und uns<lb/>
im Uebrigen in Ruhe läßt. Wenn der Vogel einmal aus dem Lande ist,<lb/>
seyd Ihr Herrn alle nicht im Stande, selbigen ohne Reifrock wieder hinein<lb/>
zu bringen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1529" next="#ID_1530"> Wiederholt hatte Preußen seine Pression für größere Forderungen aus¬<lb/>
geübt. Ernst August gestand es ein, daß er in diesem Punkte nicht mehr<lb/>
das alte Princip walten lassen konnte: Ich bin groß und Du bist klein.<lb/>
Er mahnte zum Abschluß. &#x201E;Es ist uns von verschiedenen Orten durch ver¬<lb/>
traute Briefe: einen von Halle, einen von Berlin und einen noch sonst wo¬<lb/>
her, berichtet worden, daß 4 preußische Regimenter parat stehen, um in All¬<lb/>
stedt, Eisenach oder Weimar einzurücken. Da so wohl Chursachsen als auch<lb/>
andere sich vor der Macht der Könige von Preußen fürchten und daher eben¬<lb/>
sowenig Hülfe zu erwarten steht, als von 50 Universitäten und der durch<lb/>
Euren alt bekannten Eigensinn zu befürchtende Schade und Prostitution von<lb/>
Euch allen mit Eurem Körper nicht wieder ersetzt werden kann, so er¬<lb/>
warten wir von Euch, die ihr alt genug seid, daß Ihr wisset, was Ihr thun</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] herzoglichen Liebden seit einiger Zeit empfangene widrige Begegnungen „ge¬ bührende Satisfaction" zu verschaffen. Die in Eisenach eingesetzte Allodial-Commission, welche dem Geh. Rath Gärtner ein Dorn im Auge war. arbeitete nur langsam; denn schwer hielt es, Ernst August's Willen durchzuführen, der Herzogin die Schulden aufzu¬ bürden, die sie von dem Erbe und den nach und nach zugestandenen Witthums- geldern abtragen sollte. Aber am Ende wurde der Herzog gefügiger. In einem langen Expose, das er den Herrn Räthen am Vormittag 150 Mal durchzulesen empfahl, näherte er sich wenigstens den Forderungen Preußens, wenn nur die Herzogin nicht nach Allstedt ziehen wolle. Man sollte vor¬ wenden, daß dort alles baufällig sei und von ihm eingerissen werde; er bot 8 — 10,000 Thlr, am liebsten 50,000 Thaler als einmalige Abstandssumme. „Ich muß eben meine Umstände jetzt bedenken, denn anders wäre es, wenn wir mit einer armen Bettelwittwe zu thun hätten, so könnten wir alle Uni¬ versitäten 20 Jahre darüber sprechen lassen. Das geht aber hier nicht an, wo wir mit zwei Königen (Polen und Preußen) zu thun haben, die eben nichts mehr wünschen, als mir in die Haare zu kommen. Ja meine Herrn Räthe, wenn Sie mir 600.000 Thlr. Caution machen und für den Schaden stehen wollen, daß mich diese Könige nicht angreifen! Wo sie aber nicht solvend seyn, ob Sie auch alle Gelehrsamkeit und Bibliotheken besitzen, so wollen wir das hübsch bleiben lassen. Ich schreibe alle diese Punkte aus reifer Ueberlegung. da ich nunmehr in meinem 63. Jahre schon Verstand habe; es ist besser ein magerer Vergleich als ein fetter Proceß. —Was wollen wir mehr haben, wenn sie die Schulden, so weit es reicht, bezahlt, und uns im Uebrigen in Ruhe läßt. Wenn der Vogel einmal aus dem Lande ist, seyd Ihr Herrn alle nicht im Stande, selbigen ohne Reifrock wieder hinein zu bringen." Wiederholt hatte Preußen seine Pression für größere Forderungen aus¬ geübt. Ernst August gestand es ein, daß er in diesem Punkte nicht mehr das alte Princip walten lassen konnte: Ich bin groß und Du bist klein. Er mahnte zum Abschluß. „Es ist uns von verschiedenen Orten durch ver¬ traute Briefe: einen von Halle, einen von Berlin und einen noch sonst wo¬ her, berichtet worden, daß 4 preußische Regimenter parat stehen, um in All¬ stedt, Eisenach oder Weimar einzurücken. Da so wohl Chursachsen als auch andere sich vor der Macht der Könige von Preußen fürchten und daher eben¬ sowenig Hülfe zu erwarten steht, als von 50 Universitäten und der durch Euren alt bekannten Eigensinn zu befürchtende Schade und Prostitution von Euch allen mit Eurem Körper nicht wieder ersetzt werden kann, so er¬ warten wir von Euch, die ihr alt genug seid, daß Ihr wisset, was Ihr thun

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/501>, abgerufen am 22.07.2024.