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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Den endlichen Sieg in diesem hundertjährigen Werben gewann auch
hier der König von Frankreich und seine Sorge war es vor allem, die
Festungswerke zu stärken und zu erneuern. Diese Aufgabe ward 1690
von Conde' gelöst und seit jener Zeit ließ die Regierung den wichtigen Platz
nicht mehr außer Augen, er galt ihr gewissermaßen als ein "Außenwerk
von Metz".

Daß die Wogen der Revolution und der großen napoleonischen Kämpfe
auch die Mauern von Thionville umbrandeten, ist natürlich; merkwürdig aber
bleibt die Fülle interessanter Namen, die bei dieser Gelegenheit zu der Stadt
in Beziehung kommen. Schon ehe die Revolution zum Ausbruch kam, stand
bei der Besatzung von Thionville ein französischer Capitän, Namens Lamar¬
tine -- das war der Vater des berühmten Dichters; unter den Emigrirten,
die 1792 vor der Festung lagen, diente Chateaubriand. Der Mann aber,
der in den Freiheitskriegen die Beste wider die siegreichen Truppen vertheidigte,
hieß General Hugo -- Victor Hugo heißt sein Sohn.

Auch in den Ereignissen der jüngsten Zeit hat Diedenhofen bekanntlich
eine bemerkenswerthe Rolle gespielt und wehrte sich tapfer bis in den Beginn
des Winters. Die Einzelheiten jener Erinnerungen aufzufrischen, liegt indeß
außerhalb unseres Zweckes.

Auch die äußerlichen Spuren des Schadens, den die Beschießung damals
angerichtet, sind jetzt ja glücklich verschwunden, neu und blank blickt uns so
manche Häuserzeile entgegen -- wir leben im Frieden. Freilich zeigt eine
Stadt, die so historisch zur Festung bestimmt ist, auch in Friedenstagen ein
gewisses militärisches Gepräge, überall sehen wir die Uniform, überall fühlen
wir den militärischen Beruf des Platzes, wenn man es so nennen will hin¬
durch. Und die Bürger selbst sind mit diesen Traditionen historisch so ver¬
wachsen, daß sie dieselben nicht mit Resignation, sondern mit einer Art von
Stolz empfinden. Sie nannten sich in der französischen Sturmzeit mit einer
gewissen Vorliebe "les entants as ig, ?snsod (so heißt das kleine Flüßchen.
das bet Thionville in die Mosel mündet) und bei ihren Festen erscholl aus
den Reihen der Jugend das Wort: les kntunts as ig, Sensen us pouvent
x>6rir! Das war ihr Losungswort am Nil und in der Ebene des Po, in
Spanien und vor Moskau; überall waren sie dabei im Heerbann des großen
Korsen, General Hoche war ihr Mitbürger gewesen.

Für den Fremden, der mit irgend welcher Neugier heute die Stadt betritt,
ist freilich nicht viel Interessantes zu finden. Aus breiter Fläche taucht ihr
Bild hervor; die beiden niederen Thürme, der Marktplatz mit seinem leben¬
digen Treiben und die langgestreckte Brücke über die Mosel, die hier an 130
Meter breit ist, sind die markanten Momente der Stadt. Die Umgebung hat
wenig Bedeutendes, wo es der Boden duldet sind Reben gepflanzt, nur hie


Den endlichen Sieg in diesem hundertjährigen Werben gewann auch
hier der König von Frankreich und seine Sorge war es vor allem, die
Festungswerke zu stärken und zu erneuern. Diese Aufgabe ward 1690
von Conde' gelöst und seit jener Zeit ließ die Regierung den wichtigen Platz
nicht mehr außer Augen, er galt ihr gewissermaßen als ein „Außenwerk
von Metz".

Daß die Wogen der Revolution und der großen napoleonischen Kämpfe
auch die Mauern von Thionville umbrandeten, ist natürlich; merkwürdig aber
bleibt die Fülle interessanter Namen, die bei dieser Gelegenheit zu der Stadt
in Beziehung kommen. Schon ehe die Revolution zum Ausbruch kam, stand
bei der Besatzung von Thionville ein französischer Capitän, Namens Lamar¬
tine — das war der Vater des berühmten Dichters; unter den Emigrirten,
die 1792 vor der Festung lagen, diente Chateaubriand. Der Mann aber,
der in den Freiheitskriegen die Beste wider die siegreichen Truppen vertheidigte,
hieß General Hugo — Victor Hugo heißt sein Sohn.

Auch in den Ereignissen der jüngsten Zeit hat Diedenhofen bekanntlich
eine bemerkenswerthe Rolle gespielt und wehrte sich tapfer bis in den Beginn
des Winters. Die Einzelheiten jener Erinnerungen aufzufrischen, liegt indeß
außerhalb unseres Zweckes.

Auch die äußerlichen Spuren des Schadens, den die Beschießung damals
angerichtet, sind jetzt ja glücklich verschwunden, neu und blank blickt uns so
manche Häuserzeile entgegen — wir leben im Frieden. Freilich zeigt eine
Stadt, die so historisch zur Festung bestimmt ist, auch in Friedenstagen ein
gewisses militärisches Gepräge, überall sehen wir die Uniform, überall fühlen
wir den militärischen Beruf des Platzes, wenn man es so nennen will hin¬
durch. Und die Bürger selbst sind mit diesen Traditionen historisch so ver¬
wachsen, daß sie dieselben nicht mit Resignation, sondern mit einer Art von
Stolz empfinden. Sie nannten sich in der französischen Sturmzeit mit einer
gewissen Vorliebe „les entants as ig, ?snsod (so heißt das kleine Flüßchen.
das bet Thionville in die Mosel mündet) und bei ihren Festen erscholl aus
den Reihen der Jugend das Wort: les kntunts as ig, Sensen us pouvent
x>6rir! Das war ihr Losungswort am Nil und in der Ebene des Po, in
Spanien und vor Moskau; überall waren sie dabei im Heerbann des großen
Korsen, General Hoche war ihr Mitbürger gewesen.

Für den Fremden, der mit irgend welcher Neugier heute die Stadt betritt,
ist freilich nicht viel Interessantes zu finden. Aus breiter Fläche taucht ihr
Bild hervor; die beiden niederen Thürme, der Marktplatz mit seinem leben¬
digen Treiben und die langgestreckte Brücke über die Mosel, die hier an 130
Meter breit ist, sind die markanten Momente der Stadt. Die Umgebung hat
wenig Bedeutendes, wo es der Boden duldet sind Reben gepflanzt, nur hie


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[0357] Den endlichen Sieg in diesem hundertjährigen Werben gewann auch hier der König von Frankreich und seine Sorge war es vor allem, die Festungswerke zu stärken und zu erneuern. Diese Aufgabe ward 1690 von Conde' gelöst und seit jener Zeit ließ die Regierung den wichtigen Platz nicht mehr außer Augen, er galt ihr gewissermaßen als ein „Außenwerk von Metz". Daß die Wogen der Revolution und der großen napoleonischen Kämpfe auch die Mauern von Thionville umbrandeten, ist natürlich; merkwürdig aber bleibt die Fülle interessanter Namen, die bei dieser Gelegenheit zu der Stadt in Beziehung kommen. Schon ehe die Revolution zum Ausbruch kam, stand bei der Besatzung von Thionville ein französischer Capitän, Namens Lamar¬ tine — das war der Vater des berühmten Dichters; unter den Emigrirten, die 1792 vor der Festung lagen, diente Chateaubriand. Der Mann aber, der in den Freiheitskriegen die Beste wider die siegreichen Truppen vertheidigte, hieß General Hugo — Victor Hugo heißt sein Sohn. Auch in den Ereignissen der jüngsten Zeit hat Diedenhofen bekanntlich eine bemerkenswerthe Rolle gespielt und wehrte sich tapfer bis in den Beginn des Winters. Die Einzelheiten jener Erinnerungen aufzufrischen, liegt indeß außerhalb unseres Zweckes. Auch die äußerlichen Spuren des Schadens, den die Beschießung damals angerichtet, sind jetzt ja glücklich verschwunden, neu und blank blickt uns so manche Häuserzeile entgegen — wir leben im Frieden. Freilich zeigt eine Stadt, die so historisch zur Festung bestimmt ist, auch in Friedenstagen ein gewisses militärisches Gepräge, überall sehen wir die Uniform, überall fühlen wir den militärischen Beruf des Platzes, wenn man es so nennen will hin¬ durch. Und die Bürger selbst sind mit diesen Traditionen historisch so ver¬ wachsen, daß sie dieselben nicht mit Resignation, sondern mit einer Art von Stolz empfinden. Sie nannten sich in der französischen Sturmzeit mit einer gewissen Vorliebe „les entants as ig, ?snsod (so heißt das kleine Flüßchen. das bet Thionville in die Mosel mündet) und bei ihren Festen erscholl aus den Reihen der Jugend das Wort: les kntunts as ig, Sensen us pouvent x>6rir! Das war ihr Losungswort am Nil und in der Ebene des Po, in Spanien und vor Moskau; überall waren sie dabei im Heerbann des großen Korsen, General Hoche war ihr Mitbürger gewesen. Für den Fremden, der mit irgend welcher Neugier heute die Stadt betritt, ist freilich nicht viel Interessantes zu finden. Aus breiter Fläche taucht ihr Bild hervor; die beiden niederen Thürme, der Marktplatz mit seinem leben¬ digen Treiben und die langgestreckte Brücke über die Mosel, die hier an 130 Meter breit ist, sind die markanten Momente der Stadt. Die Umgebung hat wenig Bedeutendes, wo es der Boden duldet sind Reben gepflanzt, nur hie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/357>, abgerufen am 22.07.2024.