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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Massen" spät am Nachmittag zu einer Recognoscirung. Er sah nun die
Täuschung -- Rosenberg war schon seit 12 Stunden abmarschirt, nur die
Kranken und Verwundeten hatte er in Muotta zurückgelassen. Massen"
mochte sich nicht entschließen, den Russen über den Präget zu folgen, er ließ
im Muottathal 6 Bataillone zurück und ging dann mit den übrigen Truppen
in einem großen Bogen über Einsiedeln in das Linththal, um sich dort mit
Molitor zu vereinigen, kam aber auch zu spät, um noch auf die Ereignisse
dort einwirken zu können.

Der Uebergang über den Präget wurde für Rosenberg bedeutend schwie¬
riger, als er für die übrigen Truppen gewesen. Frisch gefallener tiefer Schnee
erlaubte nur ein äußerst langsames Vorwärtsschreiten, so daß er erst am 4.
October mit seinem Corps bei Glarus anlangte. Suworow mußte natürlich
das Eintreffen Rosenberg's abwarten, ehe er weitere Schritte unternahm.

Die französischen Truppen wagten während dieser Zeit Nichts gegen die
Russen. Dieß war jedenfalls ein unverzeihlicher Fehler Massena's, da ihm
noch 3--4 Divisionen disponibel waren, welche unthätig zwischen Züricher und
Bodensee Aufstellung genommen. Um die so vollständig geschlagenen Russen
und Oestreicher zu beobachten, genügten in diesem kritischen Momente nöthigen-
falls ein paar Regimenter.

Am 4. October sammelte sich Alles in Glarus, was noch von der
Armee Suworow's geblieben. Aber in welchem Zustande befanden sich jetzt
dieser Ueberrest? Die Truppen waren durch die beispiellosen Märsche, durch
den fast vollständigen Mangel an Lebensmitteln und die täglichen Kämpfe
nun gänzlich erschöpft. Die Uniformen hingen nur noch in Fetzen, ganze
Fußbekleidungen gab es selbst bei den Officieren nicht mehr, ein großer Theil
der Mannschaften ging baarfuß, sie waren ohne Munition und fast ohne
Artillerie. Es fehlte selbst an Mitteln die Verwundeten fortzuschaffen.
Auch die letzte Hoffnung Suworow's sich noch mit Linken vereinigen zu kön¬
nen, war verschwunden, derselbe hatte schon am 28. September, ohne directe
Nothwendigkeit, das Linththal geräumt und sich nach Graubünden zurück¬
gezogen; auch Auffenberg hatte am 2. October die russischen Truppen ver¬
lassen und war Linken gegen Jlanz gefolgt.

Was blieb dem russischen Feldherrn in dieser verzweiflungsvollen Lage
wohl zu thun übrig?

Sich durch das Linththal gegen Sargans einen Weg zu bahnen, um sich
so mit Jellachich, den Truppen Holze's und Korsakow's zu vereinigen,
war jedenfalls unmöglich. Einmal war es sehr fraglich, ob ihn die Oestreicher
hierbei unterstützen würden, dann aber auch mußte er darauf gefaßt sein, sieh
durch die Hauptmasse der Armee Massena's, von dem er doch als sicher an¬
nehmen mußte, daß er sich ihm entgegenstellen würde, durchzuschlagen. An


Massen« spät am Nachmittag zu einer Recognoscirung. Er sah nun die
Täuschung — Rosenberg war schon seit 12 Stunden abmarschirt, nur die
Kranken und Verwundeten hatte er in Muotta zurückgelassen. Massen«
mochte sich nicht entschließen, den Russen über den Präget zu folgen, er ließ
im Muottathal 6 Bataillone zurück und ging dann mit den übrigen Truppen
in einem großen Bogen über Einsiedeln in das Linththal, um sich dort mit
Molitor zu vereinigen, kam aber auch zu spät, um noch auf die Ereignisse
dort einwirken zu können.

Der Uebergang über den Präget wurde für Rosenberg bedeutend schwie¬
riger, als er für die übrigen Truppen gewesen. Frisch gefallener tiefer Schnee
erlaubte nur ein äußerst langsames Vorwärtsschreiten, so daß er erst am 4.
October mit seinem Corps bei Glarus anlangte. Suworow mußte natürlich
das Eintreffen Rosenberg's abwarten, ehe er weitere Schritte unternahm.

Die französischen Truppen wagten während dieser Zeit Nichts gegen die
Russen. Dieß war jedenfalls ein unverzeihlicher Fehler Massena's, da ihm
noch 3—4 Divisionen disponibel waren, welche unthätig zwischen Züricher und
Bodensee Aufstellung genommen. Um die so vollständig geschlagenen Russen
und Oestreicher zu beobachten, genügten in diesem kritischen Momente nöthigen-
falls ein paar Regimenter.

Am 4. October sammelte sich Alles in Glarus, was noch von der
Armee Suworow's geblieben. Aber in welchem Zustande befanden sich jetzt
dieser Ueberrest? Die Truppen waren durch die beispiellosen Märsche, durch
den fast vollständigen Mangel an Lebensmitteln und die täglichen Kämpfe
nun gänzlich erschöpft. Die Uniformen hingen nur noch in Fetzen, ganze
Fußbekleidungen gab es selbst bei den Officieren nicht mehr, ein großer Theil
der Mannschaften ging baarfuß, sie waren ohne Munition und fast ohne
Artillerie. Es fehlte selbst an Mitteln die Verwundeten fortzuschaffen.
Auch die letzte Hoffnung Suworow's sich noch mit Linken vereinigen zu kön¬
nen, war verschwunden, derselbe hatte schon am 28. September, ohne directe
Nothwendigkeit, das Linththal geräumt und sich nach Graubünden zurück¬
gezogen; auch Auffenberg hatte am 2. October die russischen Truppen ver¬
lassen und war Linken gegen Jlanz gefolgt.

Was blieb dem russischen Feldherrn in dieser verzweiflungsvollen Lage
wohl zu thun übrig?

Sich durch das Linththal gegen Sargans einen Weg zu bahnen, um sich
so mit Jellachich, den Truppen Holze's und Korsakow's zu vereinigen,
war jedenfalls unmöglich. Einmal war es sehr fraglich, ob ihn die Oestreicher
hierbei unterstützen würden, dann aber auch mußte er darauf gefaßt sein, sieh
durch die Hauptmasse der Armee Massena's, von dem er doch als sicher an¬
nehmen mußte, daß er sich ihm entgegenstellen würde, durchzuschlagen. An


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/420>, abgerufen am 27.09.2024.