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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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er dürfe von "unserer" Politik, "unserer" Literatur reden, wenn er von der
deutschen etwas faselt. Denn Rudolf Gottschall hat ihm das erlaubt. Sein
Landsmann Robert Hamerling, der aus mercantilen Gründen einen ge¬
wissen Werth darauf legt, für einen deutschen Schriftsteller gehalten zu werden,
hat sich durch eine ähnliche Belobigung bei Sander-Masons rückversichert. Und
Herr Oscar Blumenthal schrieb dem Galizier einen Stammbuchvers, den der
Verleger des berner "Jntelligenzblattes", Herr Haller, noch als Reclame ansieht:


Ja, ist der Dichter auch vielleicht verrückt,
So hat er sicher -- viel Verstand verloren.

Aber damit ist natürlich keinem wirklichen Deutschen die Befugniß verkümmert,
vom deutschen Hausrecht Gebrauch zu machen und den östlichen Schriftsteller
sanft über die Grenze nach seiner Heimath zu weisen und "abzuschaffen", wie
der humane k. k. Germanismus lautet.

Ein sehr wohlwollendes Nationale über Herrn Sander-Masons. mit welchem
dieser dem Leserkreis des besagten deutschen "Novellenschatzes" vorgestellt wurde,
und welches in der Hauptsache sicherlich Herrn Sander-Masons selbst zum
Urheber hat, läßt keinen Zweifel über die undeutsche Herkunft und Nationali¬
tät dieses Schriftstellers. Es heißt da wörtlich: "Leopold Ritter von Sacher-
Masoch wurde am 27. Januar 1836 in Lemberg in Galizien geboren, wo
sein Vater k. k. Hofrath und Polizeichef war. Eine kleinrussische Amme (!)
aus dem Bauernstand weckte zuerst die Phantasie des Knaben durch die Volks¬
lieder, die sie ihm sang, die Geschichten und Märchen, die sie ihm erzählte.
Zunächst machten die blutigen Scenen der Revolution von 1846, die Er¬
hebung der Polen gegen Oesterreich und die Niedermetzelung derselben durch
die galizischen Bauern, einen großen Eindruck auf ihn." Was dann weiter
einen großen Eindruck auf ihn machte, ist nicht ausgesprochen. "Er besuchte
das Gymnasium in Lemberg und Prag, machte seine Untversitätsstudien in
Prag und Graz, wurde in Graz zum Doctor promovirt und war an der
dortigen Hochschule durch fast zehn Jahre als Privatdocent der Geschichte
thätig. Seine Erfolge als Schriftsteller bestimmten ihn 1870 dem Lehramt den
Rücken zu kehren ... Er lebt seit dieser Zeit in Brück an der Mur aus¬
schließlich seinen literarischen Arbeiten. In früheren Jahren bereiste er einen
großen Theil von Europa, insbesondere lebte er mehrere Jahre in Italien
und Frankreich."

Die bisherigen Werke Sander - Masons's lassen ebensowenig einen Zweifel
darüber zu, daß die ganze Lebens- und Weltanschauung, die sittliche und un¬
sittliche Sphäre seines Denkens und Trachtens keinen Schimmer deutscher Art
in sich trägt. So eifrig Sander-Masons's frühere Schriften auch von Leuten
gelesen werden mögen, welche nur nach Sensationsromanen und unter diesen
am liebsten nach jenen greifen, in denen die üppigste und raffinirteste Sinn-


er dürfe von „unserer" Politik, „unserer" Literatur reden, wenn er von der
deutschen etwas faselt. Denn Rudolf Gottschall hat ihm das erlaubt. Sein
Landsmann Robert Hamerling, der aus mercantilen Gründen einen ge¬
wissen Werth darauf legt, für einen deutschen Schriftsteller gehalten zu werden,
hat sich durch eine ähnliche Belobigung bei Sander-Masons rückversichert. Und
Herr Oscar Blumenthal schrieb dem Galizier einen Stammbuchvers, den der
Verleger des berner „Jntelligenzblattes", Herr Haller, noch als Reclame ansieht:


Ja, ist der Dichter auch vielleicht verrückt,
So hat er sicher — viel Verstand verloren.

Aber damit ist natürlich keinem wirklichen Deutschen die Befugniß verkümmert,
vom deutschen Hausrecht Gebrauch zu machen und den östlichen Schriftsteller
sanft über die Grenze nach seiner Heimath zu weisen und „abzuschaffen", wie
der humane k. k. Germanismus lautet.

Ein sehr wohlwollendes Nationale über Herrn Sander-Masons. mit welchem
dieser dem Leserkreis des besagten deutschen „Novellenschatzes" vorgestellt wurde,
und welches in der Hauptsache sicherlich Herrn Sander-Masons selbst zum
Urheber hat, läßt keinen Zweifel über die undeutsche Herkunft und Nationali¬
tät dieses Schriftstellers. Es heißt da wörtlich: „Leopold Ritter von Sacher-
Masoch wurde am 27. Januar 1836 in Lemberg in Galizien geboren, wo
sein Vater k. k. Hofrath und Polizeichef war. Eine kleinrussische Amme (!)
aus dem Bauernstand weckte zuerst die Phantasie des Knaben durch die Volks¬
lieder, die sie ihm sang, die Geschichten und Märchen, die sie ihm erzählte.
Zunächst machten die blutigen Scenen der Revolution von 1846, die Er¬
hebung der Polen gegen Oesterreich und die Niedermetzelung derselben durch
die galizischen Bauern, einen großen Eindruck auf ihn." Was dann weiter
einen großen Eindruck auf ihn machte, ist nicht ausgesprochen. „Er besuchte
das Gymnasium in Lemberg und Prag, machte seine Untversitätsstudien in
Prag und Graz, wurde in Graz zum Doctor promovirt und war an der
dortigen Hochschule durch fast zehn Jahre als Privatdocent der Geschichte
thätig. Seine Erfolge als Schriftsteller bestimmten ihn 1870 dem Lehramt den
Rücken zu kehren ... Er lebt seit dieser Zeit in Brück an der Mur aus¬
schließlich seinen literarischen Arbeiten. In früheren Jahren bereiste er einen
großen Theil von Europa, insbesondere lebte er mehrere Jahre in Italien
und Frankreich."

Die bisherigen Werke Sander - Masons's lassen ebensowenig einen Zweifel
darüber zu, daß die ganze Lebens- und Weltanschauung, die sittliche und un¬
sittliche Sphäre seines Denkens und Trachtens keinen Schimmer deutscher Art
in sich trägt. So eifrig Sander-Masons's frühere Schriften auch von Leuten
gelesen werden mögen, welche nur nach Sensationsromanen und unter diesen
am liebsten nach jenen greifen, in denen die üppigste und raffinirteste Sinn-


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[0451] er dürfe von „unserer" Politik, „unserer" Literatur reden, wenn er von der deutschen etwas faselt. Denn Rudolf Gottschall hat ihm das erlaubt. Sein Landsmann Robert Hamerling, der aus mercantilen Gründen einen ge¬ wissen Werth darauf legt, für einen deutschen Schriftsteller gehalten zu werden, hat sich durch eine ähnliche Belobigung bei Sander-Masons rückversichert. Und Herr Oscar Blumenthal schrieb dem Galizier einen Stammbuchvers, den der Verleger des berner „Jntelligenzblattes", Herr Haller, noch als Reclame ansieht: Ja, ist der Dichter auch vielleicht verrückt, So hat er sicher — viel Verstand verloren. Aber damit ist natürlich keinem wirklichen Deutschen die Befugniß verkümmert, vom deutschen Hausrecht Gebrauch zu machen und den östlichen Schriftsteller sanft über die Grenze nach seiner Heimath zu weisen und „abzuschaffen", wie der humane k. k. Germanismus lautet. Ein sehr wohlwollendes Nationale über Herrn Sander-Masons. mit welchem dieser dem Leserkreis des besagten deutschen „Novellenschatzes" vorgestellt wurde, und welches in der Hauptsache sicherlich Herrn Sander-Masons selbst zum Urheber hat, läßt keinen Zweifel über die undeutsche Herkunft und Nationali¬ tät dieses Schriftstellers. Es heißt da wörtlich: „Leopold Ritter von Sacher- Masoch wurde am 27. Januar 1836 in Lemberg in Galizien geboren, wo sein Vater k. k. Hofrath und Polizeichef war. Eine kleinrussische Amme (!) aus dem Bauernstand weckte zuerst die Phantasie des Knaben durch die Volks¬ lieder, die sie ihm sang, die Geschichten und Märchen, die sie ihm erzählte. Zunächst machten die blutigen Scenen der Revolution von 1846, die Er¬ hebung der Polen gegen Oesterreich und die Niedermetzelung derselben durch die galizischen Bauern, einen großen Eindruck auf ihn." Was dann weiter einen großen Eindruck auf ihn machte, ist nicht ausgesprochen. „Er besuchte das Gymnasium in Lemberg und Prag, machte seine Untversitätsstudien in Prag und Graz, wurde in Graz zum Doctor promovirt und war an der dortigen Hochschule durch fast zehn Jahre als Privatdocent der Geschichte thätig. Seine Erfolge als Schriftsteller bestimmten ihn 1870 dem Lehramt den Rücken zu kehren ... Er lebt seit dieser Zeit in Brück an der Mur aus¬ schließlich seinen literarischen Arbeiten. In früheren Jahren bereiste er einen großen Theil von Europa, insbesondere lebte er mehrere Jahre in Italien und Frankreich." Die bisherigen Werke Sander - Masons's lassen ebensowenig einen Zweifel darüber zu, daß die ganze Lebens- und Weltanschauung, die sittliche und un¬ sittliche Sphäre seines Denkens und Trachtens keinen Schimmer deutscher Art in sich trägt. So eifrig Sander-Masons's frühere Schriften auch von Leuten gelesen werden mögen, welche nur nach Sensationsromanen und unter diesen am liebsten nach jenen greifen, in denen die üppigste und raffinirteste Sinn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/451>, abgerufen am 25.08.2024.