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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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aber er sprach dafür. Der zweite Redner, Graf Bethusi-Huc sprach allerdings
so, wie er hatte sprechen wollen, nämlich dafür. Dasselbe gilt von den beiden
letzten Rednern des ersten Tages, die als Abgeordnete sprachen, von Virchow,
der als Gegner, und von Miquel, der als Fürsprecher das Wort genommen.
Am zweiten Tage aber herrschte die Verwirrung vor. Der Abg. Richter-
Marienfelde sprach, um die Vorlage anzugreifen, aber er empfahl sie vielmehr.
Dieser Abg. hatte, wie seine Worte zeigten, gewünscht, daß der Landtag die
Veränderung der Kirchenverfassung unternehme. Nachdem der Kultusminister
jedes Eingehen von Seiten der Staatsregierung auf ein solches Unternehmen
abgelehnt, blieb dem Abg. freilich nichts übrig, als die im wesentlichen un¬
veränderte Genehmigung der Kirchenverfassung zu empfehlen. Er beschränkte
sich darauf, der Kirche die eigene Vermögensverwaltung nebst dem Besteuer¬
ungsrecht zu verweigern; die kirchlichen Behörden sollen auf dem Staatshaus¬
halt mit ihren Bezügen fortfiguriren und diese Bezüge alljährlicher Bewillig¬
ung der Abgeordneten unterliegen, während die Ausstattung der katholischen
Bisthümer längst auf einer der Bewilligung nicht mehr unterliegenden Staats¬
leistung beruht. Der Abgeordnete, der selbst evangelischer Prediger ist, will
also die evangelische Kirche zu ihrem Nachtheil von der katholischen dadurch
unterscheiden, daß er die erstere in ihrem Bestände, soweit er auf Staatszu¬
schuß beruht, für den doch die besten Rechtstttel von der Welt existiren, von
der Laune und Gunst des Abgeordnetenhauses abhängig macht, einer Ver¬
sammlung, die als solche weder evangelisch noch christlich ist.

Es folgte auf diesen Redner in der Person des Abg. Schumann wie¬
derum ein evangelischer Geistlicher. Dieser Abg. wollte für die Vorlage sprechen,
sprach aber dagegen. Gleich im Eingang seiner Worte stellte er die Annahme
als eine betrübende Nothwendigkeit dar. Was er verlangt hätte, wäre die
gänzliche Loslösung der Kirche vom Staat im Sinne des Protestantenvereins
gewesen, also eine souveraine kirchliche Demokratie mit Organen des Kirchen¬
regiments , die in allen Stufen aus UrWahlen hervorgehen, mit souverainen
Wahlrecht der Gemeinden in Bezug auf die Geistlichen. Es war nicht ge¬
rade erfreulich, daß dieser geistliche Redner es war, welcher in die Verhand¬
lung den heiteren Ton zurückbrachte, dessen sich das Haus aus einem Gefühl
der Hoheit des Gegenstandes bis dahin enthalten hatte. Witz folgte auf Witz,
gute und schlechte, auch einige recht absurde. So wurden die wechselnden
Richtungen der evangelischen Landeskirche lediglich auf Rechnung des landes¬
herrlichen Kirchenregimentes gesetzt. Als ob es irgendwo Stillstand in der Welt
gäbe und als ob eine souveräne kirchliche Demokratie, wie sie der Redner
wünscht, den Stillstand oder auch nur die ruhige Bewegung der Kirche ver¬
bürgen könnte. Daß dem Redner der Beifall der Fortschrittspartei nicht
fehlte, als er von der radies tkevlogorum sprach, kann man sich denken.


aber er sprach dafür. Der zweite Redner, Graf Bethusi-Huc sprach allerdings
so, wie er hatte sprechen wollen, nämlich dafür. Dasselbe gilt von den beiden
letzten Rednern des ersten Tages, die als Abgeordnete sprachen, von Virchow,
der als Gegner, und von Miquel, der als Fürsprecher das Wort genommen.
Am zweiten Tage aber herrschte die Verwirrung vor. Der Abg. Richter-
Marienfelde sprach, um die Vorlage anzugreifen, aber er empfahl sie vielmehr.
Dieser Abg. hatte, wie seine Worte zeigten, gewünscht, daß der Landtag die
Veränderung der Kirchenverfassung unternehme. Nachdem der Kultusminister
jedes Eingehen von Seiten der Staatsregierung auf ein solches Unternehmen
abgelehnt, blieb dem Abg. freilich nichts übrig, als die im wesentlichen un¬
veränderte Genehmigung der Kirchenverfassung zu empfehlen. Er beschränkte
sich darauf, der Kirche die eigene Vermögensverwaltung nebst dem Besteuer¬
ungsrecht zu verweigern; die kirchlichen Behörden sollen auf dem Staatshaus¬
halt mit ihren Bezügen fortfiguriren und diese Bezüge alljährlicher Bewillig¬
ung der Abgeordneten unterliegen, während die Ausstattung der katholischen
Bisthümer längst auf einer der Bewilligung nicht mehr unterliegenden Staats¬
leistung beruht. Der Abgeordnete, der selbst evangelischer Prediger ist, will
also die evangelische Kirche zu ihrem Nachtheil von der katholischen dadurch
unterscheiden, daß er die erstere in ihrem Bestände, soweit er auf Staatszu¬
schuß beruht, für den doch die besten Rechtstttel von der Welt existiren, von
der Laune und Gunst des Abgeordnetenhauses abhängig macht, einer Ver¬
sammlung, die als solche weder evangelisch noch christlich ist.

Es folgte auf diesen Redner in der Person des Abg. Schumann wie¬
derum ein evangelischer Geistlicher. Dieser Abg. wollte für die Vorlage sprechen,
sprach aber dagegen. Gleich im Eingang seiner Worte stellte er die Annahme
als eine betrübende Nothwendigkeit dar. Was er verlangt hätte, wäre die
gänzliche Loslösung der Kirche vom Staat im Sinne des Protestantenvereins
gewesen, also eine souveraine kirchliche Demokratie mit Organen des Kirchen¬
regiments , die in allen Stufen aus UrWahlen hervorgehen, mit souverainen
Wahlrecht der Gemeinden in Bezug auf die Geistlichen. Es war nicht ge¬
rade erfreulich, daß dieser geistliche Redner es war, welcher in die Verhand¬
lung den heiteren Ton zurückbrachte, dessen sich das Haus aus einem Gefühl
der Hoheit des Gegenstandes bis dahin enthalten hatte. Witz folgte auf Witz,
gute und schlechte, auch einige recht absurde. So wurden die wechselnden
Richtungen der evangelischen Landeskirche lediglich auf Rechnung des landes¬
herrlichen Kirchenregimentes gesetzt. Als ob es irgendwo Stillstand in der Welt
gäbe und als ob eine souveräne kirchliche Demokratie, wie sie der Redner
wünscht, den Stillstand oder auch nur die ruhige Bewegung der Kirche ver¬
bürgen könnte. Daß dem Redner der Beifall der Fortschrittspartei nicht
fehlte, als er von der radies tkevlogorum sprach, kann man sich denken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/435>, abgerufen am 22.07.2024.