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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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und da gemahnen rauchende Kamine an gewerblichen Betrieb. Obwohl
Diedenhofen im Ganzen entschieden modernes Gepräge trägt, so finden sich
doch noch vereinzelte Häuser, die bis ins XV. oder XVI. Jahrhundert zurück¬
greifen. Auch der Thurm auf dem Schlosse der Grafen von Luxemburg ist
alt, ja man führt einzelne Bestandtheile desselben bis auf die Carolinger-
zeit zurück; auf den älteren Bildern sieht man eine hölzerne Brücke, die zum
großen Theile gedeckt war und bei jedem Eisstoß, bei jeder Überschwemmung
dem Einsturz nahe kam. Auch die Privatgebäude stehen unter dem begreif¬
lichen Einfluß der Festung und gewähren den Bewohnern nicht immer jenen
Raum, der wünschenswerth erschiene, dagegen sind die Forts so ausgedehnt,
daß eine bedeutende Truppenzahl von nöthen ist, um sie wirksam zu be¬
haupten. So begegnet uns allenthalben dieselbe Proportion zwischen civilen
und militärischen Interessen, d. h. das entschiedene Uebergewicht der letzteren
und dies fühlt auch der Biograph der Stadt, der vor nahezu fünfzig Jahren
ihre Geschichte schrieb, deutlich hindurch. Das erste was man in Thionville
lernen mußte, war se äetenäre et i>. attg^ner" -- Alles übrige kam
erst darnach.

Auch auf die sprachlichen Verhältnisse nahm der eben erwähnte Autor
bereits Bedacht und die Daten, die er konstatirt, sind merkwürdig genug. Er
sagt, daß das Volk zwar das Französische verstehe, gesprochen aber würde fast
nur der deutsche Dialect der Nachbarschaft, ein Mois, von dem auch der keine
Silbe verstehen könnte, der nur die Sprache Wieland's und Goethe's kennt.

Im übrigen sei die Bevölkerung fleißig, ruhig und entschlossen, man sieht
nur wenig Müßiggang und Bettel; ganz besonderes Lob aber verdienen vor
allem die Mädchen. So versichert der galante Historiker nicht ohne Seiten¬
blick auf die Garnison, deren Lieutenants wohl nirgend in der Welt eine
bessere Lebensgefährtin fänden, und so seltsam dieser Wink auch vom kritischen
Standpunkt erscheinen mag, so liebenswürdig ist doch der Loealpatriotismus,
er darin zum Ausdruck kommt. ,Mle n'enelig.nee pa,8 (heißt es in der
betr. Beschreibung eines solchen Fräuleins) an Premier eoux ä'oeil, wais eile
utan cdg,<zu<z Mir ü's.va.iMgö.....Von e'clueation n'est ni brillante, in
Neglige, eile g, an Mut sans 6tucles, ach wlents sans g,re, Zu jugement
sans eonng.iLsa.vech."

Wir wagen es nicht dem alten Herrn zu widersprechen, sondern wir
wünschen nur, daß diese reichen Gaben auch den deutschen Soldaten nicht
ganz verloren seien, die jetzt die Besatzung von Diedenhofen bilden, denn "des
uni.ri5i.ges eonsaerent ton^ours la, coneoräe de ig. dourgeoisie et de ig. Zarnison.

Ganz anders in seiner landschaftlichen Erscheinung als Thionville
giebt sich Sierck. Dort um die Festungswerke von Diedenhofen ist ringsum
ebenes Land; ein Gefühl der Breite, der Fläche überkommt uns -- und nun


und da gemahnen rauchende Kamine an gewerblichen Betrieb. Obwohl
Diedenhofen im Ganzen entschieden modernes Gepräge trägt, so finden sich
doch noch vereinzelte Häuser, die bis ins XV. oder XVI. Jahrhundert zurück¬
greifen. Auch der Thurm auf dem Schlosse der Grafen von Luxemburg ist
alt, ja man führt einzelne Bestandtheile desselben bis auf die Carolinger-
zeit zurück; auf den älteren Bildern sieht man eine hölzerne Brücke, die zum
großen Theile gedeckt war und bei jedem Eisstoß, bei jeder Überschwemmung
dem Einsturz nahe kam. Auch die Privatgebäude stehen unter dem begreif¬
lichen Einfluß der Festung und gewähren den Bewohnern nicht immer jenen
Raum, der wünschenswerth erschiene, dagegen sind die Forts so ausgedehnt,
daß eine bedeutende Truppenzahl von nöthen ist, um sie wirksam zu be¬
haupten. So begegnet uns allenthalben dieselbe Proportion zwischen civilen
und militärischen Interessen, d. h. das entschiedene Uebergewicht der letzteren
und dies fühlt auch der Biograph der Stadt, der vor nahezu fünfzig Jahren
ihre Geschichte schrieb, deutlich hindurch. Das erste was man in Thionville
lernen mußte, war se äetenäre et i>. attg^ner" — Alles übrige kam
erst darnach.

Auch auf die sprachlichen Verhältnisse nahm der eben erwähnte Autor
bereits Bedacht und die Daten, die er konstatirt, sind merkwürdig genug. Er
sagt, daß das Volk zwar das Französische verstehe, gesprochen aber würde fast
nur der deutsche Dialect der Nachbarschaft, ein Mois, von dem auch der keine
Silbe verstehen könnte, der nur die Sprache Wieland's und Goethe's kennt.

Im übrigen sei die Bevölkerung fleißig, ruhig und entschlossen, man sieht
nur wenig Müßiggang und Bettel; ganz besonderes Lob aber verdienen vor
allem die Mädchen. So versichert der galante Historiker nicht ohne Seiten¬
blick auf die Garnison, deren Lieutenants wohl nirgend in der Welt eine
bessere Lebensgefährtin fänden, und so seltsam dieser Wink auch vom kritischen
Standpunkt erscheinen mag, so liebenswürdig ist doch der Loealpatriotismus,
er darin zum Ausdruck kommt. ,Mle n'enelig.nee pa,8 (heißt es in der
betr. Beschreibung eines solchen Fräuleins) an Premier eoux ä'oeil, wais eile
utan cdg,<zu<z Mir ü's.va.iMgö.....Von e'clueation n'est ni brillante, in
Neglige, eile g, an Mut sans 6tucles, ach wlents sans g,re, Zu jugement
sans eonng.iLsa.vech."

Wir wagen es nicht dem alten Herrn zu widersprechen, sondern wir
wünschen nur, daß diese reichen Gaben auch den deutschen Soldaten nicht
ganz verloren seien, die jetzt die Besatzung von Diedenhofen bilden, denn „des
uni.ri5i.ges eonsaerent ton^ours la, coneoräe de ig. dourgeoisie et de ig. Zarnison.

Ganz anders in seiner landschaftlichen Erscheinung als Thionville
giebt sich Sierck. Dort um die Festungswerke von Diedenhofen ist ringsum
ebenes Land; ein Gefühl der Breite, der Fläche überkommt uns — und nun


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[0358] und da gemahnen rauchende Kamine an gewerblichen Betrieb. Obwohl Diedenhofen im Ganzen entschieden modernes Gepräge trägt, so finden sich doch noch vereinzelte Häuser, die bis ins XV. oder XVI. Jahrhundert zurück¬ greifen. Auch der Thurm auf dem Schlosse der Grafen von Luxemburg ist alt, ja man führt einzelne Bestandtheile desselben bis auf die Carolinger- zeit zurück; auf den älteren Bildern sieht man eine hölzerne Brücke, die zum großen Theile gedeckt war und bei jedem Eisstoß, bei jeder Überschwemmung dem Einsturz nahe kam. Auch die Privatgebäude stehen unter dem begreif¬ lichen Einfluß der Festung und gewähren den Bewohnern nicht immer jenen Raum, der wünschenswerth erschiene, dagegen sind die Forts so ausgedehnt, daß eine bedeutende Truppenzahl von nöthen ist, um sie wirksam zu be¬ haupten. So begegnet uns allenthalben dieselbe Proportion zwischen civilen und militärischen Interessen, d. h. das entschiedene Uebergewicht der letzteren und dies fühlt auch der Biograph der Stadt, der vor nahezu fünfzig Jahren ihre Geschichte schrieb, deutlich hindurch. Das erste was man in Thionville lernen mußte, war se äetenäre et i>. attg^ner" — Alles übrige kam erst darnach. Auch auf die sprachlichen Verhältnisse nahm der eben erwähnte Autor bereits Bedacht und die Daten, die er konstatirt, sind merkwürdig genug. Er sagt, daß das Volk zwar das Französische verstehe, gesprochen aber würde fast nur der deutsche Dialect der Nachbarschaft, ein Mois, von dem auch der keine Silbe verstehen könnte, der nur die Sprache Wieland's und Goethe's kennt. Im übrigen sei die Bevölkerung fleißig, ruhig und entschlossen, man sieht nur wenig Müßiggang und Bettel; ganz besonderes Lob aber verdienen vor allem die Mädchen. So versichert der galante Historiker nicht ohne Seiten¬ blick auf die Garnison, deren Lieutenants wohl nirgend in der Welt eine bessere Lebensgefährtin fänden, und so seltsam dieser Wink auch vom kritischen Standpunkt erscheinen mag, so liebenswürdig ist doch der Loealpatriotismus, er darin zum Ausdruck kommt. ,Mle n'enelig.nee pa,8 (heißt es in der betr. Beschreibung eines solchen Fräuleins) an Premier eoux ä'oeil, wais eile utan cdg,<zu<z Mir ü's.va.iMgö.....Von e'clueation n'est ni brillante, in Neglige, eile g, an Mut sans 6tucles, ach wlents sans g,re, Zu jugement sans eonng.iLsa.vech." Wir wagen es nicht dem alten Herrn zu widersprechen, sondern wir wünschen nur, daß diese reichen Gaben auch den deutschen Soldaten nicht ganz verloren seien, die jetzt die Besatzung von Diedenhofen bilden, denn „des uni.ri5i.ges eonsaerent ton^ours la, coneoräe de ig. dourgeoisie et de ig. Zarnison. Ganz anders in seiner landschaftlichen Erscheinung als Thionville giebt sich Sierck. Dort um die Festungswerke von Diedenhofen ist ringsum ebenes Land; ein Gefühl der Breite, der Fläche überkommt uns — und nun

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/358>, abgerufen am 24.08.2024.