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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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k. k. Staatsanwalt in Berührung zu kommen. Denn auch der letztere hat,
wie die drakonische Strenge gegen die Veranstalter der Scenen in Graz bei An¬
wesenheit des Don Carlos beweist, stellenweise Anwandlungen, fremde sou-
veraine, ja selbst solche, die es werden wollen, vor Brutalitäten seiner Mit¬
bürger zu schützen. Diesem Triebe der Selbsterhaltung ist die absichtliche Ver¬
dunkelung des Schauplatzes und der Atmosphäre zu danken, in der die Ereig¬
nisse dieses Romans sich abspielen. Dadurch soll auch "der Hof" namenlos ge¬
macht, eine Anklage vermieden werden. Sorgfältig mischt der wahrheitsliebende
Mann die Farben so, daß alle Welt sagen kann: das spielt in Berlin, also
muß auch der Hof... . der Autor versichert ja, er sage nur die Wahr¬
heit! Der "Thiergarten", die "Blechmütze" der Offiziere, die Nervenschmerzen
Bismarck's bei mehr als einem der Ereignisse dieses Romans, die Schimpfereien
gegen spezifisch-preußische Zustände, welche den handelnden Personen in ihre
eigene Gegenwart und Lebenssphäre hineinragen, weisen übereinstimmend auf
Berlin. Aber der mannhafte Galizier, welcher "auch unter veränderten Ver¬
hältnissen seinen politischen und sittlichen Grundsätzen, seinen freiheitlichen
Idealen treu geblieben ist," hat erkannt, daß der beste Theil der Tapferkeit
Vorsicht ist. Er macht den Hof seiner deutschen Central-Residenz katholisch.
Man erfährt viel von dem Treiben von Beichtvätern. Die Helden und
Heldinnen rechnen mehr nach Gulden als nach Thalern. Sie bedienen sich
stets nur des "Sacktuchs". Die Beamten beziehen ihren Gehalt nach "Gage¬
bogen" und leisten dem Staate "Federrobot". Der Zinsfuß wird nach
"Perzent" berechnet. "Beeidete Schatzmeister" (d. h. Exeeutoren), "Jnzichten",
"Mauthhäuser" u. a. österreichische Jnventarienstücke spielen eine Hauptrolle.
Also ist am Ende Oesterreich gemeint? Nein bewahre! Zur Vermeidung solcher
cisleithanischer Mißverständnisse wird dem eigenen Landesherrn ein ansehnlicher
Posten Weihrauch gestreut. "Die Menschen mit dem großen Blick, die, wie
der Kaiser von Oestreich, ihren Söhnen Shakespeare's "Julius Cäsar" auf¬
führen lassen, sind selten." Da Herr Sander-Masons selbst behauptet, daß
sich "ein ekelerregender Byzantinismus in unserem politischen Leben, auch in
unserer Literatur breit macht", und da er selbst hiervon völlig frei und seinen
"freiheitlichen Idealen treu geblieben" ist, so wird die ganze Schwere dieses
Lobes in der Wiener Hofburg gewiß gewürdigt werden. Wenn man nur
sicher wüßte, ob der Mann, welcher "endlich wieder einmal jene großen und
ewigen Ideale der Menschheit, jene unsterblichen Prinzipien der Freiheit ver¬
kündet, welche die Leitsterne unserer Väter waren" einen Orden annähme, oder
vielleicht einen taxfreien k. k. Hofrathstitel?

Selbstverständlich stehen die Frauen, welche Herr Sander Masons in den
"Idealen unsrer Zeit" eine Rolle spielen läßt, auf dem nämlichen, sittlichen
und gesellschaftlichen Standpunkt, wie seine Männer. Mit Ausnahme der


k. k. Staatsanwalt in Berührung zu kommen. Denn auch der letztere hat,
wie die drakonische Strenge gegen die Veranstalter der Scenen in Graz bei An¬
wesenheit des Don Carlos beweist, stellenweise Anwandlungen, fremde sou-
veraine, ja selbst solche, die es werden wollen, vor Brutalitäten seiner Mit¬
bürger zu schützen. Diesem Triebe der Selbsterhaltung ist die absichtliche Ver¬
dunkelung des Schauplatzes und der Atmosphäre zu danken, in der die Ereig¬
nisse dieses Romans sich abspielen. Dadurch soll auch „der Hof" namenlos ge¬
macht, eine Anklage vermieden werden. Sorgfältig mischt der wahrheitsliebende
Mann die Farben so, daß alle Welt sagen kann: das spielt in Berlin, also
muß auch der Hof... . der Autor versichert ja, er sage nur die Wahr¬
heit! Der „Thiergarten", die „Blechmütze" der Offiziere, die Nervenschmerzen
Bismarck's bei mehr als einem der Ereignisse dieses Romans, die Schimpfereien
gegen spezifisch-preußische Zustände, welche den handelnden Personen in ihre
eigene Gegenwart und Lebenssphäre hineinragen, weisen übereinstimmend auf
Berlin. Aber der mannhafte Galizier, welcher „auch unter veränderten Ver¬
hältnissen seinen politischen und sittlichen Grundsätzen, seinen freiheitlichen
Idealen treu geblieben ist," hat erkannt, daß der beste Theil der Tapferkeit
Vorsicht ist. Er macht den Hof seiner deutschen Central-Residenz katholisch.
Man erfährt viel von dem Treiben von Beichtvätern. Die Helden und
Heldinnen rechnen mehr nach Gulden als nach Thalern. Sie bedienen sich
stets nur des „Sacktuchs". Die Beamten beziehen ihren Gehalt nach „Gage¬
bogen" und leisten dem Staate „Federrobot". Der Zinsfuß wird nach
„Perzent" berechnet. „Beeidete Schatzmeister" (d. h. Exeeutoren), „Jnzichten",
„Mauthhäuser" u. a. österreichische Jnventarienstücke spielen eine Hauptrolle.
Also ist am Ende Oesterreich gemeint? Nein bewahre! Zur Vermeidung solcher
cisleithanischer Mißverständnisse wird dem eigenen Landesherrn ein ansehnlicher
Posten Weihrauch gestreut. „Die Menschen mit dem großen Blick, die, wie
der Kaiser von Oestreich, ihren Söhnen Shakespeare's „Julius Cäsar" auf¬
führen lassen, sind selten." Da Herr Sander-Masons selbst behauptet, daß
sich „ein ekelerregender Byzantinismus in unserem politischen Leben, auch in
unserer Literatur breit macht", und da er selbst hiervon völlig frei und seinen
„freiheitlichen Idealen treu geblieben" ist, so wird die ganze Schwere dieses
Lobes in der Wiener Hofburg gewiß gewürdigt werden. Wenn man nur
sicher wüßte, ob der Mann, welcher „endlich wieder einmal jene großen und
ewigen Ideale der Menschheit, jene unsterblichen Prinzipien der Freiheit ver¬
kündet, welche die Leitsterne unserer Väter waren" einen Orden annähme, oder
vielleicht einen taxfreien k. k. Hofrathstitel?

Selbstverständlich stehen die Frauen, welche Herr Sander Masons in den
„Idealen unsrer Zeit" eine Rolle spielen läßt, auf dem nämlichen, sittlichen
und gesellschaftlichen Standpunkt, wie seine Männer. Mit Ausnahme der


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[0458] k. k. Staatsanwalt in Berührung zu kommen. Denn auch der letztere hat, wie die drakonische Strenge gegen die Veranstalter der Scenen in Graz bei An¬ wesenheit des Don Carlos beweist, stellenweise Anwandlungen, fremde sou- veraine, ja selbst solche, die es werden wollen, vor Brutalitäten seiner Mit¬ bürger zu schützen. Diesem Triebe der Selbsterhaltung ist die absichtliche Ver¬ dunkelung des Schauplatzes und der Atmosphäre zu danken, in der die Ereig¬ nisse dieses Romans sich abspielen. Dadurch soll auch „der Hof" namenlos ge¬ macht, eine Anklage vermieden werden. Sorgfältig mischt der wahrheitsliebende Mann die Farben so, daß alle Welt sagen kann: das spielt in Berlin, also muß auch der Hof... . der Autor versichert ja, er sage nur die Wahr¬ heit! Der „Thiergarten", die „Blechmütze" der Offiziere, die Nervenschmerzen Bismarck's bei mehr als einem der Ereignisse dieses Romans, die Schimpfereien gegen spezifisch-preußische Zustände, welche den handelnden Personen in ihre eigene Gegenwart und Lebenssphäre hineinragen, weisen übereinstimmend auf Berlin. Aber der mannhafte Galizier, welcher „auch unter veränderten Ver¬ hältnissen seinen politischen und sittlichen Grundsätzen, seinen freiheitlichen Idealen treu geblieben ist," hat erkannt, daß der beste Theil der Tapferkeit Vorsicht ist. Er macht den Hof seiner deutschen Central-Residenz katholisch. Man erfährt viel von dem Treiben von Beichtvätern. Die Helden und Heldinnen rechnen mehr nach Gulden als nach Thalern. Sie bedienen sich stets nur des „Sacktuchs". Die Beamten beziehen ihren Gehalt nach „Gage¬ bogen" und leisten dem Staate „Federrobot". Der Zinsfuß wird nach „Perzent" berechnet. „Beeidete Schatzmeister" (d. h. Exeeutoren), „Jnzichten", „Mauthhäuser" u. a. österreichische Jnventarienstücke spielen eine Hauptrolle. Also ist am Ende Oesterreich gemeint? Nein bewahre! Zur Vermeidung solcher cisleithanischer Mißverständnisse wird dem eigenen Landesherrn ein ansehnlicher Posten Weihrauch gestreut. „Die Menschen mit dem großen Blick, die, wie der Kaiser von Oestreich, ihren Söhnen Shakespeare's „Julius Cäsar" auf¬ führen lassen, sind selten." Da Herr Sander-Masons selbst behauptet, daß sich „ein ekelerregender Byzantinismus in unserem politischen Leben, auch in unserer Literatur breit macht", und da er selbst hiervon völlig frei und seinen „freiheitlichen Idealen treu geblieben" ist, so wird die ganze Schwere dieses Lobes in der Wiener Hofburg gewiß gewürdigt werden. Wenn man nur sicher wüßte, ob der Mann, welcher „endlich wieder einmal jene großen und ewigen Ideale der Menschheit, jene unsterblichen Prinzipien der Freiheit ver¬ kündet, welche die Leitsterne unserer Väter waren" einen Orden annähme, oder vielleicht einen taxfreien k. k. Hofrathstitel? Selbstverständlich stehen die Frauen, welche Herr Sander Masons in den „Idealen unsrer Zeit" eine Rolle spielen läßt, auf dem nämlichen, sittlichen und gesellschaftlichen Standpunkt, wie seine Männer. Mit Ausnahme der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/458>, abgerufen am 24.08.2024.