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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Derselbe Unterschied, den wir in Bezug auf die Größe der Gemeinden
zwischen Deutschen und Franzosen hervorgehoben, macht sich auch für die
Ausdehnung des Hauses und der Familien geltend. Ueberall wächst der
Familienstand, jemehr das deutsche Element überwiegt, überall gewahren wir
dort den größeren Sinn für häusliches Leben.

Im Ganzen freilich sind Häuser und Wohnungen im Lothringer Lande
nicht eben glänzend bestellt, es fehlt der Schmuck der Kunst, es fehlt jene
Poesie des ungestörten Behagens und der Grund für Beides liegt nahe genug.
Unerbittlich hat ja die Fackel des Krieges Alles niedergebrannt, was hier
Reiches und Schönes stand, und wenn die Eigner nach Jahren wieder bauten,
so ward nach Jahrzehnten von neuem gesengt -- wer mochte in solcher
Drangsal an ein Werk dauernder Schönheit denken? Mit verarmten Mitteln,
mit gedrücktem Sinne, mit der Hast des Hülflosen, der im Hause zunächst ein
Obdach sucht, wurden nicht wenige dieser Lothringer Dörfer gebaut und dies
Gepräge tragen sie zum Theil noch heute.

Aber selbst die größeren Güter, die allerdings bei der enormen Zer¬
splitterung des Bodens nur selten sind, tragen in ihren Wohngebäuden nicht
jenen Comfort, mit einem Worte jene Wohnlichkeit, nach der man sich sehnt,
man fühlt auch hier, daß es dem Eigenthümer mehr um die praktische als
um die ideale Seite seines Besitzes zu thun ist, daß er nicht mit seiner Per¬
sönlichkeit dahinter steht. Und in der That, die Mehrzahl der großen Grund¬
besitzer wohnt wenig auf ihren Gütern, man kommt auf einige Wochen um
nachzusehen, aber im übrigen erschien es doch den meisten fesselnder, die großen
Revenuen in Paris, in Nancy oder tgi. zu verzehren, als hier in ländlicher
Stille. Deßhalb sehen denn auch die kleinen "Chateaux", die häufig den
Mittelpunkt solcher Güter bilden, oft recht verwaist und einsam aus; sie sind
nur das Eigenthum, nicht die Heimath ihrer Besitzer.

Noch weniger besticht natürlich der Kleinbesitz, das eigentliche bäuerliche
Haus den Fremden, der seine ersten Blicke darauf wirft. Denn im ganzen
Baue vermißt man jenen individuellen Zug, der besonders in den süddeutschen
Dörfern (im Schwarzwald , im bairischen Oberland und zum Theil auch im
Elsaß) so charakteristisch ist. Alle Häuser sind kahl und flach; meist in einer
Dorfgasse aneinandergebaut; nur selten liegt ein Blumengarten davor, die
Farbe ist weißgelblich oder ein mattes Grau und der Regen findet keinen
Widerstand, um mit ihr sein tollstes Spiel zu treiben. Was noch besonders
stört, ist der gänzliche Mangel an äußerer Ornamentik, da ist oft kein Giebel,
kein Gebälk, kein Sims, der malerisch vorspringt und mit kräftigen Formen
die äußere Fläche gliedert oder im Inneren trauliche Winkel schafft! Durch
die Fenstersteuer, wie sie in Frankreich üblich war, ward diese Kahlheit und
Monotonie der Außenmauer natürlich erhöht.


Derselbe Unterschied, den wir in Bezug auf die Größe der Gemeinden
zwischen Deutschen und Franzosen hervorgehoben, macht sich auch für die
Ausdehnung des Hauses und der Familien geltend. Ueberall wächst der
Familienstand, jemehr das deutsche Element überwiegt, überall gewahren wir
dort den größeren Sinn für häusliches Leben.

Im Ganzen freilich sind Häuser und Wohnungen im Lothringer Lande
nicht eben glänzend bestellt, es fehlt der Schmuck der Kunst, es fehlt jene
Poesie des ungestörten Behagens und der Grund für Beides liegt nahe genug.
Unerbittlich hat ja die Fackel des Krieges Alles niedergebrannt, was hier
Reiches und Schönes stand, und wenn die Eigner nach Jahren wieder bauten,
so ward nach Jahrzehnten von neuem gesengt — wer mochte in solcher
Drangsal an ein Werk dauernder Schönheit denken? Mit verarmten Mitteln,
mit gedrücktem Sinne, mit der Hast des Hülflosen, der im Hause zunächst ein
Obdach sucht, wurden nicht wenige dieser Lothringer Dörfer gebaut und dies
Gepräge tragen sie zum Theil noch heute.

Aber selbst die größeren Güter, die allerdings bei der enormen Zer¬
splitterung des Bodens nur selten sind, tragen in ihren Wohngebäuden nicht
jenen Comfort, mit einem Worte jene Wohnlichkeit, nach der man sich sehnt,
man fühlt auch hier, daß es dem Eigenthümer mehr um die praktische als
um die ideale Seite seines Besitzes zu thun ist, daß er nicht mit seiner Per¬
sönlichkeit dahinter steht. Und in der That, die Mehrzahl der großen Grund¬
besitzer wohnt wenig auf ihren Gütern, man kommt auf einige Wochen um
nachzusehen, aber im übrigen erschien es doch den meisten fesselnder, die großen
Revenuen in Paris, in Nancy oder tgi. zu verzehren, als hier in ländlicher
Stille. Deßhalb sehen denn auch die kleinen „Chateaux", die häufig den
Mittelpunkt solcher Güter bilden, oft recht verwaist und einsam aus; sie sind
nur das Eigenthum, nicht die Heimath ihrer Besitzer.

Noch weniger besticht natürlich der Kleinbesitz, das eigentliche bäuerliche
Haus den Fremden, der seine ersten Blicke darauf wirft. Denn im ganzen
Baue vermißt man jenen individuellen Zug, der besonders in den süddeutschen
Dörfern (im Schwarzwald , im bairischen Oberland und zum Theil auch im
Elsaß) so charakteristisch ist. Alle Häuser sind kahl und flach; meist in einer
Dorfgasse aneinandergebaut; nur selten liegt ein Blumengarten davor, die
Farbe ist weißgelblich oder ein mattes Grau und der Regen findet keinen
Widerstand, um mit ihr sein tollstes Spiel zu treiben. Was noch besonders
stört, ist der gänzliche Mangel an äußerer Ornamentik, da ist oft kein Giebel,
kein Gebälk, kein Sims, der malerisch vorspringt und mit kräftigen Formen
die äußere Fläche gliedert oder im Inneren trauliche Winkel schafft! Durch
die Fenstersteuer, wie sie in Frankreich üblich war, ward diese Kahlheit und
Monotonie der Außenmauer natürlich erhöht.


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[0471] Derselbe Unterschied, den wir in Bezug auf die Größe der Gemeinden zwischen Deutschen und Franzosen hervorgehoben, macht sich auch für die Ausdehnung des Hauses und der Familien geltend. Ueberall wächst der Familienstand, jemehr das deutsche Element überwiegt, überall gewahren wir dort den größeren Sinn für häusliches Leben. Im Ganzen freilich sind Häuser und Wohnungen im Lothringer Lande nicht eben glänzend bestellt, es fehlt der Schmuck der Kunst, es fehlt jene Poesie des ungestörten Behagens und der Grund für Beides liegt nahe genug. Unerbittlich hat ja die Fackel des Krieges Alles niedergebrannt, was hier Reiches und Schönes stand, und wenn die Eigner nach Jahren wieder bauten, so ward nach Jahrzehnten von neuem gesengt — wer mochte in solcher Drangsal an ein Werk dauernder Schönheit denken? Mit verarmten Mitteln, mit gedrücktem Sinne, mit der Hast des Hülflosen, der im Hause zunächst ein Obdach sucht, wurden nicht wenige dieser Lothringer Dörfer gebaut und dies Gepräge tragen sie zum Theil noch heute. Aber selbst die größeren Güter, die allerdings bei der enormen Zer¬ splitterung des Bodens nur selten sind, tragen in ihren Wohngebäuden nicht jenen Comfort, mit einem Worte jene Wohnlichkeit, nach der man sich sehnt, man fühlt auch hier, daß es dem Eigenthümer mehr um die praktische als um die ideale Seite seines Besitzes zu thun ist, daß er nicht mit seiner Per¬ sönlichkeit dahinter steht. Und in der That, die Mehrzahl der großen Grund¬ besitzer wohnt wenig auf ihren Gütern, man kommt auf einige Wochen um nachzusehen, aber im übrigen erschien es doch den meisten fesselnder, die großen Revenuen in Paris, in Nancy oder tgi. zu verzehren, als hier in ländlicher Stille. Deßhalb sehen denn auch die kleinen „Chateaux", die häufig den Mittelpunkt solcher Güter bilden, oft recht verwaist und einsam aus; sie sind nur das Eigenthum, nicht die Heimath ihrer Besitzer. Noch weniger besticht natürlich der Kleinbesitz, das eigentliche bäuerliche Haus den Fremden, der seine ersten Blicke darauf wirft. Denn im ganzen Baue vermißt man jenen individuellen Zug, der besonders in den süddeutschen Dörfern (im Schwarzwald , im bairischen Oberland und zum Theil auch im Elsaß) so charakteristisch ist. Alle Häuser sind kahl und flach; meist in einer Dorfgasse aneinandergebaut; nur selten liegt ein Blumengarten davor, die Farbe ist weißgelblich oder ein mattes Grau und der Regen findet keinen Widerstand, um mit ihr sein tollstes Spiel zu treiben. Was noch besonders stört, ist der gänzliche Mangel an äußerer Ornamentik, da ist oft kein Giebel, kein Gebälk, kein Sims, der malerisch vorspringt und mit kräftigen Formen die äußere Fläche gliedert oder im Inneren trauliche Winkel schafft! Durch die Fenstersteuer, wie sie in Frankreich üblich war, ward diese Kahlheit und Monotonie der Außenmauer natürlich erhöht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/471>, abgerufen am 25.08.2024.