Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

machen sollte. Auch diese Novelle wurde abgelehnt, insofern mit besserem
Rechte als andere, als bei solchen Veröffentlichungen alles auf die schwer zu
constatirende Absicht ankommt.

Nach abermaliger Uebergehung unpolitischer Paragraphen wenden wir
uns zu dem vorzugsweise sogenannten Paragraph Arnim. Hier hat die
Novelle als § 353° einen ganz neuen Paragraphen eingefügt, welcher straf¬
bar macht: den Ungehorsam gegen amtliche Weisungen, die Täuschung der
Vorgesetzten und die Täuschung Anderer durch Mißbrauch der amrlichen
Stellung, den Bruch der Amtsverschwiegenheit und viertens die Ordnungs¬
widrigkeit bei Aufbewahrung amtlicher Schriftstücke. Zur Annahme gelangte
hier bei namentlicher Abstimmung ein Amendement der Abgeordneten
v. Schwarze, Marquardsen und v. Puttkamer, welches die Novelle nicht un¬
wesentlich abschwächte, theils durch Minderung des Strafmaßes, theils durch
ausgeschlossene Strafbarkeit der Täuschung Anderer als des Vorgesetzten durch
Mißbrauch der amtlichen Stellung, und durch ausgeschlossene Strafbarkeit der
Ordnungswidrigkett bei Aufbewahrung amtlicher Schriftstücke.

Die Sitzung vom 31. Januar, die sich mit mecklenburgischer Kirchen¬
politik zum großen Theil beschäftigte, können wir soweit übergehen. Der
Reichstag begann am Ende dieser Sitzung noch die zweite Berathung des
Gesetzentwurfs wegen Abänderung des Tit. VIII. der Gewerbeordnung. Es
handelt sich darum, den durch die Gewerbeordnung aufgehobenen Zwangs¬
beitritt zu Hülfskassen für Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, sofern er
auf dem Wege des Ortsstatuts herbeigeführt wurde, auf diesem bis dahin
ausgeschlossenen Wege wieder einführbar zu machen. Wir folgen dieser Be¬
rathung nicht. Unser Standpunkt ist der Uebergang zur Kassenfreiheit unter
vorsichtiger Schonung der noch bestehenden Landesgesetze, welche den Kafsen-
zwang oder die Zwangskassen anordnen und bei welchem diese Einrichtungen
einigermaßen gute Früchte tragen. So wie man diesen prinzipiellen Stand¬
punkt nicht einnimmt, kann man über Zwangskassen, Kassenzwang und Kassen¬
freiheit endlos hin- und Herreden, ohne jemals etwas anderes zu Stande zu
bringen, als ein Ding, das nicht Fisch noch Fleisch ist. So ist es auch dem
Reichstag ergangen, dem wir jedoch keinen Vorwurf machen. Erstlich lag
der Fehler in der Regierungsvorlage und sodann ist das Gebiet der socialen
Gesetzgebung einmal dasjenige, wo die Ansichten sich am langsamsten klären.
Dies zeigte sich nochmals recht deutlich bei der zweiten Berathung des mit
dem vorerwähnten Gesetzentwurf in innerem Zusammenhang stehenden Gesetz¬
entwurfs über die gegenseitigen Hülfskassen. Während der vorgenannte Gesetz¬
entwurf die Wiedereinführung von Zwangskassen auf dem Wege des Local-
statuts bezweckt, soll der zweite Entwurf die Bedingungen feststellen, unter
denen Hülfskassen der Handwerksgesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, welche


machen sollte. Auch diese Novelle wurde abgelehnt, insofern mit besserem
Rechte als andere, als bei solchen Veröffentlichungen alles auf die schwer zu
constatirende Absicht ankommt.

Nach abermaliger Uebergehung unpolitischer Paragraphen wenden wir
uns zu dem vorzugsweise sogenannten Paragraph Arnim. Hier hat die
Novelle als § 353° einen ganz neuen Paragraphen eingefügt, welcher straf¬
bar macht: den Ungehorsam gegen amtliche Weisungen, die Täuschung der
Vorgesetzten und die Täuschung Anderer durch Mißbrauch der amrlichen
Stellung, den Bruch der Amtsverschwiegenheit und viertens die Ordnungs¬
widrigkeit bei Aufbewahrung amtlicher Schriftstücke. Zur Annahme gelangte
hier bei namentlicher Abstimmung ein Amendement der Abgeordneten
v. Schwarze, Marquardsen und v. Puttkamer, welches die Novelle nicht un¬
wesentlich abschwächte, theils durch Minderung des Strafmaßes, theils durch
ausgeschlossene Strafbarkeit der Täuschung Anderer als des Vorgesetzten durch
Mißbrauch der amtlichen Stellung, und durch ausgeschlossene Strafbarkeit der
Ordnungswidrigkett bei Aufbewahrung amtlicher Schriftstücke.

Die Sitzung vom 31. Januar, die sich mit mecklenburgischer Kirchen¬
politik zum großen Theil beschäftigte, können wir soweit übergehen. Der
Reichstag begann am Ende dieser Sitzung noch die zweite Berathung des
Gesetzentwurfs wegen Abänderung des Tit. VIII. der Gewerbeordnung. Es
handelt sich darum, den durch die Gewerbeordnung aufgehobenen Zwangs¬
beitritt zu Hülfskassen für Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, sofern er
auf dem Wege des Ortsstatuts herbeigeführt wurde, auf diesem bis dahin
ausgeschlossenen Wege wieder einführbar zu machen. Wir folgen dieser Be¬
rathung nicht. Unser Standpunkt ist der Uebergang zur Kassenfreiheit unter
vorsichtiger Schonung der noch bestehenden Landesgesetze, welche den Kafsen-
zwang oder die Zwangskassen anordnen und bei welchem diese Einrichtungen
einigermaßen gute Früchte tragen. So wie man diesen prinzipiellen Stand¬
punkt nicht einnimmt, kann man über Zwangskassen, Kassenzwang und Kassen¬
freiheit endlos hin- und Herreden, ohne jemals etwas anderes zu Stande zu
bringen, als ein Ding, das nicht Fisch noch Fleisch ist. So ist es auch dem
Reichstag ergangen, dem wir jedoch keinen Vorwurf machen. Erstlich lag
der Fehler in der Regierungsvorlage und sodann ist das Gebiet der socialen
Gesetzgebung einmal dasjenige, wo die Ansichten sich am langsamsten klären.
Dies zeigte sich nochmals recht deutlich bei der zweiten Berathung des mit
dem vorerwähnten Gesetzentwurf in innerem Zusammenhang stehenden Gesetz¬
entwurfs über die gegenseitigen Hülfskassen. Während der vorgenannte Gesetz¬
entwurf die Wiedereinführung von Zwangskassen auf dem Wege des Local-
statuts bezweckt, soll der zweite Entwurf die Bedingungen feststellen, unter
denen Hülfskassen der Handwerksgesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, welche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135373"/>
          <p xml:id="ID_905" prev="#ID_904"> machen sollte. Auch diese Novelle wurde abgelehnt, insofern mit besserem<lb/>
Rechte als andere, als bei solchen Veröffentlichungen alles auf die schwer zu<lb/>
constatirende Absicht ankommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_906"> Nach abermaliger Uebergehung unpolitischer Paragraphen wenden wir<lb/>
uns zu dem vorzugsweise sogenannten Paragraph Arnim. Hier hat die<lb/>
Novelle als § 353° einen ganz neuen Paragraphen eingefügt, welcher straf¬<lb/>
bar macht: den Ungehorsam gegen amtliche Weisungen, die Täuschung der<lb/>
Vorgesetzten und die Täuschung Anderer durch Mißbrauch der amrlichen<lb/>
Stellung, den Bruch der Amtsverschwiegenheit und viertens die Ordnungs¬<lb/>
widrigkeit bei Aufbewahrung amtlicher Schriftstücke. Zur Annahme gelangte<lb/>
hier bei namentlicher Abstimmung ein Amendement der Abgeordneten<lb/>
v. Schwarze, Marquardsen und v. Puttkamer, welches die Novelle nicht un¬<lb/>
wesentlich abschwächte, theils durch Minderung des Strafmaßes, theils durch<lb/>
ausgeschlossene Strafbarkeit der Täuschung Anderer als des Vorgesetzten durch<lb/>
Mißbrauch der amtlichen Stellung, und durch ausgeschlossene Strafbarkeit der<lb/>
Ordnungswidrigkett bei Aufbewahrung amtlicher Schriftstücke.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_907" next="#ID_908"> Die Sitzung vom 31. Januar, die sich mit mecklenburgischer Kirchen¬<lb/>
politik zum großen Theil beschäftigte, können wir soweit übergehen. Der<lb/>
Reichstag begann am Ende dieser Sitzung noch die zweite Berathung des<lb/>
Gesetzentwurfs wegen Abänderung des Tit. VIII. der Gewerbeordnung. Es<lb/>
handelt sich darum, den durch die Gewerbeordnung aufgehobenen Zwangs¬<lb/>
beitritt zu Hülfskassen für Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, sofern er<lb/>
auf dem Wege des Ortsstatuts herbeigeführt wurde, auf diesem bis dahin<lb/>
ausgeschlossenen Wege wieder einführbar zu machen. Wir folgen dieser Be¬<lb/>
rathung nicht. Unser Standpunkt ist der Uebergang zur Kassenfreiheit unter<lb/>
vorsichtiger Schonung der noch bestehenden Landesgesetze, welche den Kafsen-<lb/>
zwang oder die Zwangskassen anordnen und bei welchem diese Einrichtungen<lb/>
einigermaßen gute Früchte tragen. So wie man diesen prinzipiellen Stand¬<lb/>
punkt nicht einnimmt, kann man über Zwangskassen, Kassenzwang und Kassen¬<lb/>
freiheit endlos hin- und Herreden, ohne jemals etwas anderes zu Stande zu<lb/>
bringen, als ein Ding, das nicht Fisch noch Fleisch ist. So ist es auch dem<lb/>
Reichstag ergangen, dem wir jedoch keinen Vorwurf machen. Erstlich lag<lb/>
der Fehler in der Regierungsvorlage und sodann ist das Gebiet der socialen<lb/>
Gesetzgebung einmal dasjenige, wo die Ansichten sich am langsamsten klären.<lb/>
Dies zeigte sich nochmals recht deutlich bei der zweiten Berathung des mit<lb/>
dem vorerwähnten Gesetzentwurf in innerem Zusammenhang stehenden Gesetz¬<lb/>
entwurfs über die gegenseitigen Hülfskassen. Während der vorgenannte Gesetz¬<lb/>
entwurf die Wiedereinführung von Zwangskassen auf dem Wege des Local-<lb/>
statuts bezweckt, soll der zweite Entwurf die Bedingungen feststellen, unter<lb/>
denen Hülfskassen der Handwerksgesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, welche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0320] machen sollte. Auch diese Novelle wurde abgelehnt, insofern mit besserem Rechte als andere, als bei solchen Veröffentlichungen alles auf die schwer zu constatirende Absicht ankommt. Nach abermaliger Uebergehung unpolitischer Paragraphen wenden wir uns zu dem vorzugsweise sogenannten Paragraph Arnim. Hier hat die Novelle als § 353° einen ganz neuen Paragraphen eingefügt, welcher straf¬ bar macht: den Ungehorsam gegen amtliche Weisungen, die Täuschung der Vorgesetzten und die Täuschung Anderer durch Mißbrauch der amrlichen Stellung, den Bruch der Amtsverschwiegenheit und viertens die Ordnungs¬ widrigkeit bei Aufbewahrung amtlicher Schriftstücke. Zur Annahme gelangte hier bei namentlicher Abstimmung ein Amendement der Abgeordneten v. Schwarze, Marquardsen und v. Puttkamer, welches die Novelle nicht un¬ wesentlich abschwächte, theils durch Minderung des Strafmaßes, theils durch ausgeschlossene Strafbarkeit der Täuschung Anderer als des Vorgesetzten durch Mißbrauch der amtlichen Stellung, und durch ausgeschlossene Strafbarkeit der Ordnungswidrigkett bei Aufbewahrung amtlicher Schriftstücke. Die Sitzung vom 31. Januar, die sich mit mecklenburgischer Kirchen¬ politik zum großen Theil beschäftigte, können wir soweit übergehen. Der Reichstag begann am Ende dieser Sitzung noch die zweite Berathung des Gesetzentwurfs wegen Abänderung des Tit. VIII. der Gewerbeordnung. Es handelt sich darum, den durch die Gewerbeordnung aufgehobenen Zwangs¬ beitritt zu Hülfskassen für Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, sofern er auf dem Wege des Ortsstatuts herbeigeführt wurde, auf diesem bis dahin ausgeschlossenen Wege wieder einführbar zu machen. Wir folgen dieser Be¬ rathung nicht. Unser Standpunkt ist der Uebergang zur Kassenfreiheit unter vorsichtiger Schonung der noch bestehenden Landesgesetze, welche den Kafsen- zwang oder die Zwangskassen anordnen und bei welchem diese Einrichtungen einigermaßen gute Früchte tragen. So wie man diesen prinzipiellen Stand¬ punkt nicht einnimmt, kann man über Zwangskassen, Kassenzwang und Kassen¬ freiheit endlos hin- und Herreden, ohne jemals etwas anderes zu Stande zu bringen, als ein Ding, das nicht Fisch noch Fleisch ist. So ist es auch dem Reichstag ergangen, dem wir jedoch keinen Vorwurf machen. Erstlich lag der Fehler in der Regierungsvorlage und sodann ist das Gebiet der socialen Gesetzgebung einmal dasjenige, wo die Ansichten sich am langsamsten klären. Dies zeigte sich nochmals recht deutlich bei der zweiten Berathung des mit dem vorerwähnten Gesetzentwurf in innerem Zusammenhang stehenden Gesetz¬ entwurfs über die gegenseitigen Hülfskassen. Während der vorgenannte Gesetz¬ entwurf die Wiedereinführung von Zwangskassen auf dem Wege des Local- statuts bezweckt, soll der zweite Entwurf die Bedingungen feststellen, unter denen Hülfskassen der Handwerksgesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter, welche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/320
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/320>, abgerufen am 27.09.2024.