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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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der Mond sich einmal über Chelbun hinter Wolken verbarg, entstand im
Orte große Angst und Aufregung; denn man meinte, er sei vollständig ver¬
loren gegangen. Aber wieder wußte die Weisheit des Bürgermeisters das
Rechte zu finden. Er kam, und seine Ansicht lautete, daß die Bauern des
Nachbardorfes den Mond gestohlen hätten, und daß man ihn denselben ab¬
nehmen müsse. Sogleich luden die Männer von Chelbun ihre langen Flinten
und machten sich auf, um den Dieben ihre Beute wieder abzujagen. Unter¬
wegs aber sahen sie, wie der Mond plötzlich wieder aus seiner Verhüllung
heraustrat, und triumphirend zogen sie nun heim, indem sie die Ueberzeugung
begleitete, die bösen Nachbarn hätten ihre kriegerischen Anstalten erfahren
und aus Furcht vor den langen Flinten ihren Raub freiwillig fahren lassen.

Ein ander Mal war diesen syrischen Laien ein Berg verdrießlich, da er
ihren Rebstöcken und Granatbäumen die Mittagssonne entzog. Der weise
Vater der Stadt schlug, nie lange um ein passendes Auskunftsmittel verlegen,
eine Verschiebung des Berges vor. Wie immer schnellem Denken bei ihnen
die rasche That folgte, gingen sie sofort ans Werk, ihn ein Stück bei Seite
zu rücken, aber unglücklicherweise riß ihnen der um einen Baum geschlungene
Strick, mit dem die Versetzung des Berges bewerkstelligt werden sollte. Der
Glaube war also da, aber er versetzte dießmal keine Berge, dagegen thaten
ihrer Viele dabei einen bösen Fall. Von Chelbun bis nach Föhr hinauf ist
es ziemlich weit, und doch hat diese Historie einige Aehnlichkeit mit der Ver¬
rückung der Kirche auf jener Insel der Nordsee.

Ein braver und kluger Bürger von Chelbun wollte einmal Holz auf
seinem Esel nach der Hauptstadt führen. Er war aber ein Mann, der barm¬
herzigen Gemüthes und ein Freund seines Viehes war, und als er bemerkte,
daß die Last dem Esel zu schwer wurde, nahm er ihm die Scheite ab. lud sie
sich selbst auf die Schultern und setzte sich damit auf Langohrs Rücken, indem
er auf diese Art Rücksicht auf das Behagen seines Eseleins mit Sorge für
seine eigne Bequemlichkeit vereinigte.

Ein anderer Bewohner des syrischen Schild" war von seiner Gemahlin
mit einem Kinde beschenkt worden, und so mußte er eine Wiege haben; das
war Eins. Sie durfte aber auch nicht zu groß und nicht zu klein sein; das
war Nummer Zwei. Was that er, um sie nach dem rechten Maße zu be¬
kommen? Das Einfachste von der Welt. Er maß die Länge des Kindes
mit beiden Händen und ging dann mit so ausgebreiteten und vor sich hin¬
gehaltenen Händen die anderthalb Meilen bis Damaskus. Hier aber litt
sein gescheidter Gedanke Schiffbruch. Er gerieth in das Gedränge des Bazars,
wurde von den ihm Begegnenden und an ihm Vorbeischreitenden bald rechts,
bald links an den Ellbogen gestoßen und verlor auf diese Weise sein Maß.
Das war verdrießlich. Ein echter Mann von Chelbun indessen verliert wohl


der Mond sich einmal über Chelbun hinter Wolken verbarg, entstand im
Orte große Angst und Aufregung; denn man meinte, er sei vollständig ver¬
loren gegangen. Aber wieder wußte die Weisheit des Bürgermeisters das
Rechte zu finden. Er kam, und seine Ansicht lautete, daß die Bauern des
Nachbardorfes den Mond gestohlen hätten, und daß man ihn denselben ab¬
nehmen müsse. Sogleich luden die Männer von Chelbun ihre langen Flinten
und machten sich auf, um den Dieben ihre Beute wieder abzujagen. Unter¬
wegs aber sahen sie, wie der Mond plötzlich wieder aus seiner Verhüllung
heraustrat, und triumphirend zogen sie nun heim, indem sie die Ueberzeugung
begleitete, die bösen Nachbarn hätten ihre kriegerischen Anstalten erfahren
und aus Furcht vor den langen Flinten ihren Raub freiwillig fahren lassen.

Ein ander Mal war diesen syrischen Laien ein Berg verdrießlich, da er
ihren Rebstöcken und Granatbäumen die Mittagssonne entzog. Der weise
Vater der Stadt schlug, nie lange um ein passendes Auskunftsmittel verlegen,
eine Verschiebung des Berges vor. Wie immer schnellem Denken bei ihnen
die rasche That folgte, gingen sie sofort ans Werk, ihn ein Stück bei Seite
zu rücken, aber unglücklicherweise riß ihnen der um einen Baum geschlungene
Strick, mit dem die Versetzung des Berges bewerkstelligt werden sollte. Der
Glaube war also da, aber er versetzte dießmal keine Berge, dagegen thaten
ihrer Viele dabei einen bösen Fall. Von Chelbun bis nach Föhr hinauf ist
es ziemlich weit, und doch hat diese Historie einige Aehnlichkeit mit der Ver¬
rückung der Kirche auf jener Insel der Nordsee.

Ein braver und kluger Bürger von Chelbun wollte einmal Holz auf
seinem Esel nach der Hauptstadt führen. Er war aber ein Mann, der barm¬
herzigen Gemüthes und ein Freund seines Viehes war, und als er bemerkte,
daß die Last dem Esel zu schwer wurde, nahm er ihm die Scheite ab. lud sie
sich selbst auf die Schultern und setzte sich damit auf Langohrs Rücken, indem
er auf diese Art Rücksicht auf das Behagen seines Eseleins mit Sorge für
seine eigne Bequemlichkeit vereinigte.

Ein anderer Bewohner des syrischen Schild« war von seiner Gemahlin
mit einem Kinde beschenkt worden, und so mußte er eine Wiege haben; das
war Eins. Sie durfte aber auch nicht zu groß und nicht zu klein sein; das
war Nummer Zwei. Was that er, um sie nach dem rechten Maße zu be¬
kommen? Das Einfachste von der Welt. Er maß die Länge des Kindes
mit beiden Händen und ging dann mit so ausgebreiteten und vor sich hin¬
gehaltenen Händen die anderthalb Meilen bis Damaskus. Hier aber litt
sein gescheidter Gedanke Schiffbruch. Er gerieth in das Gedränge des Bazars,
wurde von den ihm Begegnenden und an ihm Vorbeischreitenden bald rechts,
bald links an den Ellbogen gestoßen und verlor auf diese Weise sein Maß.
Das war verdrießlich. Ein echter Mann von Chelbun indessen verliert wohl


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[0392] der Mond sich einmal über Chelbun hinter Wolken verbarg, entstand im Orte große Angst und Aufregung; denn man meinte, er sei vollständig ver¬ loren gegangen. Aber wieder wußte die Weisheit des Bürgermeisters das Rechte zu finden. Er kam, und seine Ansicht lautete, daß die Bauern des Nachbardorfes den Mond gestohlen hätten, und daß man ihn denselben ab¬ nehmen müsse. Sogleich luden die Männer von Chelbun ihre langen Flinten und machten sich auf, um den Dieben ihre Beute wieder abzujagen. Unter¬ wegs aber sahen sie, wie der Mond plötzlich wieder aus seiner Verhüllung heraustrat, und triumphirend zogen sie nun heim, indem sie die Ueberzeugung begleitete, die bösen Nachbarn hätten ihre kriegerischen Anstalten erfahren und aus Furcht vor den langen Flinten ihren Raub freiwillig fahren lassen. Ein ander Mal war diesen syrischen Laien ein Berg verdrießlich, da er ihren Rebstöcken und Granatbäumen die Mittagssonne entzog. Der weise Vater der Stadt schlug, nie lange um ein passendes Auskunftsmittel verlegen, eine Verschiebung des Berges vor. Wie immer schnellem Denken bei ihnen die rasche That folgte, gingen sie sofort ans Werk, ihn ein Stück bei Seite zu rücken, aber unglücklicherweise riß ihnen der um einen Baum geschlungene Strick, mit dem die Versetzung des Berges bewerkstelligt werden sollte. Der Glaube war also da, aber er versetzte dießmal keine Berge, dagegen thaten ihrer Viele dabei einen bösen Fall. Von Chelbun bis nach Föhr hinauf ist es ziemlich weit, und doch hat diese Historie einige Aehnlichkeit mit der Ver¬ rückung der Kirche auf jener Insel der Nordsee. Ein braver und kluger Bürger von Chelbun wollte einmal Holz auf seinem Esel nach der Hauptstadt führen. Er war aber ein Mann, der barm¬ herzigen Gemüthes und ein Freund seines Viehes war, und als er bemerkte, daß die Last dem Esel zu schwer wurde, nahm er ihm die Scheite ab. lud sie sich selbst auf die Schultern und setzte sich damit auf Langohrs Rücken, indem er auf diese Art Rücksicht auf das Behagen seines Eseleins mit Sorge für seine eigne Bequemlichkeit vereinigte. Ein anderer Bewohner des syrischen Schild« war von seiner Gemahlin mit einem Kinde beschenkt worden, und so mußte er eine Wiege haben; das war Eins. Sie durfte aber auch nicht zu groß und nicht zu klein sein; das war Nummer Zwei. Was that er, um sie nach dem rechten Maße zu be¬ kommen? Das Einfachste von der Welt. Er maß die Länge des Kindes mit beiden Händen und ging dann mit so ausgebreiteten und vor sich hin¬ gehaltenen Händen die anderthalb Meilen bis Damaskus. Hier aber litt sein gescheidter Gedanke Schiffbruch. Er gerieth in das Gedränge des Bazars, wurde von den ihm Begegnenden und an ihm Vorbeischreitenden bald rechts, bald links an den Ellbogen gestoßen und verlor auf diese Weise sein Maß. Das war verdrießlich. Ein echter Mann von Chelbun indessen verliert wohl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/392>, abgerufen am 22.07.2024.