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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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für Kroll und beauftragte eine neue Kommisston mit der Auffindung eines
neuen Platzes. Diese Kommission hat vor allem beschlossen, ihre Absichten
in tiefes Geheimniß zu hüllen, um nicht die Speculation auf die ins Auge
gefaßten Grundstücke zu reizen. Sehr weise. Aber schließlich muß sie doch
vor dem Reichstag mit ihrem Vorschlag herauskommen, bevor er vollendete
Thatsache geworden. Da wird die Speculation sich immer noch rühren, man
müßte denn die Majorität am Abend vorher sichern, die Sache binnen einer
Stunde in der officiellen Sitzung erledigen und in der nächsten Stunde den
Kauf abschließen. Ob das in einem deutschen Parlament jemals möglich ist?

Die dritte Berathung der Hülfskassengesetze übergehen wir. Am 9. Febr.
erfolgte die dritte Lesung der Strafgesetznovelle. Die Bestrafung der Aus¬
länder, welche den deutschen Boden betreten, nachdem sie im Ausland gegen
Deutsche ein Verbrechen begangen, wurde wiederum abgelehnt. Der Schildaische
Beschluß bei Z 102, die Hochverrätherischen Unternehmungen auf deutschem
Boden gegen das Ausland nur unter der Bedingung zu bestrafen, wenn das
Ausland die Gegenseitigkeit verbürgt, wurde wiederholt. An der Reihe waren
nunmehr die bet der zweiten Lesung abgelehnten §§ 130 und 131. Als
Präsident Simson dieselben zur Diskussion stellen wollte, protestirten die
Abgeordneten Laster, Miquel und Windthorst, obgleich allgemein bekannt
war, daß der Reichskanzler zu diesen Paragraphen das Wort nehmen wollte,
ein Umstand, der die Tribünen überfüllt hatte. Der Reichskanzler erklärte,
er habe vorausgesetzt, daß die Regierungsanträge mit der zweiten Lesung nicht
beseitigt werden könnten. Die Erledigung dieser Frage konnte dadurch für
den Augenblick, vertagt werden, daß der Abgeordnete zu Rabenau die Para¬
graphen wieder aufnahm und die erforderliche Unterstützung fand, was nach
der Geschäftsordnung zulässig ist.

Der Reichskanzler sprach wesentlich zu dem Z 131. Wir hatten oben
bemerkt, daß dieser Paragraph die Verbreitung erdichteter Thatsachen bestraft,
wenn die Verbreitung zu dem Zweck erfolgt, Staatseinrichtungen verächtlich zu
machen. Die Novelle wollte die Strafbarkeit öffentlicher Schmähungen und
Verhöhnungen, die zu demselben Zweck erfolgen, hinzufügen. Allein die
Novelle enthielt außerdem eine wesentliche Abänderung des bisherigen Para¬
graphen, welche noch nicht erwähnt wurde. Der jetzige § 131 lautet nämlich:
Wer erdichtete oder entstellte Thatsachen wissend, daß sie erdichtet
oder entstellt sind u. s. w. Die unterstrichenen Worte hatte die Novelle
entfernt und damit in unsern Augen eine ganz wesentliche Verbesserung be¬
zweckt. Denn einen Lügner nur dann bestrafen, wenn ihm juristisch nachge¬
wiesen werden kann, daß er sich der Lüge vollkommen bewußt gewesen*), heißt,
ihn straflos machen. Freilich müßte die Bestrafung der Lügenverbreitung,



") Dann ist er eben kein "Lügner". Eine Unwahrheit kann doch borg, "as geäußert
w D. Red. erden.

für Kroll und beauftragte eine neue Kommisston mit der Auffindung eines
neuen Platzes. Diese Kommission hat vor allem beschlossen, ihre Absichten
in tiefes Geheimniß zu hüllen, um nicht die Speculation auf die ins Auge
gefaßten Grundstücke zu reizen. Sehr weise. Aber schließlich muß sie doch
vor dem Reichstag mit ihrem Vorschlag herauskommen, bevor er vollendete
Thatsache geworden. Da wird die Speculation sich immer noch rühren, man
müßte denn die Majorität am Abend vorher sichern, die Sache binnen einer
Stunde in der officiellen Sitzung erledigen und in der nächsten Stunde den
Kauf abschließen. Ob das in einem deutschen Parlament jemals möglich ist?

Die dritte Berathung der Hülfskassengesetze übergehen wir. Am 9. Febr.
erfolgte die dritte Lesung der Strafgesetznovelle. Die Bestrafung der Aus¬
länder, welche den deutschen Boden betreten, nachdem sie im Ausland gegen
Deutsche ein Verbrechen begangen, wurde wiederum abgelehnt. Der Schildaische
Beschluß bei Z 102, die Hochverrätherischen Unternehmungen auf deutschem
Boden gegen das Ausland nur unter der Bedingung zu bestrafen, wenn das
Ausland die Gegenseitigkeit verbürgt, wurde wiederholt. An der Reihe waren
nunmehr die bet der zweiten Lesung abgelehnten §§ 130 und 131. Als
Präsident Simson dieselben zur Diskussion stellen wollte, protestirten die
Abgeordneten Laster, Miquel und Windthorst, obgleich allgemein bekannt
war, daß der Reichskanzler zu diesen Paragraphen das Wort nehmen wollte,
ein Umstand, der die Tribünen überfüllt hatte. Der Reichskanzler erklärte,
er habe vorausgesetzt, daß die Regierungsanträge mit der zweiten Lesung nicht
beseitigt werden könnten. Die Erledigung dieser Frage konnte dadurch für
den Augenblick, vertagt werden, daß der Abgeordnete zu Rabenau die Para¬
graphen wieder aufnahm und die erforderliche Unterstützung fand, was nach
der Geschäftsordnung zulässig ist.

Der Reichskanzler sprach wesentlich zu dem Z 131. Wir hatten oben
bemerkt, daß dieser Paragraph die Verbreitung erdichteter Thatsachen bestraft,
wenn die Verbreitung zu dem Zweck erfolgt, Staatseinrichtungen verächtlich zu
machen. Die Novelle wollte die Strafbarkeit öffentlicher Schmähungen und
Verhöhnungen, die zu demselben Zweck erfolgen, hinzufügen. Allein die
Novelle enthielt außerdem eine wesentliche Abänderung des bisherigen Para¬
graphen, welche noch nicht erwähnt wurde. Der jetzige § 131 lautet nämlich:
Wer erdichtete oder entstellte Thatsachen wissend, daß sie erdichtet
oder entstellt sind u. s. w. Die unterstrichenen Worte hatte die Novelle
entfernt und damit in unsern Augen eine ganz wesentliche Verbesserung be¬
zweckt. Denn einen Lügner nur dann bestrafen, wenn ihm juristisch nachge¬
wiesen werden kann, daß er sich der Lüge vollkommen bewußt gewesen*), heißt,
ihn straflos machen. Freilich müßte die Bestrafung der Lügenverbreitung,



") Dann ist er eben kein „Lügner". Eine Unwahrheit kann doch borg, «as geäußert
w D. Red. erden.
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[0325] für Kroll und beauftragte eine neue Kommisston mit der Auffindung eines neuen Platzes. Diese Kommission hat vor allem beschlossen, ihre Absichten in tiefes Geheimniß zu hüllen, um nicht die Speculation auf die ins Auge gefaßten Grundstücke zu reizen. Sehr weise. Aber schließlich muß sie doch vor dem Reichstag mit ihrem Vorschlag herauskommen, bevor er vollendete Thatsache geworden. Da wird die Speculation sich immer noch rühren, man müßte denn die Majorität am Abend vorher sichern, die Sache binnen einer Stunde in der officiellen Sitzung erledigen und in der nächsten Stunde den Kauf abschließen. Ob das in einem deutschen Parlament jemals möglich ist? Die dritte Berathung der Hülfskassengesetze übergehen wir. Am 9. Febr. erfolgte die dritte Lesung der Strafgesetznovelle. Die Bestrafung der Aus¬ länder, welche den deutschen Boden betreten, nachdem sie im Ausland gegen Deutsche ein Verbrechen begangen, wurde wiederum abgelehnt. Der Schildaische Beschluß bei Z 102, die Hochverrätherischen Unternehmungen auf deutschem Boden gegen das Ausland nur unter der Bedingung zu bestrafen, wenn das Ausland die Gegenseitigkeit verbürgt, wurde wiederholt. An der Reihe waren nunmehr die bet der zweiten Lesung abgelehnten §§ 130 und 131. Als Präsident Simson dieselben zur Diskussion stellen wollte, protestirten die Abgeordneten Laster, Miquel und Windthorst, obgleich allgemein bekannt war, daß der Reichskanzler zu diesen Paragraphen das Wort nehmen wollte, ein Umstand, der die Tribünen überfüllt hatte. Der Reichskanzler erklärte, er habe vorausgesetzt, daß die Regierungsanträge mit der zweiten Lesung nicht beseitigt werden könnten. Die Erledigung dieser Frage konnte dadurch für den Augenblick, vertagt werden, daß der Abgeordnete zu Rabenau die Para¬ graphen wieder aufnahm und die erforderliche Unterstützung fand, was nach der Geschäftsordnung zulässig ist. Der Reichskanzler sprach wesentlich zu dem Z 131. Wir hatten oben bemerkt, daß dieser Paragraph die Verbreitung erdichteter Thatsachen bestraft, wenn die Verbreitung zu dem Zweck erfolgt, Staatseinrichtungen verächtlich zu machen. Die Novelle wollte die Strafbarkeit öffentlicher Schmähungen und Verhöhnungen, die zu demselben Zweck erfolgen, hinzufügen. Allein die Novelle enthielt außerdem eine wesentliche Abänderung des bisherigen Para¬ graphen, welche noch nicht erwähnt wurde. Der jetzige § 131 lautet nämlich: Wer erdichtete oder entstellte Thatsachen wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind u. s. w. Die unterstrichenen Worte hatte die Novelle entfernt und damit in unsern Augen eine ganz wesentliche Verbesserung be¬ zweckt. Denn einen Lügner nur dann bestrafen, wenn ihm juristisch nachge¬ wiesen werden kann, daß er sich der Lüge vollkommen bewußt gewesen*), heißt, ihn straflos machen. Freilich müßte die Bestrafung der Lügenverbreitung, ") Dann ist er eben kein „Lügner". Eine Unwahrheit kann doch borg, «as geäußert w D. Red. erden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/325>, abgerufen am 27.09.2024.