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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Verständnissen entgegenzutreten, weiche die Angabe der Zahl der für 1878 zur
Classensteuer und zur Einkommensteuer vorgelegten Personen hervorgerufen hat.

Zur Einkommensteuer waren veranlagt 130,496 Personen. Dies sind
aber nur diejenigen Personen, welche die Steuer aus dem Einkommen, das
ihnen gehört, entrichten. Keineswegs sind die Familien dieser Steuerzahler
einbegriffen. Wenn man die Familien einrechnet, beträgt die Zahl der unter
die Einkommensteuer fallenden Personen 560,776. Das ist sicherlich ein recht
kleiner Theil der gesammten preußischen Bevölkerung, welche rund 26 Millio¬
nen zählt, zumal, wenn man bedenkt, daß die Einkommensteuer bei dem Ein¬
kommen über 1000 Thaler anfängt. Die Zahl aber entspricht dem Verhält¬
niß in andern Ländern. Es mag in reicheren Ländern mehr Personen geben,
die über 1000 Thaler Einkommen haben, allein der Unterschied ist gering
und entspricht nicht dem Unterschied des Gesammtreichthums der Länder.
Dieser letztere Unterschied muß also in den großen Vermögen liegen. So
weit sich Vergleiche anstellen lassen, steht Deutschland in Bezug auf die an¬
nähernd gleichmäßige Vermögensvertheilung nicht ungünstiger, wie irgend ein
anderes Land. -- Die Zahl der von der Classensteuer ganz befreiten Personen,
weil ihr Einkommen nicht einmal die niedrigste Stufe der Classensteuerpflich-
tigkeit erreicht, beträgt 6,045,619. In dieser Zahl sind aber sämmtliche An¬
gehörige der befreiten Bevölkerung einbegriffen, auch die Kinder, die im ersten
Lebensmonat stehen. Durch die sonderbare Annahme, daß jene Zahl nur die
steuerfreien Haushaltungen benenne, hatte man sich zu erschreckenden Schlüssen
über den Umfang des herrschenden Pauperismus verleiten lassen. Wir möchten
jene Zahl insofern noch vergrößert sehen, als wir das classensteuerpflichtige
Einkommen nicht bei 140 Thaler, sondern erst bei 300 Thaler beginnen lassen
möchten. Im Uebrigen ist es natürlich wünschenswerth, die Zahl der Per¬
sonen, die, indem sie sich selbständig ernähren, weniger als 300 Thaler er¬
werben, so klein als möglich zu sehen. Auf die Verminderung dieser Zahl
hinzuarbeiten, ist eine Hauptaufgabe des Staats und der Gesellschaft. --
Nachdem die Richtigstellung der betreffenden Zahlen die Bestätigung des
Finanzministers erhalten, erhob der Abg. v. Kardorff sehr zur Unzeit, wie
uns scheinen will, die alte unvermeidliche Klage über die sogenannte Steuer¬
schraube. Er beklagte sich, daß hier und da zur untersten Klassensteuerstufe
Bevölkerungstheile herangezogen worden, die bisher befreit gewesen, und er
beklagte sich, daß andere Personen aus der Klassensteuer in die Einkommen¬
steuer gedrängt worden. Man braucht gar nicht im Finanzministerium zu
sitzen, um die Grundlosigkeit dieser Klagen einzusehen.

Die Klassensteuer ist eontingentirt, d. h. das Gesammtaufkommen aus
derselben ist fixirt. Die Staatsverwaltung hat also bei der Veranlassung der
Klassensteuer absolut kein anderes Interesse, als das der Gerechtigkeit. Findet


Vrenzboten I. 1876. 45

Verständnissen entgegenzutreten, weiche die Angabe der Zahl der für 1878 zur
Classensteuer und zur Einkommensteuer vorgelegten Personen hervorgerufen hat.

Zur Einkommensteuer waren veranlagt 130,496 Personen. Dies sind
aber nur diejenigen Personen, welche die Steuer aus dem Einkommen, das
ihnen gehört, entrichten. Keineswegs sind die Familien dieser Steuerzahler
einbegriffen. Wenn man die Familien einrechnet, beträgt die Zahl der unter
die Einkommensteuer fallenden Personen 560,776. Das ist sicherlich ein recht
kleiner Theil der gesammten preußischen Bevölkerung, welche rund 26 Millio¬
nen zählt, zumal, wenn man bedenkt, daß die Einkommensteuer bei dem Ein¬
kommen über 1000 Thaler anfängt. Die Zahl aber entspricht dem Verhält¬
niß in andern Ländern. Es mag in reicheren Ländern mehr Personen geben,
die über 1000 Thaler Einkommen haben, allein der Unterschied ist gering
und entspricht nicht dem Unterschied des Gesammtreichthums der Länder.
Dieser letztere Unterschied muß also in den großen Vermögen liegen. So
weit sich Vergleiche anstellen lassen, steht Deutschland in Bezug auf die an¬
nähernd gleichmäßige Vermögensvertheilung nicht ungünstiger, wie irgend ein
anderes Land. — Die Zahl der von der Classensteuer ganz befreiten Personen,
weil ihr Einkommen nicht einmal die niedrigste Stufe der Classensteuerpflich-
tigkeit erreicht, beträgt 6,045,619. In dieser Zahl sind aber sämmtliche An¬
gehörige der befreiten Bevölkerung einbegriffen, auch die Kinder, die im ersten
Lebensmonat stehen. Durch die sonderbare Annahme, daß jene Zahl nur die
steuerfreien Haushaltungen benenne, hatte man sich zu erschreckenden Schlüssen
über den Umfang des herrschenden Pauperismus verleiten lassen. Wir möchten
jene Zahl insofern noch vergrößert sehen, als wir das classensteuerpflichtige
Einkommen nicht bei 140 Thaler, sondern erst bei 300 Thaler beginnen lassen
möchten. Im Uebrigen ist es natürlich wünschenswerth, die Zahl der Per¬
sonen, die, indem sie sich selbständig ernähren, weniger als 300 Thaler er¬
werben, so klein als möglich zu sehen. Auf die Verminderung dieser Zahl
hinzuarbeiten, ist eine Hauptaufgabe des Staats und der Gesellschaft. —
Nachdem die Richtigstellung der betreffenden Zahlen die Bestätigung des
Finanzministers erhalten, erhob der Abg. v. Kardorff sehr zur Unzeit, wie
uns scheinen will, die alte unvermeidliche Klage über die sogenannte Steuer¬
schraube. Er beklagte sich, daß hier und da zur untersten Klassensteuerstufe
Bevölkerungstheile herangezogen worden, die bisher befreit gewesen, und er
beklagte sich, daß andere Personen aus der Klassensteuer in die Einkommen¬
steuer gedrängt worden. Man braucht gar nicht im Finanzministerium zu
sitzen, um die Grundlosigkeit dieser Klagen einzusehen.

Die Klassensteuer ist eontingentirt, d. h. das Gesammtaufkommen aus
derselben ist fixirt. Die Staatsverwaltung hat also bei der Veranlassung der
Klassensteuer absolut kein anderes Interesse, als das der Gerechtigkeit. Findet


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[0361] Verständnissen entgegenzutreten, weiche die Angabe der Zahl der für 1878 zur Classensteuer und zur Einkommensteuer vorgelegten Personen hervorgerufen hat. Zur Einkommensteuer waren veranlagt 130,496 Personen. Dies sind aber nur diejenigen Personen, welche die Steuer aus dem Einkommen, das ihnen gehört, entrichten. Keineswegs sind die Familien dieser Steuerzahler einbegriffen. Wenn man die Familien einrechnet, beträgt die Zahl der unter die Einkommensteuer fallenden Personen 560,776. Das ist sicherlich ein recht kleiner Theil der gesammten preußischen Bevölkerung, welche rund 26 Millio¬ nen zählt, zumal, wenn man bedenkt, daß die Einkommensteuer bei dem Ein¬ kommen über 1000 Thaler anfängt. Die Zahl aber entspricht dem Verhält¬ niß in andern Ländern. Es mag in reicheren Ländern mehr Personen geben, die über 1000 Thaler Einkommen haben, allein der Unterschied ist gering und entspricht nicht dem Unterschied des Gesammtreichthums der Länder. Dieser letztere Unterschied muß also in den großen Vermögen liegen. So weit sich Vergleiche anstellen lassen, steht Deutschland in Bezug auf die an¬ nähernd gleichmäßige Vermögensvertheilung nicht ungünstiger, wie irgend ein anderes Land. — Die Zahl der von der Classensteuer ganz befreiten Personen, weil ihr Einkommen nicht einmal die niedrigste Stufe der Classensteuerpflich- tigkeit erreicht, beträgt 6,045,619. In dieser Zahl sind aber sämmtliche An¬ gehörige der befreiten Bevölkerung einbegriffen, auch die Kinder, die im ersten Lebensmonat stehen. Durch die sonderbare Annahme, daß jene Zahl nur die steuerfreien Haushaltungen benenne, hatte man sich zu erschreckenden Schlüssen über den Umfang des herrschenden Pauperismus verleiten lassen. Wir möchten jene Zahl insofern noch vergrößert sehen, als wir das classensteuerpflichtige Einkommen nicht bei 140 Thaler, sondern erst bei 300 Thaler beginnen lassen möchten. Im Uebrigen ist es natürlich wünschenswerth, die Zahl der Per¬ sonen, die, indem sie sich selbständig ernähren, weniger als 300 Thaler er¬ werben, so klein als möglich zu sehen. Auf die Verminderung dieser Zahl hinzuarbeiten, ist eine Hauptaufgabe des Staats und der Gesellschaft. — Nachdem die Richtigstellung der betreffenden Zahlen die Bestätigung des Finanzministers erhalten, erhob der Abg. v. Kardorff sehr zur Unzeit, wie uns scheinen will, die alte unvermeidliche Klage über die sogenannte Steuer¬ schraube. Er beklagte sich, daß hier und da zur untersten Klassensteuerstufe Bevölkerungstheile herangezogen worden, die bisher befreit gewesen, und er beklagte sich, daß andere Personen aus der Klassensteuer in die Einkommen¬ steuer gedrängt worden. Man braucht gar nicht im Finanzministerium zu sitzen, um die Grundlosigkeit dieser Klagen einzusehen. Die Klassensteuer ist eontingentirt, d. h. das Gesammtaufkommen aus derselben ist fixirt. Die Staatsverwaltung hat also bei der Veranlassung der Klassensteuer absolut kein anderes Interesse, als das der Gerechtigkeit. Findet Vrenzboten I. 1876. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/361>, abgerufen am 22.07.2024.