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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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ohne Zuthun von Behörden sich bilden, die Rechte der juristischen Person
erwerben können.

Die Hauptfrage des Gesetzes bewegte sich um den Punkt, in wieweit
solche Kassen Ausfluß eines umfassenden Vereinszweckes sein können und wie¬
weit unter solcher Voraussetzung der Ausschluß aus der Kasse oder die Ver¬
minderung der Vortheile derselben als Disciplinarmittel der Vereinsobrigkeit
angewendet werden darf. Von dem Ausschluß jeder Verbindung solcher Kassen
mit andern Vereinszwecken, wie ihn die Regierungsvorlage wollte, schwankten
die Ansichten im Reichstag bis zur Verleihung der Rechte der juristischen
Person an alle Arbeitervereine, die darum nachsuchen. Letzteren Standpunkt
vertritt schon seit Jahren Schulze-Delitzsch. Den Ausschluß von der Kasse
den Vereinsobrigkeiten als Disciplinarmittel in die Hand legen wollte aber
auch er nicht. Unseres Erachtens geht er in dem einen Punkt zu weit, in
dem anderen nicht weit genug. Nach unserer Ueberzeugung liegt in der
Förderung eines gesunden Vereinslebens der Arbeiter die einzige mögliche und
wirksame Bekämpfung der Socialdemokratie. Man muß nicht ängstlich sein
mit der corporativen Anerkennung der Arbeiterverbände. Das Gesetz, welches
die Bedingungen dieser Anerkennung zu regeln hätte, müßte allerdings aus¬
sprechen, daß. wenn der Richter die Ueberzeugung gewinnt, ein Arbeiterverband
verfolge revolutionaire Zwecke, die Auflösung und Bestrafung einzutreten hat.
Unter Voraussetzung des Ausschlusses revolutionairer Zwecke sollte man aber
alles thun, eine kräftige Disciplin in den Vereinen zu begünstigen. Denn
nur eine solche schafft das Bewußtsein der Solidarität und der solidarischen
Verantwortlichkeit. Nur mittelst einer solchen kann die einzig wirksame Ar¬
beitspolizei, nämlich diejenige durch die Vereine selbst geübt werden. Nur eine
solche Disciplin erlaubt es, bei Ausschreitungen, wie Contractbruch u. tgi.
den schuldigen Theil zu finden und verantwortlich zu machen. Denn wir setzen
als Hauptbedingung jedes anerkannten Vereins voraus, daß die verantwort¬
lichen Oberen der Behörde namhaft gemacht werden. -- Von solchen Gedanken
und Maßregeln sind aber unsere Gesetzgeber noch weit entfernt. Aengstlich
versteht man sich dazu, die Bildung freier Kassen überhaupt zu gestatten, und
ängstlich sucht man diese Bildung von den Vereinen und ihrer Disciplin zu
lösen. Das Gesetz, wie es zu Stande gekommen, löst die Kassen nicht gänzlich
von den Vereinen, aber doch gänzlich von der Vereinsdisciplin. Man wähnt,
sich damit einigermaßen vor den Fortschritten der Socialdemokratie zu sichern,
deren Vereinen man wenigstens den Deckmantel gesetzlicher Anerkennung ent¬
ziehen will. Daß dies aber auf besserem Wege geschehen kann, haben wir
angedeutet. Die Socialdemokratie kommt mit den bestehenden Vereinsgesetzen
für ihre lediglich agitatorischen Zwecke ganz gut aus, sie weiß ihre Mitglieder
zu discipliniren, in Schrecken zu halten und zu strafen ohne gesetzlich an-


Grenzboten I. 187". 40

ohne Zuthun von Behörden sich bilden, die Rechte der juristischen Person
erwerben können.

Die Hauptfrage des Gesetzes bewegte sich um den Punkt, in wieweit
solche Kassen Ausfluß eines umfassenden Vereinszweckes sein können und wie¬
weit unter solcher Voraussetzung der Ausschluß aus der Kasse oder die Ver¬
minderung der Vortheile derselben als Disciplinarmittel der Vereinsobrigkeit
angewendet werden darf. Von dem Ausschluß jeder Verbindung solcher Kassen
mit andern Vereinszwecken, wie ihn die Regierungsvorlage wollte, schwankten
die Ansichten im Reichstag bis zur Verleihung der Rechte der juristischen
Person an alle Arbeitervereine, die darum nachsuchen. Letzteren Standpunkt
vertritt schon seit Jahren Schulze-Delitzsch. Den Ausschluß von der Kasse
den Vereinsobrigkeiten als Disciplinarmittel in die Hand legen wollte aber
auch er nicht. Unseres Erachtens geht er in dem einen Punkt zu weit, in
dem anderen nicht weit genug. Nach unserer Ueberzeugung liegt in der
Förderung eines gesunden Vereinslebens der Arbeiter die einzige mögliche und
wirksame Bekämpfung der Socialdemokratie. Man muß nicht ängstlich sein
mit der corporativen Anerkennung der Arbeiterverbände. Das Gesetz, welches
die Bedingungen dieser Anerkennung zu regeln hätte, müßte allerdings aus¬
sprechen, daß. wenn der Richter die Ueberzeugung gewinnt, ein Arbeiterverband
verfolge revolutionaire Zwecke, die Auflösung und Bestrafung einzutreten hat.
Unter Voraussetzung des Ausschlusses revolutionairer Zwecke sollte man aber
alles thun, eine kräftige Disciplin in den Vereinen zu begünstigen. Denn
nur eine solche schafft das Bewußtsein der Solidarität und der solidarischen
Verantwortlichkeit. Nur mittelst einer solchen kann die einzig wirksame Ar¬
beitspolizei, nämlich diejenige durch die Vereine selbst geübt werden. Nur eine
solche Disciplin erlaubt es, bei Ausschreitungen, wie Contractbruch u. tgi.
den schuldigen Theil zu finden und verantwortlich zu machen. Denn wir setzen
als Hauptbedingung jedes anerkannten Vereins voraus, daß die verantwort¬
lichen Oberen der Behörde namhaft gemacht werden. — Von solchen Gedanken
und Maßregeln sind aber unsere Gesetzgeber noch weit entfernt. Aengstlich
versteht man sich dazu, die Bildung freier Kassen überhaupt zu gestatten, und
ängstlich sucht man diese Bildung von den Vereinen und ihrer Disciplin zu
lösen. Das Gesetz, wie es zu Stande gekommen, löst die Kassen nicht gänzlich
von den Vereinen, aber doch gänzlich von der Vereinsdisciplin. Man wähnt,
sich damit einigermaßen vor den Fortschritten der Socialdemokratie zu sichern,
deren Vereinen man wenigstens den Deckmantel gesetzlicher Anerkennung ent¬
ziehen will. Daß dies aber auf besserem Wege geschehen kann, haben wir
angedeutet. Die Socialdemokratie kommt mit den bestehenden Vereinsgesetzen
für ihre lediglich agitatorischen Zwecke ganz gut aus, sie weiß ihre Mitglieder
zu discipliniren, in Schrecken zu halten und zu strafen ohne gesetzlich an-


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[0321] ohne Zuthun von Behörden sich bilden, die Rechte der juristischen Person erwerben können. Die Hauptfrage des Gesetzes bewegte sich um den Punkt, in wieweit solche Kassen Ausfluß eines umfassenden Vereinszweckes sein können und wie¬ weit unter solcher Voraussetzung der Ausschluß aus der Kasse oder die Ver¬ minderung der Vortheile derselben als Disciplinarmittel der Vereinsobrigkeit angewendet werden darf. Von dem Ausschluß jeder Verbindung solcher Kassen mit andern Vereinszwecken, wie ihn die Regierungsvorlage wollte, schwankten die Ansichten im Reichstag bis zur Verleihung der Rechte der juristischen Person an alle Arbeitervereine, die darum nachsuchen. Letzteren Standpunkt vertritt schon seit Jahren Schulze-Delitzsch. Den Ausschluß von der Kasse den Vereinsobrigkeiten als Disciplinarmittel in die Hand legen wollte aber auch er nicht. Unseres Erachtens geht er in dem einen Punkt zu weit, in dem anderen nicht weit genug. Nach unserer Ueberzeugung liegt in der Förderung eines gesunden Vereinslebens der Arbeiter die einzige mögliche und wirksame Bekämpfung der Socialdemokratie. Man muß nicht ängstlich sein mit der corporativen Anerkennung der Arbeiterverbände. Das Gesetz, welches die Bedingungen dieser Anerkennung zu regeln hätte, müßte allerdings aus¬ sprechen, daß. wenn der Richter die Ueberzeugung gewinnt, ein Arbeiterverband verfolge revolutionaire Zwecke, die Auflösung und Bestrafung einzutreten hat. Unter Voraussetzung des Ausschlusses revolutionairer Zwecke sollte man aber alles thun, eine kräftige Disciplin in den Vereinen zu begünstigen. Denn nur eine solche schafft das Bewußtsein der Solidarität und der solidarischen Verantwortlichkeit. Nur mittelst einer solchen kann die einzig wirksame Ar¬ beitspolizei, nämlich diejenige durch die Vereine selbst geübt werden. Nur eine solche Disciplin erlaubt es, bei Ausschreitungen, wie Contractbruch u. tgi. den schuldigen Theil zu finden und verantwortlich zu machen. Denn wir setzen als Hauptbedingung jedes anerkannten Vereins voraus, daß die verantwort¬ lichen Oberen der Behörde namhaft gemacht werden. — Von solchen Gedanken und Maßregeln sind aber unsere Gesetzgeber noch weit entfernt. Aengstlich versteht man sich dazu, die Bildung freier Kassen überhaupt zu gestatten, und ängstlich sucht man diese Bildung von den Vereinen und ihrer Disciplin zu lösen. Das Gesetz, wie es zu Stande gekommen, löst die Kassen nicht gänzlich von den Vereinen, aber doch gänzlich von der Vereinsdisciplin. Man wähnt, sich damit einigermaßen vor den Fortschritten der Socialdemokratie zu sichern, deren Vereinen man wenigstens den Deckmantel gesetzlicher Anerkennung ent¬ ziehen will. Daß dies aber auf besserem Wege geschehen kann, haben wir angedeutet. Die Socialdemokratie kommt mit den bestehenden Vereinsgesetzen für ihre lediglich agitatorischen Zwecke ganz gut aus, sie weiß ihre Mitglieder zu discipliniren, in Schrecken zu halten und zu strafen ohne gesetzlich an- Grenzboten I. 187«. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/321>, abgerufen am 27.09.2024.