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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Bis auf die Avantgarde, die ihren Weg in der Nacht fortsetzte, bivoua-
kirten sämmtliche Truppen bei dem Dorfe Elm. -- Es war eine stürmische
rauhe Nacht, der Schnee fiel dicht, -- Holz fehlte zu einem erwärmenden
Feuer. -- Am 6. October gegen 2 Uhr Morgens brachen die Truppen wie¬
derum auf, -- nochmals versuchte Molitor den Abzug zu stören, ließ aber,
da er gar keinen Erfolg erzielte, bald ganz davon ab.

Der Weg, den die russische Armee einschlug, um über den Panixer-Paß
in das Rheinthal zu gelangen, gehört in der Schweiz in die Kategorie der
gefährlicheren Saumpfade, -- d. h. er kann auch unter günstigen Umständen
für im Klettern gewandte Maulthiere benutzt werden. Bei schlechtem Wetter
oder Schneegestöber und in den Monaten October bis April wird sich jedoch
Niemand so leicht finden, der ihn, ohne hierzu gezwungen zu sein, benutzt.
Einige Stellen, wie die Überschreitung des wilden Jätzbaches, die Passtrung
sehr scharf geneigter Schneeflächen in der Nähe der Paßhöhe und der Ueber¬
gang über den Ranasca-Tobel auf einer 2^/z Fuß breiten und 8 Fuß langen
Steinplatte, während in einer Tiefe von 2 -- 300 Fuß der Gebirgsbach in
Cascaden herunterstürzt, bieten Schwierigkeiten der mannigfaltigsten Art.

Es bedürfte der ganzen Energie des greisen Feldherrn die vollständig
erschöpften Truppen zur gewaltsamen Ueberwindung der Mühsale, zum Aus¬
harren bis ans Ende, anzuspornen. Der Schnee hörte nicht auf zu fallen
und der Wind ging scharf. Die mit der Avantgarde vorausgesandten Maul¬
thiere hatten die Straße bis zur Undurchdringlichkeit aufgewühlt und somit
ein neues Hinderniß geschaffen. Nach 23stündigem Marsch langte endlich die
Avantgarde in Panix an; die übrigen Truppen hatten bis zum Abend zum
größeren Theil die Paßhöhe noch nicht erreicht. Die ganze Colonne wurde
durch die hereinbrechende Nacht gezwungen Halt zu machen. Die Soldaten
suchten ihr Lager auf dem Gestein oder im Schnee und da zu allem Elend
noch ein strenger Nachtfrost eintrat, fand auch hierdurch so Mancher seinen
Tod. Mit dem ersten Grauen des Tages brach die Colonne wieder auf.
Der Frost hatte die schlüpfrigen Pfade nun in eisglatte verwandelt. Der
Weg bergab wurde hierdurch noch gefahrvoller und erst am späten Abend
desselben Tages erreichte die Arrieregarde Panix.

Am 8. October erfolgte der Weitermarsch der Armee bis Chur, dort fand
sie Lebensmittel in Ueberfluß, blieb daselbst zwei Tage und setzte dann den
Marsch über Mayenfeld nach Feldkirch unbehelligt fort. Wenige Tage darauf
fand die Vereinigung mit Korsakow nördlich vom Bodensee Statt.

Trotz aller Bitten des Erzherzogs Carl und der eingehendsten Vorstellungen
des Wiener Cabinets, welches nun zu spät einsah, wohin seine Intriguen
geführt, zog, vom Kaiser Paul hierzu autorisire, Suworow mit seinen Trup¬
pen der Heimath wieder zu. Rußland verließ die Coalition. --


Bis auf die Avantgarde, die ihren Weg in der Nacht fortsetzte, bivoua-
kirten sämmtliche Truppen bei dem Dorfe Elm. — Es war eine stürmische
rauhe Nacht, der Schnee fiel dicht, — Holz fehlte zu einem erwärmenden
Feuer. — Am 6. October gegen 2 Uhr Morgens brachen die Truppen wie¬
derum auf, — nochmals versuchte Molitor den Abzug zu stören, ließ aber,
da er gar keinen Erfolg erzielte, bald ganz davon ab.

Der Weg, den die russische Armee einschlug, um über den Panixer-Paß
in das Rheinthal zu gelangen, gehört in der Schweiz in die Kategorie der
gefährlicheren Saumpfade, — d. h. er kann auch unter günstigen Umständen
für im Klettern gewandte Maulthiere benutzt werden. Bei schlechtem Wetter
oder Schneegestöber und in den Monaten October bis April wird sich jedoch
Niemand so leicht finden, der ihn, ohne hierzu gezwungen zu sein, benutzt.
Einige Stellen, wie die Überschreitung des wilden Jätzbaches, die Passtrung
sehr scharf geneigter Schneeflächen in der Nähe der Paßhöhe und der Ueber¬
gang über den Ranasca-Tobel auf einer 2^/z Fuß breiten und 8 Fuß langen
Steinplatte, während in einer Tiefe von 2 — 300 Fuß der Gebirgsbach in
Cascaden herunterstürzt, bieten Schwierigkeiten der mannigfaltigsten Art.

Es bedürfte der ganzen Energie des greisen Feldherrn die vollständig
erschöpften Truppen zur gewaltsamen Ueberwindung der Mühsale, zum Aus¬
harren bis ans Ende, anzuspornen. Der Schnee hörte nicht auf zu fallen
und der Wind ging scharf. Die mit der Avantgarde vorausgesandten Maul¬
thiere hatten die Straße bis zur Undurchdringlichkeit aufgewühlt und somit
ein neues Hinderniß geschaffen. Nach 23stündigem Marsch langte endlich die
Avantgarde in Panix an; die übrigen Truppen hatten bis zum Abend zum
größeren Theil die Paßhöhe noch nicht erreicht. Die ganze Colonne wurde
durch die hereinbrechende Nacht gezwungen Halt zu machen. Die Soldaten
suchten ihr Lager auf dem Gestein oder im Schnee und da zu allem Elend
noch ein strenger Nachtfrost eintrat, fand auch hierdurch so Mancher seinen
Tod. Mit dem ersten Grauen des Tages brach die Colonne wieder auf.
Der Frost hatte die schlüpfrigen Pfade nun in eisglatte verwandelt. Der
Weg bergab wurde hierdurch noch gefahrvoller und erst am späten Abend
desselben Tages erreichte die Arrieregarde Panix.

Am 8. October erfolgte der Weitermarsch der Armee bis Chur, dort fand
sie Lebensmittel in Ueberfluß, blieb daselbst zwei Tage und setzte dann den
Marsch über Mayenfeld nach Feldkirch unbehelligt fort. Wenige Tage darauf
fand die Vereinigung mit Korsakow nördlich vom Bodensee Statt.

Trotz aller Bitten des Erzherzogs Carl und der eingehendsten Vorstellungen
des Wiener Cabinets, welches nun zu spät einsah, wohin seine Intriguen
geführt, zog, vom Kaiser Paul hierzu autorisire, Suworow mit seinen Trup¬
pen der Heimath wieder zu. Rußland verließ die Coalition. —


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[0422] Bis auf die Avantgarde, die ihren Weg in der Nacht fortsetzte, bivoua- kirten sämmtliche Truppen bei dem Dorfe Elm. — Es war eine stürmische rauhe Nacht, der Schnee fiel dicht, — Holz fehlte zu einem erwärmenden Feuer. — Am 6. October gegen 2 Uhr Morgens brachen die Truppen wie¬ derum auf, — nochmals versuchte Molitor den Abzug zu stören, ließ aber, da er gar keinen Erfolg erzielte, bald ganz davon ab. Der Weg, den die russische Armee einschlug, um über den Panixer-Paß in das Rheinthal zu gelangen, gehört in der Schweiz in die Kategorie der gefährlicheren Saumpfade, — d. h. er kann auch unter günstigen Umständen für im Klettern gewandte Maulthiere benutzt werden. Bei schlechtem Wetter oder Schneegestöber und in den Monaten October bis April wird sich jedoch Niemand so leicht finden, der ihn, ohne hierzu gezwungen zu sein, benutzt. Einige Stellen, wie die Überschreitung des wilden Jätzbaches, die Passtrung sehr scharf geneigter Schneeflächen in der Nähe der Paßhöhe und der Ueber¬ gang über den Ranasca-Tobel auf einer 2^/z Fuß breiten und 8 Fuß langen Steinplatte, während in einer Tiefe von 2 — 300 Fuß der Gebirgsbach in Cascaden herunterstürzt, bieten Schwierigkeiten der mannigfaltigsten Art. Es bedürfte der ganzen Energie des greisen Feldherrn die vollständig erschöpften Truppen zur gewaltsamen Ueberwindung der Mühsale, zum Aus¬ harren bis ans Ende, anzuspornen. Der Schnee hörte nicht auf zu fallen und der Wind ging scharf. Die mit der Avantgarde vorausgesandten Maul¬ thiere hatten die Straße bis zur Undurchdringlichkeit aufgewühlt und somit ein neues Hinderniß geschaffen. Nach 23stündigem Marsch langte endlich die Avantgarde in Panix an; die übrigen Truppen hatten bis zum Abend zum größeren Theil die Paßhöhe noch nicht erreicht. Die ganze Colonne wurde durch die hereinbrechende Nacht gezwungen Halt zu machen. Die Soldaten suchten ihr Lager auf dem Gestein oder im Schnee und da zu allem Elend noch ein strenger Nachtfrost eintrat, fand auch hierdurch so Mancher seinen Tod. Mit dem ersten Grauen des Tages brach die Colonne wieder auf. Der Frost hatte die schlüpfrigen Pfade nun in eisglatte verwandelt. Der Weg bergab wurde hierdurch noch gefahrvoller und erst am späten Abend desselben Tages erreichte die Arrieregarde Panix. Am 8. October erfolgte der Weitermarsch der Armee bis Chur, dort fand sie Lebensmittel in Ueberfluß, blieb daselbst zwei Tage und setzte dann den Marsch über Mayenfeld nach Feldkirch unbehelligt fort. Wenige Tage darauf fand die Vereinigung mit Korsakow nördlich vom Bodensee Statt. Trotz aller Bitten des Erzherzogs Carl und der eingehendsten Vorstellungen des Wiener Cabinets, welches nun zu spät einsah, wohin seine Intriguen geführt, zog, vom Kaiser Paul hierzu autorisire, Suworow mit seinen Trup¬ pen der Heimath wieder zu. Rußland verließ die Coalition. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/422>, abgerufen am 27.09.2024.