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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Fast alle größeren Städte haben Beinamen, von denen "Goddam" für New-
York und "Porkopolis" für Cincinnati als solche mit komischer Bedeutung
hier zu nennen sind, indem jenes an das obengenannte altenglische Lalen-
burg bei Nottingham, dieses aber an die kolossalen Schweineschlächtereien
und Pökelfleischfabriken der Großstadt am .Bernsteinfluß" erinnert.

Selbst unter Türken und Syrern giebt es Geistesverwandte unsrer
alten braven Schildbürger. So werden von den wackern Leuten, welche die
kleinasiatische Stadt Swrihifsar bewohnen, eine Anzahl von Anekdoten und
Schnurren erzählt, die eher für alles Andere als deren Weisheit sprechen.
So reden die Muslime Jerusalems nur lächelnd von dem Witze, der unter
den Turbanen ihrer Glaubensgenossen in Radius wohnt. Ganz besonders
nahe Vettern unserer Büsumer und Polkrvitzer, unsrer Teterower und Gans-
losener, unsrer Schildaer, Schöppenstedter, Wasunger und Domnauer haben
ihren Wohnsitz im östlichen Libanon und zwar in dem Städtchen Chelbun
bei Damaskus. Die Leute von Chelbun versehen die Hauptstadt Syriens mit
den Feigen und Trauben ihrer Gärten, sie verfertigen hübsche Spinnräder,
bereiten aus dem Mark einer Bergpflanze gute Lampendochte und verdienen
sich daneben als tüchtige Holzhacker ihr Brot, das sie ganz wie ihre Nach¬
barn essen. Auch sonst fällt einem nichts an ihnen auf. Wenn man aber
näher zusieht oder die Damascener über sie hört, so bekommt man eine andere
Meinung. Man erfährt dann, daß sie "immer hoch hinauswollen", daß sie
"ihre eignen Ideen haben", und daß sie bei der Ausführung derselben das
Ding stets beim unrechten Zipfel anfassen. Bon den vielen lustigen Ge¬
schichtchen, die Wetzstein und Petermann von ihnen berichten, gebe ich zu¬
nächst drei, welche an deutsche Schildbürgerstreiche anklingen.

Ein Knabe des Ortes hatte seine Hand in einen Krug mit engem Halse
gesteckt, um sich einige von den darin aufbewahrten Nüssen herauszulangen,
und konnte, da er die Hand nun voll hatte, sie nicht wieder herausbringen.
Er schrie so jammervoll, daß die ganze Bürgerschaft darüber zusammenlief.
Aber wie sehr man auch zerrte und zog, um der Hand mit den Nüssen einen
Ausweg zu schaffen, es wollte durchaus nicht gehen. Da legte der Bürger¬
meister des Ortes den Finger an die Nase, und da dieß glückliche Einfälle zu
wecken Pflegt, wußte er nach kurzem Bedenken Rath. "Wir müssen die Hand
abhauen", sagte er, und schon holte man ein Beil, als ein Fremder vorüber-
ging, welcher den Knaben dadurch aus seiner Gefahr befreite, daß er ihm die
Nüsse fallen zu lassen gebot, worauf die Hand so leicht herausging, als sie
hineingekommen war. Man sieht, es liegt hier ein ähnlicher Scherz vor wie
bei dem Spatz, der die Ulmer lehrte, wie man einen Balken durch das
Thor schafft.

An die Kiebinger und Föhringer Mondfänger erinnert Folgendes. Als


Fast alle größeren Städte haben Beinamen, von denen „Goddam" für New-
York und „Porkopolis" für Cincinnati als solche mit komischer Bedeutung
hier zu nennen sind, indem jenes an das obengenannte altenglische Lalen-
burg bei Nottingham, dieses aber an die kolossalen Schweineschlächtereien
und Pökelfleischfabriken der Großstadt am .Bernsteinfluß" erinnert.

Selbst unter Türken und Syrern giebt es Geistesverwandte unsrer
alten braven Schildbürger. So werden von den wackern Leuten, welche die
kleinasiatische Stadt Swrihifsar bewohnen, eine Anzahl von Anekdoten und
Schnurren erzählt, die eher für alles Andere als deren Weisheit sprechen.
So reden die Muslime Jerusalems nur lächelnd von dem Witze, der unter
den Turbanen ihrer Glaubensgenossen in Radius wohnt. Ganz besonders
nahe Vettern unserer Büsumer und Polkrvitzer, unsrer Teterower und Gans-
losener, unsrer Schildaer, Schöppenstedter, Wasunger und Domnauer haben
ihren Wohnsitz im östlichen Libanon und zwar in dem Städtchen Chelbun
bei Damaskus. Die Leute von Chelbun versehen die Hauptstadt Syriens mit
den Feigen und Trauben ihrer Gärten, sie verfertigen hübsche Spinnräder,
bereiten aus dem Mark einer Bergpflanze gute Lampendochte und verdienen
sich daneben als tüchtige Holzhacker ihr Brot, das sie ganz wie ihre Nach¬
barn essen. Auch sonst fällt einem nichts an ihnen auf. Wenn man aber
näher zusieht oder die Damascener über sie hört, so bekommt man eine andere
Meinung. Man erfährt dann, daß sie „immer hoch hinauswollen", daß sie
„ihre eignen Ideen haben", und daß sie bei der Ausführung derselben das
Ding stets beim unrechten Zipfel anfassen. Bon den vielen lustigen Ge¬
schichtchen, die Wetzstein und Petermann von ihnen berichten, gebe ich zu¬
nächst drei, welche an deutsche Schildbürgerstreiche anklingen.

Ein Knabe des Ortes hatte seine Hand in einen Krug mit engem Halse
gesteckt, um sich einige von den darin aufbewahrten Nüssen herauszulangen,
und konnte, da er die Hand nun voll hatte, sie nicht wieder herausbringen.
Er schrie so jammervoll, daß die ganze Bürgerschaft darüber zusammenlief.
Aber wie sehr man auch zerrte und zog, um der Hand mit den Nüssen einen
Ausweg zu schaffen, es wollte durchaus nicht gehen. Da legte der Bürger¬
meister des Ortes den Finger an die Nase, und da dieß glückliche Einfälle zu
wecken Pflegt, wußte er nach kurzem Bedenken Rath. „Wir müssen die Hand
abhauen", sagte er, und schon holte man ein Beil, als ein Fremder vorüber-
ging, welcher den Knaben dadurch aus seiner Gefahr befreite, daß er ihm die
Nüsse fallen zu lassen gebot, worauf die Hand so leicht herausging, als sie
hineingekommen war. Man sieht, es liegt hier ein ähnlicher Scherz vor wie
bei dem Spatz, der die Ulmer lehrte, wie man einen Balken durch das
Thor schafft.

An die Kiebinger und Föhringer Mondfänger erinnert Folgendes. Als


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[0391] Fast alle größeren Städte haben Beinamen, von denen „Goddam" für New- York und „Porkopolis" für Cincinnati als solche mit komischer Bedeutung hier zu nennen sind, indem jenes an das obengenannte altenglische Lalen- burg bei Nottingham, dieses aber an die kolossalen Schweineschlächtereien und Pökelfleischfabriken der Großstadt am .Bernsteinfluß" erinnert. Selbst unter Türken und Syrern giebt es Geistesverwandte unsrer alten braven Schildbürger. So werden von den wackern Leuten, welche die kleinasiatische Stadt Swrihifsar bewohnen, eine Anzahl von Anekdoten und Schnurren erzählt, die eher für alles Andere als deren Weisheit sprechen. So reden die Muslime Jerusalems nur lächelnd von dem Witze, der unter den Turbanen ihrer Glaubensgenossen in Radius wohnt. Ganz besonders nahe Vettern unserer Büsumer und Polkrvitzer, unsrer Teterower und Gans- losener, unsrer Schildaer, Schöppenstedter, Wasunger und Domnauer haben ihren Wohnsitz im östlichen Libanon und zwar in dem Städtchen Chelbun bei Damaskus. Die Leute von Chelbun versehen die Hauptstadt Syriens mit den Feigen und Trauben ihrer Gärten, sie verfertigen hübsche Spinnräder, bereiten aus dem Mark einer Bergpflanze gute Lampendochte und verdienen sich daneben als tüchtige Holzhacker ihr Brot, das sie ganz wie ihre Nach¬ barn essen. Auch sonst fällt einem nichts an ihnen auf. Wenn man aber näher zusieht oder die Damascener über sie hört, so bekommt man eine andere Meinung. Man erfährt dann, daß sie „immer hoch hinauswollen", daß sie „ihre eignen Ideen haben", und daß sie bei der Ausführung derselben das Ding stets beim unrechten Zipfel anfassen. Bon den vielen lustigen Ge¬ schichtchen, die Wetzstein und Petermann von ihnen berichten, gebe ich zu¬ nächst drei, welche an deutsche Schildbürgerstreiche anklingen. Ein Knabe des Ortes hatte seine Hand in einen Krug mit engem Halse gesteckt, um sich einige von den darin aufbewahrten Nüssen herauszulangen, und konnte, da er die Hand nun voll hatte, sie nicht wieder herausbringen. Er schrie so jammervoll, daß die ganze Bürgerschaft darüber zusammenlief. Aber wie sehr man auch zerrte und zog, um der Hand mit den Nüssen einen Ausweg zu schaffen, es wollte durchaus nicht gehen. Da legte der Bürger¬ meister des Ortes den Finger an die Nase, und da dieß glückliche Einfälle zu wecken Pflegt, wußte er nach kurzem Bedenken Rath. „Wir müssen die Hand abhauen", sagte er, und schon holte man ein Beil, als ein Fremder vorüber- ging, welcher den Knaben dadurch aus seiner Gefahr befreite, daß er ihm die Nüsse fallen zu lassen gebot, worauf die Hand so leicht herausging, als sie hineingekommen war. Man sieht, es liegt hier ein ähnlicher Scherz vor wie bei dem Spatz, der die Ulmer lehrte, wie man einen Balken durch das Thor schafft. An die Kiebinger und Föhringer Mondfänger erinnert Folgendes. Als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/391>, abgerufen am 22.07.2024.