Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

befleißigen uns auch des Patriotismus. Aber unser Patriotismus würde sehr
befriedigt sein, wenn der Wohlstand rascher wüchse, als die Steuern, wenn
also der Steuerdruck sich verkleinerte weil der steigende Wohlstand nicht
"steuermäßig ausgenutzt würde". Fromme Wünsche, nicht wahr, aber es ist
grausam, daß diese Wünsche nicht einmal unseres bescheidenes Ideal bleiben,
daß wir vielmehr die "steuermäßige Ausnutzung des Wohlstandes" zum Ideal
erheben sollen. -- In der fiscalischen Laune, in der er nun einmal war,
überraschte uns der Redner mit einem zweiten Dogma veralteter Fiscalitcit.
Der Schwärmer für die Selbstverwaltung fand plötzlich, es sei nicht rathsam,
den Gemeinden ein Besteuerungsrecht zu geben, das hieße -- man höre!
die Anarchie im ganzen Lande herbeiführen. Der Staat müsse vielmehr die
Steuern einziehen und den Selbstverwaltungskörpern die gefüllten Beutel in
die Hand drücken. Dieser Fehler ist jetzt allerdings bei den Provinzialfonds
begangen worden. Man wird aber die ganze Selbstverwaltung in Grund
und Boden verderben, wenn man ihr nur die bequeme Pflicht giebt, vom
Staat eingezogene Summen zu verWirthschaften, die viel wichtigere Pflicht
aber ihr abnimmt, auf die Deckung ihrer Ausgaben selbst zu denken, und
praktisch kennen zu lernen, was es heißt Besteuerung zu üben. Es ist wahr,
das Besteuerungsrecht der Gemeinden wird zu verschiedenen Steuersätzen und
gewissen Variationen in der Steuerart führen.

Ist dies aber jetzt bet dem System der Zuschlage anders? Zahlt man
etwa nicht in Berlin mehr Einkommensteuer in Folge der Gemeindezuschläge,
als an jedem andern Ort. Die Verschiedenheit der directen Besteuerung ist
ebenso unvermeidlich, als sie im Ganzen unschädlich ist. Unvermeidlich, weil
sich nicht ändern läßt, daß das Budget in Berlin größer, auch verhältni߬
mäßig größer ist, als in Trebbin oder in Zossen; unschädlich, weil die Einheit
der Volkswirthschaft dadurch nicht leidet, daß man in Berlin mehr directe
Personalsteuern entrichtet. Diese Einheit würde aber allerdings bedeutend
leiden durch Accisen an den Thoren und tgi. in ihrer Schädlichkeit längst
erkannten Einrichtungen. -- Um uns keinen Grad des Erstaunens zu ersparen,'
verfiel der Abgeordnete Laster, nachdem er theoretisch ein Attentat gegen die
Selbstverwaltung begangen, welches diese Einrichtung praktisch durchgeführt
vernichten müßte, am Schluß seiner Rede in seine übertriebene unkritische
Schwärmerei für die Selbstverwaltung. Er wollte nicht das Geringste auf
die gewählten Einschätzungscommissionen kommen lassen und sagte, wenn wir
recht verstanden, wörtlich: "Man kann die Schuld nicht der Regierung zu¬
schieben, wenn unselbständige, gewissenlose Personen als Einschätzer das Volk
überlasten; ich Protestire dagegen im Namen des Volkes, welches mündig ge¬
nug ist, die Angelegenheiten seiner Selbstverwaltung wahrzunehmen." Das
war freilich nicht so unlogisch gemeint, wie es klingt. Der Abgeordnete wollte


befleißigen uns auch des Patriotismus. Aber unser Patriotismus würde sehr
befriedigt sein, wenn der Wohlstand rascher wüchse, als die Steuern, wenn
also der Steuerdruck sich verkleinerte weil der steigende Wohlstand nicht
„steuermäßig ausgenutzt würde". Fromme Wünsche, nicht wahr, aber es ist
grausam, daß diese Wünsche nicht einmal unseres bescheidenes Ideal bleiben,
daß wir vielmehr die „steuermäßige Ausnutzung des Wohlstandes" zum Ideal
erheben sollen. — In der fiscalischen Laune, in der er nun einmal war,
überraschte uns der Redner mit einem zweiten Dogma veralteter Fiscalitcit.
Der Schwärmer für die Selbstverwaltung fand plötzlich, es sei nicht rathsam,
den Gemeinden ein Besteuerungsrecht zu geben, das hieße — man höre!
die Anarchie im ganzen Lande herbeiführen. Der Staat müsse vielmehr die
Steuern einziehen und den Selbstverwaltungskörpern die gefüllten Beutel in
die Hand drücken. Dieser Fehler ist jetzt allerdings bei den Provinzialfonds
begangen worden. Man wird aber die ganze Selbstverwaltung in Grund
und Boden verderben, wenn man ihr nur die bequeme Pflicht giebt, vom
Staat eingezogene Summen zu verWirthschaften, die viel wichtigere Pflicht
aber ihr abnimmt, auf die Deckung ihrer Ausgaben selbst zu denken, und
praktisch kennen zu lernen, was es heißt Besteuerung zu üben. Es ist wahr,
das Besteuerungsrecht der Gemeinden wird zu verschiedenen Steuersätzen und
gewissen Variationen in der Steuerart führen.

Ist dies aber jetzt bet dem System der Zuschlage anders? Zahlt man
etwa nicht in Berlin mehr Einkommensteuer in Folge der Gemeindezuschläge,
als an jedem andern Ort. Die Verschiedenheit der directen Besteuerung ist
ebenso unvermeidlich, als sie im Ganzen unschädlich ist. Unvermeidlich, weil
sich nicht ändern läßt, daß das Budget in Berlin größer, auch verhältni߬
mäßig größer ist, als in Trebbin oder in Zossen; unschädlich, weil die Einheit
der Volkswirthschaft dadurch nicht leidet, daß man in Berlin mehr directe
Personalsteuern entrichtet. Diese Einheit würde aber allerdings bedeutend
leiden durch Accisen an den Thoren und tgi. in ihrer Schädlichkeit längst
erkannten Einrichtungen. — Um uns keinen Grad des Erstaunens zu ersparen,'
verfiel der Abgeordnete Laster, nachdem er theoretisch ein Attentat gegen die
Selbstverwaltung begangen, welches diese Einrichtung praktisch durchgeführt
vernichten müßte, am Schluß seiner Rede in seine übertriebene unkritische
Schwärmerei für die Selbstverwaltung. Er wollte nicht das Geringste auf
die gewählten Einschätzungscommissionen kommen lassen und sagte, wenn wir
recht verstanden, wörtlich: „Man kann die Schuld nicht der Regierung zu¬
schieben, wenn unselbständige, gewissenlose Personen als Einschätzer das Volk
überlasten; ich Protestire dagegen im Namen des Volkes, welches mündig ge¬
nug ist, die Angelegenheiten seiner Selbstverwaltung wahrzunehmen." Das
war freilich nicht so unlogisch gemeint, wie es klingt. Der Abgeordnete wollte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135417"/>
          <p xml:id="ID_1039" prev="#ID_1038"> befleißigen uns auch des Patriotismus. Aber unser Patriotismus würde sehr<lb/>
befriedigt sein, wenn der Wohlstand rascher wüchse, als die Steuern, wenn<lb/>
also der Steuerdruck sich verkleinerte weil der steigende Wohlstand nicht<lb/>
&#x201E;steuermäßig ausgenutzt würde". Fromme Wünsche, nicht wahr, aber es ist<lb/>
grausam, daß diese Wünsche nicht einmal unseres bescheidenes Ideal bleiben,<lb/>
daß wir vielmehr die &#x201E;steuermäßige Ausnutzung des Wohlstandes" zum Ideal<lb/>
erheben sollen. &#x2014; In der fiscalischen Laune, in der er nun einmal war,<lb/>
überraschte uns der Redner mit einem zweiten Dogma veralteter Fiscalitcit.<lb/>
Der Schwärmer für die Selbstverwaltung fand plötzlich, es sei nicht rathsam,<lb/>
den Gemeinden ein Besteuerungsrecht zu geben, das hieße &#x2014; man höre!<lb/>
die Anarchie im ganzen Lande herbeiführen. Der Staat müsse vielmehr die<lb/>
Steuern einziehen und den Selbstverwaltungskörpern die gefüllten Beutel in<lb/>
die Hand drücken. Dieser Fehler ist jetzt allerdings bei den Provinzialfonds<lb/>
begangen worden. Man wird aber die ganze Selbstverwaltung in Grund<lb/>
und Boden verderben, wenn man ihr nur die bequeme Pflicht giebt, vom<lb/>
Staat eingezogene Summen zu verWirthschaften, die viel wichtigere Pflicht<lb/>
aber ihr abnimmt, auf die Deckung ihrer Ausgaben selbst zu denken, und<lb/>
praktisch kennen zu lernen, was es heißt Besteuerung zu üben. Es ist wahr,<lb/>
das Besteuerungsrecht der Gemeinden wird zu verschiedenen Steuersätzen und<lb/>
gewissen Variationen in der Steuerart führen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1040" next="#ID_1041"> Ist dies aber jetzt bet dem System der Zuschlage anders? Zahlt man<lb/>
etwa nicht in Berlin mehr Einkommensteuer in Folge der Gemeindezuschläge,<lb/>
als an jedem andern Ort. Die Verschiedenheit der directen Besteuerung ist<lb/>
ebenso unvermeidlich, als sie im Ganzen unschädlich ist. Unvermeidlich, weil<lb/>
sich nicht ändern läßt, daß das Budget in Berlin größer, auch verhältni߬<lb/>
mäßig größer ist, als in Trebbin oder in Zossen; unschädlich, weil die Einheit<lb/>
der Volkswirthschaft dadurch nicht leidet, daß man in Berlin mehr directe<lb/>
Personalsteuern entrichtet. Diese Einheit würde aber allerdings bedeutend<lb/>
leiden durch Accisen an den Thoren und tgi. in ihrer Schädlichkeit längst<lb/>
erkannten Einrichtungen. &#x2014; Um uns keinen Grad des Erstaunens zu ersparen,'<lb/>
verfiel der Abgeordnete Laster, nachdem er theoretisch ein Attentat gegen die<lb/>
Selbstverwaltung begangen, welches diese Einrichtung praktisch durchgeführt<lb/>
vernichten müßte, am Schluß seiner Rede in seine übertriebene unkritische<lb/>
Schwärmerei für die Selbstverwaltung. Er wollte nicht das Geringste auf<lb/>
die gewählten Einschätzungscommissionen kommen lassen und sagte, wenn wir<lb/>
recht verstanden, wörtlich: &#x201E;Man kann die Schuld nicht der Regierung zu¬<lb/>
schieben, wenn unselbständige, gewissenlose Personen als Einschätzer das Volk<lb/>
überlasten; ich Protestire dagegen im Namen des Volkes, welches mündig ge¬<lb/>
nug ist, die Angelegenheiten seiner Selbstverwaltung wahrzunehmen." Das<lb/>
war freilich nicht so unlogisch gemeint, wie es klingt. Der Abgeordnete wollte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] befleißigen uns auch des Patriotismus. Aber unser Patriotismus würde sehr befriedigt sein, wenn der Wohlstand rascher wüchse, als die Steuern, wenn also der Steuerdruck sich verkleinerte weil der steigende Wohlstand nicht „steuermäßig ausgenutzt würde". Fromme Wünsche, nicht wahr, aber es ist grausam, daß diese Wünsche nicht einmal unseres bescheidenes Ideal bleiben, daß wir vielmehr die „steuermäßige Ausnutzung des Wohlstandes" zum Ideal erheben sollen. — In der fiscalischen Laune, in der er nun einmal war, überraschte uns der Redner mit einem zweiten Dogma veralteter Fiscalitcit. Der Schwärmer für die Selbstverwaltung fand plötzlich, es sei nicht rathsam, den Gemeinden ein Besteuerungsrecht zu geben, das hieße — man höre! die Anarchie im ganzen Lande herbeiführen. Der Staat müsse vielmehr die Steuern einziehen und den Selbstverwaltungskörpern die gefüllten Beutel in die Hand drücken. Dieser Fehler ist jetzt allerdings bei den Provinzialfonds begangen worden. Man wird aber die ganze Selbstverwaltung in Grund und Boden verderben, wenn man ihr nur die bequeme Pflicht giebt, vom Staat eingezogene Summen zu verWirthschaften, die viel wichtigere Pflicht aber ihr abnimmt, auf die Deckung ihrer Ausgaben selbst zu denken, und praktisch kennen zu lernen, was es heißt Besteuerung zu üben. Es ist wahr, das Besteuerungsrecht der Gemeinden wird zu verschiedenen Steuersätzen und gewissen Variationen in der Steuerart führen. Ist dies aber jetzt bet dem System der Zuschlage anders? Zahlt man etwa nicht in Berlin mehr Einkommensteuer in Folge der Gemeindezuschläge, als an jedem andern Ort. Die Verschiedenheit der directen Besteuerung ist ebenso unvermeidlich, als sie im Ganzen unschädlich ist. Unvermeidlich, weil sich nicht ändern läßt, daß das Budget in Berlin größer, auch verhältni߬ mäßig größer ist, als in Trebbin oder in Zossen; unschädlich, weil die Einheit der Volkswirthschaft dadurch nicht leidet, daß man in Berlin mehr directe Personalsteuern entrichtet. Diese Einheit würde aber allerdings bedeutend leiden durch Accisen an den Thoren und tgi. in ihrer Schädlichkeit längst erkannten Einrichtungen. — Um uns keinen Grad des Erstaunens zu ersparen,' verfiel der Abgeordnete Laster, nachdem er theoretisch ein Attentat gegen die Selbstverwaltung begangen, welches diese Einrichtung praktisch durchgeführt vernichten müßte, am Schluß seiner Rede in seine übertriebene unkritische Schwärmerei für die Selbstverwaltung. Er wollte nicht das Geringste auf die gewählten Einschätzungscommissionen kommen lassen und sagte, wenn wir recht verstanden, wörtlich: „Man kann die Schuld nicht der Regierung zu¬ schieben, wenn unselbständige, gewissenlose Personen als Einschätzer das Volk überlasten; ich Protestire dagegen im Namen des Volkes, welches mündig ge¬ nug ist, die Angelegenheiten seiner Selbstverwaltung wahrzunehmen." Das war freilich nicht so unlogisch gemeint, wie es klingt. Der Abgeordnete wollte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/364>, abgerufen am 22.07.2024.