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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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stinkt identificirte man das evangelische und das germanische Element und
wandte jedes Mittel an, um beides gemeinsam zu erdrücken.

Zu tausend und aber taufenden wanderten damals die Protestanten
aus und nahmen Bildung und Wohlstand mit sich; daß der rasche Verfall
von Metz auf diesem Grund allein beruht, hat jeder Unparteiische zugegeben.
An die Stelle der Ausgewanderten aber kamen Picarden, Wallonen und alle
möglichen Fremden ins Land, die weder numerisch noch moralisch einen Ersatz
boten für das, was es verloren; der Grundbesitz ward zerstückelt, es war ein
Grenzland geworden, mit allen Leiden, die dieser Name einschließt.

Die heutige Bevölkerung von Lothringen mag etwa eine halbe Million
beziffern, aber die Art ihrer Bertheilung, in. a. W. die Dichtigkeit derselben,
ist sehr verschieden*). In dem einen treffen mehr als 5000 Bewohner auf
die Quadratmeile und im andern nur etwa 2900, in dem einen Kanton
kommen auf den Kopf nicht einmal ^<> Hektaren, im andern fast 2^2 Hektaren
auf jeden Bewohner. Sehr charakteristisch ist hierbei der Einfluß, den das
nationale Element auf diese Verhältnisse gewinnt; je mehr das Deutschthum
überwiegt, um so dichter wird in den einzelnen Kantonen die Bevölkerung.

Daß aber dies Deutschthum im Ganzen das französische Wesen noch
jetzt unendlich überragt, das ist eine Thatsache, die Niemand leugnen kann,
in Gestalt und Farbe, in Sitte und Brauch, in Sprache und Namen tritt
sie zu Tage.

Und ob auch Jahrhunderte lang dieß Bild verzerrt, zerstückt und ver¬
kümmert ward, sein Grundton ist doch noch heute derselbe, wie damals, als
diese Scholle deutsches Land war. Es ist in neuester Zeit die Neigung her¬
vorgetreten, daß man nicht mehr die Schädelformen, sondern Haare und
Augen prüft, um das Verhältniß der Racen auf einem bestimmten Gebiete
zu ermitteln, man hat einen Schritt vom leblosen zum lebendigen Material
gethan und wie bekannt sind diese Untersuchungen nunmehr von Amtswegen
in allen deutschen Ländern durchgeführt. Gerade unter diesem Gesichtspunkte
aber ist Lothringen unläugbar unser Eigen, denn nicht Romanen sind es, die
uns mit diesen blauen Blicken aus jedem Dorfe entgegenschauen, sondern
deutsche Abstammung bildet den Masseneindruck, vor dem wir stehen. Der
Kampf des romanischen Elementes, das sich mit rücksichtsloser Energie auf
dies Deutschthum stürzte, hat aber freilich merkliche Spuren zurückgelassen
und mächtige Hebel eingesetzt. Die französischen Armeen, die Jahrzehnte lang
im Lande weilten, die Intoleranz der Bureaukratie kam ihm zu statten --
aber die Grundlinien hat es doch nicht auszulöschen vermocht.



*) Für alle näheren Details verweisen wir auf das vorzügliche Werk "Deutsch-Lothringen"
von Dr. Ch. Huhn, dem die neuere Literatur die werthvollsten Daten verdankt.

stinkt identificirte man das evangelische und das germanische Element und
wandte jedes Mittel an, um beides gemeinsam zu erdrücken.

Zu tausend und aber taufenden wanderten damals die Protestanten
aus und nahmen Bildung und Wohlstand mit sich; daß der rasche Verfall
von Metz auf diesem Grund allein beruht, hat jeder Unparteiische zugegeben.
An die Stelle der Ausgewanderten aber kamen Picarden, Wallonen und alle
möglichen Fremden ins Land, die weder numerisch noch moralisch einen Ersatz
boten für das, was es verloren; der Grundbesitz ward zerstückelt, es war ein
Grenzland geworden, mit allen Leiden, die dieser Name einschließt.

Die heutige Bevölkerung von Lothringen mag etwa eine halbe Million
beziffern, aber die Art ihrer Bertheilung, in. a. W. die Dichtigkeit derselben,
ist sehr verschieden*). In dem einen treffen mehr als 5000 Bewohner auf
die Quadratmeile und im andern nur etwa 2900, in dem einen Kanton
kommen auf den Kopf nicht einmal ^<> Hektaren, im andern fast 2^2 Hektaren
auf jeden Bewohner. Sehr charakteristisch ist hierbei der Einfluß, den das
nationale Element auf diese Verhältnisse gewinnt; je mehr das Deutschthum
überwiegt, um so dichter wird in den einzelnen Kantonen die Bevölkerung.

Daß aber dies Deutschthum im Ganzen das französische Wesen noch
jetzt unendlich überragt, das ist eine Thatsache, die Niemand leugnen kann,
in Gestalt und Farbe, in Sitte und Brauch, in Sprache und Namen tritt
sie zu Tage.

Und ob auch Jahrhunderte lang dieß Bild verzerrt, zerstückt und ver¬
kümmert ward, sein Grundton ist doch noch heute derselbe, wie damals, als
diese Scholle deutsches Land war. Es ist in neuester Zeit die Neigung her¬
vorgetreten, daß man nicht mehr die Schädelformen, sondern Haare und
Augen prüft, um das Verhältniß der Racen auf einem bestimmten Gebiete
zu ermitteln, man hat einen Schritt vom leblosen zum lebendigen Material
gethan und wie bekannt sind diese Untersuchungen nunmehr von Amtswegen
in allen deutschen Ländern durchgeführt. Gerade unter diesem Gesichtspunkte
aber ist Lothringen unläugbar unser Eigen, denn nicht Romanen sind es, die
uns mit diesen blauen Blicken aus jedem Dorfe entgegenschauen, sondern
deutsche Abstammung bildet den Masseneindruck, vor dem wir stehen. Der
Kampf des romanischen Elementes, das sich mit rücksichtsloser Energie auf
dies Deutschthum stürzte, hat aber freilich merkliche Spuren zurückgelassen
und mächtige Hebel eingesetzt. Die französischen Armeen, die Jahrzehnte lang
im Lande weilten, die Intoleranz der Bureaukratie kam ihm zu statten —
aber die Grundlinien hat es doch nicht auszulöschen vermocht.



*) Für alle näheren Details verweisen wir auf das vorzügliche Werk „Deutsch-Lothringen"
von Dr. Ch. Huhn, dem die neuere Literatur die werthvollsten Daten verdankt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/469>, abgerufen am 25.08.2024.