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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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Woltmann's Holbeinbiographie, Löhr's Elsaß-Lothringen u. a. erschienen in
dieser Schrift. Das Publicum wollte anfangs nicht recht dran; wie es immer
geht, wenn der Geschmack lange Zeit hindurch förmlich systematisch abge¬
stumpft worden ist, erschien das wahrhaft Schöne den Leuten anfänglich als
eine geschmacklose Absonderlichkeit. Nach und nach haben die neuen Versuche
aber doch zu munden angefangen.

Aber nicht bloß schönere Schrift, auch die typographischen Verzierungen,
- Bordüren, Kopfleisten, Initialen, Schlußstücke -- ohne welche in der guten
Zeit des deutschen Buchdruckes ein Buch ganz undenkbar war, die aber schon
seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer schlechter geworden waren und
seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts gänzlich verschwunden sind, hat man
wieder hervorgesucht. Im Verlage von Quandt und Händel in Leipzig er¬
schien vor einigen Jahren eine geschmackvolle Ausgabe von Goethe's "Hermann
und Dorothea", etwas später in demselben Verlag eine Auswahl aus Bret
Harte's "Californischen Novellen", beide mit hübschen Zierleisten geschmückt.
Der Verlag von L. Rosner in Wien trat um dieselbe Zeit mit den bekannten
Griesebach'schen Dichtungen "Der neue Tanhäuser" und später "Tanhäuser
in Rom" hervor. Die letztern fanden reißenden Absatz, natürlich vor allem
des pikanten Inhalts wegen, zum Theil aber doch wohl auch wegen der
außergewöhnlichen typographischen Ausstattung, die in diesem Falle als wohl¬
berechnetes Reizmittel diente; wenn die "Californischen Novellen" einigen An¬
klang fanden, so geschah auch dies gewiß wegen des schmucken Aeußern, denn
die vollständige Ausgabe von Bret Harte's "Argonautengeschichten" existirte
ja in gewöhnlicher Ausstattung daneben; "Hermann und Dorothea" aber
ist unseres Wissens klanglos zum Orcus hinabgegangen. Das Publikum hatte,
an die entsetzliche Nüchternheit unseres Buchdruckes gewöhnt, auch für solche
Leistungen allmählich alles Verständniß verloren. Ein deutscher Gelehrter
würde es auch noch jetzt für eine würdelose Spielerei halten und mit Ent¬
rüstung dagegen protestiren, wenn ein Verleger oder Drucker sich's einfallen
lassen wollte, in einem wissenschaftlichen Werke von ihm typographische
Verzierungen anzubringen. Als ob die Solidität eines Hauses vom ordinären
Casernenstil unzertrennlich wäre, als ob sie irgendwie darunter leiden könnte,
wenn das Haus zugleich schön gebaut wird!

Auch diese auf die Hebung unseres typographischen Geschmacks gerichteten
Bestrebungen empfingen aber durch die oben erwähnten Jubiläumsausstellung
neue, kräftige Antriebe. Und da im Anschauen der Bücher aus der guten,
alten Zeit schließlich auch die Sehnsucht -- freilich die nur allzuberechtigte
Sehnsucht! -- nach dem alten, soliden Papier wieder erwachte, das man ja
heute noch in der gleichen Güte wie in vergangenen Jahrhunderten aus Holland
beziehen kann, so entstanden nun in der allerletzten Zeit unter Zuhilfenahme


Woltmann's Holbeinbiographie, Löhr's Elsaß-Lothringen u. a. erschienen in
dieser Schrift. Das Publicum wollte anfangs nicht recht dran; wie es immer
geht, wenn der Geschmack lange Zeit hindurch förmlich systematisch abge¬
stumpft worden ist, erschien das wahrhaft Schöne den Leuten anfänglich als
eine geschmacklose Absonderlichkeit. Nach und nach haben die neuen Versuche
aber doch zu munden angefangen.

Aber nicht bloß schönere Schrift, auch die typographischen Verzierungen,
- Bordüren, Kopfleisten, Initialen, Schlußstücke — ohne welche in der guten
Zeit des deutschen Buchdruckes ein Buch ganz undenkbar war, die aber schon
seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer schlechter geworden waren und
seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts gänzlich verschwunden sind, hat man
wieder hervorgesucht. Im Verlage von Quandt und Händel in Leipzig er¬
schien vor einigen Jahren eine geschmackvolle Ausgabe von Goethe's „Hermann
und Dorothea", etwas später in demselben Verlag eine Auswahl aus Bret
Harte's „Californischen Novellen", beide mit hübschen Zierleisten geschmückt.
Der Verlag von L. Rosner in Wien trat um dieselbe Zeit mit den bekannten
Griesebach'schen Dichtungen „Der neue Tanhäuser" und später „Tanhäuser
in Rom" hervor. Die letztern fanden reißenden Absatz, natürlich vor allem
des pikanten Inhalts wegen, zum Theil aber doch wohl auch wegen der
außergewöhnlichen typographischen Ausstattung, die in diesem Falle als wohl¬
berechnetes Reizmittel diente; wenn die „Californischen Novellen" einigen An¬
klang fanden, so geschah auch dies gewiß wegen des schmucken Aeußern, denn
die vollständige Ausgabe von Bret Harte's „Argonautengeschichten" existirte
ja in gewöhnlicher Ausstattung daneben; „Hermann und Dorothea" aber
ist unseres Wissens klanglos zum Orcus hinabgegangen. Das Publikum hatte,
an die entsetzliche Nüchternheit unseres Buchdruckes gewöhnt, auch für solche
Leistungen allmählich alles Verständniß verloren. Ein deutscher Gelehrter
würde es auch noch jetzt für eine würdelose Spielerei halten und mit Ent¬
rüstung dagegen protestiren, wenn ein Verleger oder Drucker sich's einfallen
lassen wollte, in einem wissenschaftlichen Werke von ihm typographische
Verzierungen anzubringen. Als ob die Solidität eines Hauses vom ordinären
Casernenstil unzertrennlich wäre, als ob sie irgendwie darunter leiden könnte,
wenn das Haus zugleich schön gebaut wird!

Auch diese auf die Hebung unseres typographischen Geschmacks gerichteten
Bestrebungen empfingen aber durch die oben erwähnten Jubiläumsausstellung
neue, kräftige Antriebe. Und da im Anschauen der Bücher aus der guten,
alten Zeit schließlich auch die Sehnsucht — freilich die nur allzuberechtigte
Sehnsucht! — nach dem alten, soliden Papier wieder erwachte, das man ja
heute noch in der gleichen Güte wie in vergangenen Jahrhunderten aus Holland
beziehen kann, so entstanden nun in der allerletzten Zeit unter Zuhilfenahme


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[0334] Woltmann's Holbeinbiographie, Löhr's Elsaß-Lothringen u. a. erschienen in dieser Schrift. Das Publicum wollte anfangs nicht recht dran; wie es immer geht, wenn der Geschmack lange Zeit hindurch förmlich systematisch abge¬ stumpft worden ist, erschien das wahrhaft Schöne den Leuten anfänglich als eine geschmacklose Absonderlichkeit. Nach und nach haben die neuen Versuche aber doch zu munden angefangen. Aber nicht bloß schönere Schrift, auch die typographischen Verzierungen, - Bordüren, Kopfleisten, Initialen, Schlußstücke — ohne welche in der guten Zeit des deutschen Buchdruckes ein Buch ganz undenkbar war, die aber schon seit dem Ende des 16. Jahrhunderts immer schlechter geworden waren und seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts gänzlich verschwunden sind, hat man wieder hervorgesucht. Im Verlage von Quandt und Händel in Leipzig er¬ schien vor einigen Jahren eine geschmackvolle Ausgabe von Goethe's „Hermann und Dorothea", etwas später in demselben Verlag eine Auswahl aus Bret Harte's „Californischen Novellen", beide mit hübschen Zierleisten geschmückt. Der Verlag von L. Rosner in Wien trat um dieselbe Zeit mit den bekannten Griesebach'schen Dichtungen „Der neue Tanhäuser" und später „Tanhäuser in Rom" hervor. Die letztern fanden reißenden Absatz, natürlich vor allem des pikanten Inhalts wegen, zum Theil aber doch wohl auch wegen der außergewöhnlichen typographischen Ausstattung, die in diesem Falle als wohl¬ berechnetes Reizmittel diente; wenn die „Californischen Novellen" einigen An¬ klang fanden, so geschah auch dies gewiß wegen des schmucken Aeußern, denn die vollständige Ausgabe von Bret Harte's „Argonautengeschichten" existirte ja in gewöhnlicher Ausstattung daneben; „Hermann und Dorothea" aber ist unseres Wissens klanglos zum Orcus hinabgegangen. Das Publikum hatte, an die entsetzliche Nüchternheit unseres Buchdruckes gewöhnt, auch für solche Leistungen allmählich alles Verständniß verloren. Ein deutscher Gelehrter würde es auch noch jetzt für eine würdelose Spielerei halten und mit Ent¬ rüstung dagegen protestiren, wenn ein Verleger oder Drucker sich's einfallen lassen wollte, in einem wissenschaftlichen Werke von ihm typographische Verzierungen anzubringen. Als ob die Solidität eines Hauses vom ordinären Casernenstil unzertrennlich wäre, als ob sie irgendwie darunter leiden könnte, wenn das Haus zugleich schön gebaut wird! Auch diese auf die Hebung unseres typographischen Geschmacks gerichteten Bestrebungen empfingen aber durch die oben erwähnten Jubiläumsausstellung neue, kräftige Antriebe. Und da im Anschauen der Bücher aus der guten, alten Zeit schließlich auch die Sehnsucht — freilich die nur allzuberechtigte Sehnsucht! — nach dem alten, soliden Papier wieder erwachte, das man ja heute noch in der gleichen Güte wie in vergangenen Jahrhunderten aus Holland beziehen kann, so entstanden nun in der allerletzten Zeit unter Zuhilfenahme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/334>, abgerufen am 27.09.2024.