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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Hier wurde sie geschlagen -- die mörderische Schlacht vom 6. August 1870!
Der Punkt, wo man die ganze Situation, wie sie sich damals gestaltete, am besten
überblickt, liegt auf der Höhe des Weges, drunten zur einen Seite ist Se. Jo¬
hann und Saarbrücken, gegenüber hochgelegen Spichern.

Dort aber, wo wir selber stehen, stand am entscheidenden Tage der Kaiser
der Franzosen mit seinem Knaben, dort waren die Geschütze aufgefahren, die
die wehrlose Stadt bombardirten und jene Mitratlleuse, die dem Sohn des
Mannes von Sedan die Feuertaufe gab. Hier fiel der erste Schuß. Ein
kleiner Gedenkstein, der unter den hochgewachsenen Bäumen steht und den die
Bürger von Saarbrücken gesetzt, dient zur Erinnerung an den historischen
Moment. Er heißt beim Volke der Lulustein und die Bäume daneben sind
von den neugierigen Gästen dermaßen beschnitten, daß sie auf Mannshöhe
kaum ein Stück Rinde haben. Das sollen Andenken sein an eine große Zeit!

Auch ondere Kleinigkeiten, die auf dem Schlachtfelds gefunden wurden,
Waffenstücke und Kugeln, Feldzeichen und Patronen werden von allerlei
Jungen ausgeboten, die immer zur Hand sind und das ungebetene Gefolge
jedes Fremden bilden. Mit unerschöpflicher Beredsamkeit erzählen sie von
den Tagen der Gefahr und jeder von ihnen ist der, den die Franzosen frugen,
wie weit denn von hier noch bis nach Berlin sei. "Wir sagten: höchstens zwei
Stunden (fuhren sie unisono fort) nur der Weg sei etwas schwer zu finden."

Unter den zahllosen Gästen, die im langen Jahr die historischen Stätten
von 1870 besuchen, findet sich wohl auch manche originelle Gestalt, die dem
ernsten Bilde eine komische Staffage beifügt. Zu beiden Seiten des Lulu-
steines sah ich zwei transatlantische Herren im Grase liegen, die ihren Be¬
trachtungen soeben die gediegene Grundlage eines Frühstücks gaben. Jeder
von ihnen hielt eine Flasche in der Hand, entkorkte sie schweigend und roch
daran, aber es mußte wohl etwas nicht recht in der Ordnung sein, denn bald
gewannen ihre Nasenflügel den Ausdruck höchster Unzufriedenheit. Wortlos,
mit dem tiefsten Ernste eines "Schlachtendenkers" gab jeder dem Nachbar
seine Flasche, erneuerte Prüfung folgte -- dasselbe Minenspiel, aber keine
Silbe. Gleichwohl waren in fünf Minuten beide Flaschen leer und nun er¬
hoben sich die beiden Gentlemen wie am Schnürchen gezogen; "Spielern"
sagten sie fast in einem Athem und blickten sich an, dann strichen sie ver¬
gnügt das Wort in ihrem Reisebuch, wie man im Schuldbuch einen getilgten
Posten streicht. Dies wäre abgemacht; "Spielern" kennen sie nun zur Genüge.
60 on! In ehrerbietiger Entfernung wollen wir ihnen folgen. Die breite
Straße, die zwischen Feldern dahinzieht, führt wie erwähnt hinunter nach
Se. Johann und Saarbrücken, das neben seinen röthlich schwarzen Häusern
schon eine ganze Reihe prächtiger moderner Bauten hat. Der stattliche Bahn¬
hof selber sieht aus wie ein Fort und trägt an einzelnen Pfeilern noch die


Hier wurde sie geschlagen — die mörderische Schlacht vom 6. August 1870!
Der Punkt, wo man die ganze Situation, wie sie sich damals gestaltete, am besten
überblickt, liegt auf der Höhe des Weges, drunten zur einen Seite ist Se. Jo¬
hann und Saarbrücken, gegenüber hochgelegen Spichern.

Dort aber, wo wir selber stehen, stand am entscheidenden Tage der Kaiser
der Franzosen mit seinem Knaben, dort waren die Geschütze aufgefahren, die
die wehrlose Stadt bombardirten und jene Mitratlleuse, die dem Sohn des
Mannes von Sedan die Feuertaufe gab. Hier fiel der erste Schuß. Ein
kleiner Gedenkstein, der unter den hochgewachsenen Bäumen steht und den die
Bürger von Saarbrücken gesetzt, dient zur Erinnerung an den historischen
Moment. Er heißt beim Volke der Lulustein und die Bäume daneben sind
von den neugierigen Gästen dermaßen beschnitten, daß sie auf Mannshöhe
kaum ein Stück Rinde haben. Das sollen Andenken sein an eine große Zeit!

Auch ondere Kleinigkeiten, die auf dem Schlachtfelds gefunden wurden,
Waffenstücke und Kugeln, Feldzeichen und Patronen werden von allerlei
Jungen ausgeboten, die immer zur Hand sind und das ungebetene Gefolge
jedes Fremden bilden. Mit unerschöpflicher Beredsamkeit erzählen sie von
den Tagen der Gefahr und jeder von ihnen ist der, den die Franzosen frugen,
wie weit denn von hier noch bis nach Berlin sei. „Wir sagten: höchstens zwei
Stunden (fuhren sie unisono fort) nur der Weg sei etwas schwer zu finden."

Unter den zahllosen Gästen, die im langen Jahr die historischen Stätten
von 1870 besuchen, findet sich wohl auch manche originelle Gestalt, die dem
ernsten Bilde eine komische Staffage beifügt. Zu beiden Seiten des Lulu-
steines sah ich zwei transatlantische Herren im Grase liegen, die ihren Be¬
trachtungen soeben die gediegene Grundlage eines Frühstücks gaben. Jeder
von ihnen hielt eine Flasche in der Hand, entkorkte sie schweigend und roch
daran, aber es mußte wohl etwas nicht recht in der Ordnung sein, denn bald
gewannen ihre Nasenflügel den Ausdruck höchster Unzufriedenheit. Wortlos,
mit dem tiefsten Ernste eines „Schlachtendenkers" gab jeder dem Nachbar
seine Flasche, erneuerte Prüfung folgte — dasselbe Minenspiel, aber keine
Silbe. Gleichwohl waren in fünf Minuten beide Flaschen leer und nun er¬
hoben sich die beiden Gentlemen wie am Schnürchen gezogen; „Spielern"
sagten sie fast in einem Athem und blickten sich an, dann strichen sie ver¬
gnügt das Wort in ihrem Reisebuch, wie man im Schuldbuch einen getilgten
Posten streicht. Dies wäre abgemacht; „Spielern" kennen sie nun zur Genüge.
60 on! In ehrerbietiger Entfernung wollen wir ihnen folgen. Die breite
Straße, die zwischen Feldern dahinzieht, führt wie erwähnt hinunter nach
Se. Johann und Saarbrücken, das neben seinen röthlich schwarzen Häusern
schon eine ganze Reihe prächtiger moderner Bauten hat. Der stattliche Bahn¬
hof selber sieht aus wie ein Fort und trägt an einzelnen Pfeilern noch die


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[0430] Hier wurde sie geschlagen — die mörderische Schlacht vom 6. August 1870! Der Punkt, wo man die ganze Situation, wie sie sich damals gestaltete, am besten überblickt, liegt auf der Höhe des Weges, drunten zur einen Seite ist Se. Jo¬ hann und Saarbrücken, gegenüber hochgelegen Spichern. Dort aber, wo wir selber stehen, stand am entscheidenden Tage der Kaiser der Franzosen mit seinem Knaben, dort waren die Geschütze aufgefahren, die die wehrlose Stadt bombardirten und jene Mitratlleuse, die dem Sohn des Mannes von Sedan die Feuertaufe gab. Hier fiel der erste Schuß. Ein kleiner Gedenkstein, der unter den hochgewachsenen Bäumen steht und den die Bürger von Saarbrücken gesetzt, dient zur Erinnerung an den historischen Moment. Er heißt beim Volke der Lulustein und die Bäume daneben sind von den neugierigen Gästen dermaßen beschnitten, daß sie auf Mannshöhe kaum ein Stück Rinde haben. Das sollen Andenken sein an eine große Zeit! Auch ondere Kleinigkeiten, die auf dem Schlachtfelds gefunden wurden, Waffenstücke und Kugeln, Feldzeichen und Patronen werden von allerlei Jungen ausgeboten, die immer zur Hand sind und das ungebetene Gefolge jedes Fremden bilden. Mit unerschöpflicher Beredsamkeit erzählen sie von den Tagen der Gefahr und jeder von ihnen ist der, den die Franzosen frugen, wie weit denn von hier noch bis nach Berlin sei. „Wir sagten: höchstens zwei Stunden (fuhren sie unisono fort) nur der Weg sei etwas schwer zu finden." Unter den zahllosen Gästen, die im langen Jahr die historischen Stätten von 1870 besuchen, findet sich wohl auch manche originelle Gestalt, die dem ernsten Bilde eine komische Staffage beifügt. Zu beiden Seiten des Lulu- steines sah ich zwei transatlantische Herren im Grase liegen, die ihren Be¬ trachtungen soeben die gediegene Grundlage eines Frühstücks gaben. Jeder von ihnen hielt eine Flasche in der Hand, entkorkte sie schweigend und roch daran, aber es mußte wohl etwas nicht recht in der Ordnung sein, denn bald gewannen ihre Nasenflügel den Ausdruck höchster Unzufriedenheit. Wortlos, mit dem tiefsten Ernste eines „Schlachtendenkers" gab jeder dem Nachbar seine Flasche, erneuerte Prüfung folgte — dasselbe Minenspiel, aber keine Silbe. Gleichwohl waren in fünf Minuten beide Flaschen leer und nun er¬ hoben sich die beiden Gentlemen wie am Schnürchen gezogen; „Spielern" sagten sie fast in einem Athem und blickten sich an, dann strichen sie ver¬ gnügt das Wort in ihrem Reisebuch, wie man im Schuldbuch einen getilgten Posten streicht. Dies wäre abgemacht; „Spielern" kennen sie nun zur Genüge. 60 on! In ehrerbietiger Entfernung wollen wir ihnen folgen. Die breite Straße, die zwischen Feldern dahinzieht, führt wie erwähnt hinunter nach Se. Johann und Saarbrücken, das neben seinen röthlich schwarzen Häusern schon eine ganze Reihe prächtiger moderner Bauten hat. Der stattliche Bahn¬ hof selber sieht aus wie ein Fort und trägt an einzelnen Pfeilern noch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/430>, abgerufen am 23.07.2024.