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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Spur historischer Granaten, die man absichtlich beließ; sein Bild gehört fast
untrennbar zum landschaftlichen Ensemble jenes großen Tages!

Drei wesentlich verschiedene Typen kommen in den Dörfern Lothringens
zum Ausdruck, in die wir den Leser geleiten möchten. Zuerst das alltägliche
behäbig-ländliche Leben, dafür bot Remilly das Bild; dann eine Ortschaft mit
entschiedenem historischem Gepräge; ein Dorf, bet dem die Natur und die
Culturgeschichte weit überragt wird von der weltgeschichtlichen Erinnerung,
die seinen Namen eisern durchdrang und ein solcher Name ist Spichern.

Aber es giebt noch ein drittes Element, das zur erschöpfenden Charak¬
teristik von Lothringen gehört und dieses Element ist die Romantik, wenn
das verrufene Wort erlaubt ist. Es ist der landschaftliche Zauber, den
Lothringen vor allem in jenen Theilen hat, die tiefer in die Vogesen greifen,
und dafür bietet vielleicht das Dagsburgerlan d den anmuthigsten Typus.

Das Dagsburgerland liegt auf der Lothringer Seite der Vogesen, ganz
nahe, wo zwischen den Bergen hin die Elsässer Grenze läuft, ja in früheren
Zeiten ward das Gebiet desselben sogar noch zu Elsaß gerechnet. Damals
war es eine weit berühmte Grafschaft, deren gewaltiges Schloß sagenhaft auf
dem Felsen thronte, umgeben von ungeheuren Wäldern, die fast fünf Sechstel
des gesammten Gebietes bedeckten.

In der abenteuerlichsten Form thürmt jener Felsblock sich über dem
Hügel auf, und eine Kapelle, die den Frommen ein Wallfahrtsziel geworden,
mahnt uns an jenen Namen, der aus dieser Einsamkeit den Weg zum Vati¬
kan gefunden, an Papst Leo IX-

Weithin schweift hier der Blick über grünende Höhen und wenn er müde
ruht, sind es die Wipfel des Waldes die ihn tragen, krystallene Fluth rauscht
drunten im Thale und um zerbröckeltes Gestein ziehen dicht verschlungene
Ranken. Hunderte von geheimnißvollen Waldespfaden durchziehen den Forst,
über den Weg schleichen sich knorrige Wurzeln, hier umfängt uns kühler
dämmertiefer Schatten, dort thut sich eine sonnige Lichtung auf und wir
sehen hinab auf das heitere Dorf, das sich drunten am Abhang hinzieht und
hinüber auf den riesigen Felsen. Es ist eine Stätte, wo wir unbewußt der
alten Märchen gedenken, die uns in Kindertagen durchs Dickicht begleitet;
das ist nicht nur Waldesdunkel, das ist deutscher Wald!

So reichen denn auch die geheimnißvollen Erinnerungen dieser Stätte
bis in die graue Urzeit zurück, kein anderer Theil von Elsaß-Lothringen ist
so reich an seltenen Alterthümern, an Gräbern und steinernen Gebilden wie
man sie hier theils in der Tiefe der Wälder fand. Wie bekannt, suchte der
Kultus der Druiden einsame hochgelegene Haine, dort thürmten sie die riesigen
Opfersteine auf und gewaltige Mauern umgürteten die geweihte Stätte.
Auch der Gipfel des Berges Dreiheiligen trägt eine solche Mauer und auf


Spur historischer Granaten, die man absichtlich beließ; sein Bild gehört fast
untrennbar zum landschaftlichen Ensemble jenes großen Tages!

Drei wesentlich verschiedene Typen kommen in den Dörfern Lothringens
zum Ausdruck, in die wir den Leser geleiten möchten. Zuerst das alltägliche
behäbig-ländliche Leben, dafür bot Remilly das Bild; dann eine Ortschaft mit
entschiedenem historischem Gepräge; ein Dorf, bet dem die Natur und die
Culturgeschichte weit überragt wird von der weltgeschichtlichen Erinnerung,
die seinen Namen eisern durchdrang und ein solcher Name ist Spichern.

Aber es giebt noch ein drittes Element, das zur erschöpfenden Charak¬
teristik von Lothringen gehört und dieses Element ist die Romantik, wenn
das verrufene Wort erlaubt ist. Es ist der landschaftliche Zauber, den
Lothringen vor allem in jenen Theilen hat, die tiefer in die Vogesen greifen,
und dafür bietet vielleicht das Dagsburgerlan d den anmuthigsten Typus.

Das Dagsburgerland liegt auf der Lothringer Seite der Vogesen, ganz
nahe, wo zwischen den Bergen hin die Elsässer Grenze läuft, ja in früheren
Zeiten ward das Gebiet desselben sogar noch zu Elsaß gerechnet. Damals
war es eine weit berühmte Grafschaft, deren gewaltiges Schloß sagenhaft auf
dem Felsen thronte, umgeben von ungeheuren Wäldern, die fast fünf Sechstel
des gesammten Gebietes bedeckten.

In der abenteuerlichsten Form thürmt jener Felsblock sich über dem
Hügel auf, und eine Kapelle, die den Frommen ein Wallfahrtsziel geworden,
mahnt uns an jenen Namen, der aus dieser Einsamkeit den Weg zum Vati¬
kan gefunden, an Papst Leo IX-

Weithin schweift hier der Blick über grünende Höhen und wenn er müde
ruht, sind es die Wipfel des Waldes die ihn tragen, krystallene Fluth rauscht
drunten im Thale und um zerbröckeltes Gestein ziehen dicht verschlungene
Ranken. Hunderte von geheimnißvollen Waldespfaden durchziehen den Forst,
über den Weg schleichen sich knorrige Wurzeln, hier umfängt uns kühler
dämmertiefer Schatten, dort thut sich eine sonnige Lichtung auf und wir
sehen hinab auf das heitere Dorf, das sich drunten am Abhang hinzieht und
hinüber auf den riesigen Felsen. Es ist eine Stätte, wo wir unbewußt der
alten Märchen gedenken, die uns in Kindertagen durchs Dickicht begleitet;
das ist nicht nur Waldesdunkel, das ist deutscher Wald!

So reichen denn auch die geheimnißvollen Erinnerungen dieser Stätte
bis in die graue Urzeit zurück, kein anderer Theil von Elsaß-Lothringen ist
so reich an seltenen Alterthümern, an Gräbern und steinernen Gebilden wie
man sie hier theils in der Tiefe der Wälder fand. Wie bekannt, suchte der
Kultus der Druiden einsame hochgelegene Haine, dort thürmten sie die riesigen
Opfersteine auf und gewaltige Mauern umgürteten die geweihte Stätte.
Auch der Gipfel des Berges Dreiheiligen trägt eine solche Mauer und auf


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[0431] Spur historischer Granaten, die man absichtlich beließ; sein Bild gehört fast untrennbar zum landschaftlichen Ensemble jenes großen Tages! Drei wesentlich verschiedene Typen kommen in den Dörfern Lothringens zum Ausdruck, in die wir den Leser geleiten möchten. Zuerst das alltägliche behäbig-ländliche Leben, dafür bot Remilly das Bild; dann eine Ortschaft mit entschiedenem historischem Gepräge; ein Dorf, bet dem die Natur und die Culturgeschichte weit überragt wird von der weltgeschichtlichen Erinnerung, die seinen Namen eisern durchdrang und ein solcher Name ist Spichern. Aber es giebt noch ein drittes Element, das zur erschöpfenden Charak¬ teristik von Lothringen gehört und dieses Element ist die Romantik, wenn das verrufene Wort erlaubt ist. Es ist der landschaftliche Zauber, den Lothringen vor allem in jenen Theilen hat, die tiefer in die Vogesen greifen, und dafür bietet vielleicht das Dagsburgerlan d den anmuthigsten Typus. Das Dagsburgerland liegt auf der Lothringer Seite der Vogesen, ganz nahe, wo zwischen den Bergen hin die Elsässer Grenze läuft, ja in früheren Zeiten ward das Gebiet desselben sogar noch zu Elsaß gerechnet. Damals war es eine weit berühmte Grafschaft, deren gewaltiges Schloß sagenhaft auf dem Felsen thronte, umgeben von ungeheuren Wäldern, die fast fünf Sechstel des gesammten Gebietes bedeckten. In der abenteuerlichsten Form thürmt jener Felsblock sich über dem Hügel auf, und eine Kapelle, die den Frommen ein Wallfahrtsziel geworden, mahnt uns an jenen Namen, der aus dieser Einsamkeit den Weg zum Vati¬ kan gefunden, an Papst Leo IX- Weithin schweift hier der Blick über grünende Höhen und wenn er müde ruht, sind es die Wipfel des Waldes die ihn tragen, krystallene Fluth rauscht drunten im Thale und um zerbröckeltes Gestein ziehen dicht verschlungene Ranken. Hunderte von geheimnißvollen Waldespfaden durchziehen den Forst, über den Weg schleichen sich knorrige Wurzeln, hier umfängt uns kühler dämmertiefer Schatten, dort thut sich eine sonnige Lichtung auf und wir sehen hinab auf das heitere Dorf, das sich drunten am Abhang hinzieht und hinüber auf den riesigen Felsen. Es ist eine Stätte, wo wir unbewußt der alten Märchen gedenken, die uns in Kindertagen durchs Dickicht begleitet; das ist nicht nur Waldesdunkel, das ist deutscher Wald! So reichen denn auch die geheimnißvollen Erinnerungen dieser Stätte bis in die graue Urzeit zurück, kein anderer Theil von Elsaß-Lothringen ist so reich an seltenen Alterthümern, an Gräbern und steinernen Gebilden wie man sie hier theils in der Tiefe der Wälder fand. Wie bekannt, suchte der Kultus der Druiden einsame hochgelegene Haine, dort thürmten sie die riesigen Opfersteine auf und gewaltige Mauern umgürteten die geweihte Stätte. Auch der Gipfel des Berges Dreiheiligen trägt eine solche Mauer und auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/431>, abgerufen am 23.07.2024.