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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.

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und eine Hummel oder Horniß fliegt heraus. Sie wollen ferner wissen, wie
tief ihr Gemeindebrunnen ist und gerathen auf folgenden gescheidten Gedanken:
Der Bürgermeister legt eine Stange über die Brunnenmündung, hält sich
daran fest und läßt sich hinab, der Nächste im Stadtregimente hängt sich
ihm an die Füße, der Dritte wieder an dessen Füße und so fort; zuletzt wird
der Zug nach unten dem Bürgermeister zu stark, und er ruft: "Haltet fest,
ich muß einmal in die Hände spuken", er läßt die Stange los, und plump!
liegen alle im Wasser. Sie versehen ihre neue Sonnenuhr mit einem Dache,
damit der Regen ihre schönen Farben nicht abspüle, bedenken aber nicht, daß
die Sonne sie nun nicht bescheinen kann. Endlich gehört zu den von mehr
als einem Orte erzählten Histörchen die, wo die Laien in Verlegenheit sind,
wie sie einen Balken durch ihr Thor bringen sollen, den sie in die Quer
halten; sie begreifen nicht eher, daß sie ihn nur der Länge nach hineinschaffen
können, als bis ihnen, als sie schon das Thor niederreißen wollen, ein Sper¬
ling den rechten Weg zeigt, der mit einem geradaus gehaltenen Halme zu
Neste fliegt.

Die letzte Geschichte wird von den Ulmern erzählt, zugleich aber werden
mit ihr die Bauern des schleswigschen Dorfes Jagel geneckt. Die von der
Schachtel mit dem guten Wetter wird sowohl von den fränkischen Mtstelgauern
wie von den Bewohnern des schweizerischen Ortes Hornussen (der aber nichts
mit Hornissen zu thun hat, sondern nach der Sumpfesche, althochdeutsch
Hornuskoe, benannt ist) berichtet. Mondfänger sind die schwäbischen Kie-
binger, die Büsumer in Holstein, die Föhringer in Schleswig und die Jll-
zacher im Elsaß. Wasserthiere zu ertränken versuchte man im holsteinischen
Dorfe Fockbcck, wo einen Aal, und im elsässischen Orte Killstett, wo einen
Frosck dieses Schicksal traf. Die Umzäunung der Sense spielt zu Kisdors
bei Bramstedt; in Fockbeck werden auch die gesalzenen Heringe in den Teich
gesetzt, und Bühnen begeht außer dem genannten Schildbürgerstreich auch den,
daß es seine Felder mit Kuhsamen bestellt. Die Kürbisgeschichte soll sich
in Rottweil zugetragen haben, die von der Sonnenuhr mit dem Regendach
und die von der Brunnenmessung werden dem würtembergischen Dorfe Gans¬
losen nachgesagt.

Die meisten Pinseleien haften an den Namen des eben genannten Gans¬
losen, an dem hessischen Schwarzenborn, an dem fränkischen Wasungen, an
Hirschau in der Oberpfalz, an Schild" in Sachsen, an dem schlesischen Polk-
witz, an Domnau in Ostpreußen, an Teterow in Mecklenburg. Schöppenstedt
in Braunschweig, Jühnde bei Göttingen, Beckum in Westfalen und Bühnen
am Ausfluß der Elbe. Sehr viele derartige spöttische Nachrede hat Tirol
aufzuweisen, wo namentlich die Thäler Paznaun, Ulten. Dur, Brandenberg


und eine Hummel oder Horniß fliegt heraus. Sie wollen ferner wissen, wie
tief ihr Gemeindebrunnen ist und gerathen auf folgenden gescheidten Gedanken:
Der Bürgermeister legt eine Stange über die Brunnenmündung, hält sich
daran fest und läßt sich hinab, der Nächste im Stadtregimente hängt sich
ihm an die Füße, der Dritte wieder an dessen Füße und so fort; zuletzt wird
der Zug nach unten dem Bürgermeister zu stark, und er ruft: „Haltet fest,
ich muß einmal in die Hände spuken", er läßt die Stange los, und plump!
liegen alle im Wasser. Sie versehen ihre neue Sonnenuhr mit einem Dache,
damit der Regen ihre schönen Farben nicht abspüle, bedenken aber nicht, daß
die Sonne sie nun nicht bescheinen kann. Endlich gehört zu den von mehr
als einem Orte erzählten Histörchen die, wo die Laien in Verlegenheit sind,
wie sie einen Balken durch ihr Thor bringen sollen, den sie in die Quer
halten; sie begreifen nicht eher, daß sie ihn nur der Länge nach hineinschaffen
können, als bis ihnen, als sie schon das Thor niederreißen wollen, ein Sper¬
ling den rechten Weg zeigt, der mit einem geradaus gehaltenen Halme zu
Neste fliegt.

Die letzte Geschichte wird von den Ulmern erzählt, zugleich aber werden
mit ihr die Bauern des schleswigschen Dorfes Jagel geneckt. Die von der
Schachtel mit dem guten Wetter wird sowohl von den fränkischen Mtstelgauern
wie von den Bewohnern des schweizerischen Ortes Hornussen (der aber nichts
mit Hornissen zu thun hat, sondern nach der Sumpfesche, althochdeutsch
Hornuskoe, benannt ist) berichtet. Mondfänger sind die schwäbischen Kie-
binger, die Büsumer in Holstein, die Föhringer in Schleswig und die Jll-
zacher im Elsaß. Wasserthiere zu ertränken versuchte man im holsteinischen
Dorfe Fockbcck, wo einen Aal, und im elsässischen Orte Killstett, wo einen
Frosck dieses Schicksal traf. Die Umzäunung der Sense spielt zu Kisdors
bei Bramstedt; in Fockbeck werden auch die gesalzenen Heringe in den Teich
gesetzt, und Bühnen begeht außer dem genannten Schildbürgerstreich auch den,
daß es seine Felder mit Kuhsamen bestellt. Die Kürbisgeschichte soll sich
in Rottweil zugetragen haben, die von der Sonnenuhr mit dem Regendach
und die von der Brunnenmessung werden dem würtembergischen Dorfe Gans¬
losen nachgesagt.

Die meisten Pinseleien haften an den Namen des eben genannten Gans¬
losen, an dem hessischen Schwarzenborn, an dem fränkischen Wasungen, an
Hirschau in der Oberpfalz, an Schild« in Sachsen, an dem schlesischen Polk-
witz, an Domnau in Ostpreußen, an Teterow in Mecklenburg. Schöppenstedt
in Braunschweig, Jühnde bei Göttingen, Beckum in Westfalen und Bühnen
am Ausfluß der Elbe. Sehr viele derartige spöttische Nachrede hat Tirol
aufzuweisen, wo namentlich die Thäler Paznaun, Ulten. Dur, Brandenberg


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[0310] und eine Hummel oder Horniß fliegt heraus. Sie wollen ferner wissen, wie tief ihr Gemeindebrunnen ist und gerathen auf folgenden gescheidten Gedanken: Der Bürgermeister legt eine Stange über die Brunnenmündung, hält sich daran fest und läßt sich hinab, der Nächste im Stadtregimente hängt sich ihm an die Füße, der Dritte wieder an dessen Füße und so fort; zuletzt wird der Zug nach unten dem Bürgermeister zu stark, und er ruft: „Haltet fest, ich muß einmal in die Hände spuken", er läßt die Stange los, und plump! liegen alle im Wasser. Sie versehen ihre neue Sonnenuhr mit einem Dache, damit der Regen ihre schönen Farben nicht abspüle, bedenken aber nicht, daß die Sonne sie nun nicht bescheinen kann. Endlich gehört zu den von mehr als einem Orte erzählten Histörchen die, wo die Laien in Verlegenheit sind, wie sie einen Balken durch ihr Thor bringen sollen, den sie in die Quer halten; sie begreifen nicht eher, daß sie ihn nur der Länge nach hineinschaffen können, als bis ihnen, als sie schon das Thor niederreißen wollen, ein Sper¬ ling den rechten Weg zeigt, der mit einem geradaus gehaltenen Halme zu Neste fliegt. Die letzte Geschichte wird von den Ulmern erzählt, zugleich aber werden mit ihr die Bauern des schleswigschen Dorfes Jagel geneckt. Die von der Schachtel mit dem guten Wetter wird sowohl von den fränkischen Mtstelgauern wie von den Bewohnern des schweizerischen Ortes Hornussen (der aber nichts mit Hornissen zu thun hat, sondern nach der Sumpfesche, althochdeutsch Hornuskoe, benannt ist) berichtet. Mondfänger sind die schwäbischen Kie- binger, die Büsumer in Holstein, die Föhringer in Schleswig und die Jll- zacher im Elsaß. Wasserthiere zu ertränken versuchte man im holsteinischen Dorfe Fockbcck, wo einen Aal, und im elsässischen Orte Killstett, wo einen Frosck dieses Schicksal traf. Die Umzäunung der Sense spielt zu Kisdors bei Bramstedt; in Fockbeck werden auch die gesalzenen Heringe in den Teich gesetzt, und Bühnen begeht außer dem genannten Schildbürgerstreich auch den, daß es seine Felder mit Kuhsamen bestellt. Die Kürbisgeschichte soll sich in Rottweil zugetragen haben, die von der Sonnenuhr mit dem Regendach und die von der Brunnenmessung werden dem würtembergischen Dorfe Gans¬ losen nachgesagt. Die meisten Pinseleien haften an den Namen des eben genannten Gans¬ losen, an dem hessischen Schwarzenborn, an dem fränkischen Wasungen, an Hirschau in der Oberpfalz, an Schild« in Sachsen, an dem schlesischen Polk- witz, an Domnau in Ostpreußen, an Teterow in Mecklenburg. Schöppenstedt in Braunschweig, Jühnde bei Göttingen, Beckum in Westfalen und Bühnen am Ausfluß der Elbe. Sehr viele derartige spöttische Nachrede hat Tirol aufzuweisen, wo namentlich die Thäler Paznaun, Ulten. Dur, Brandenberg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157636/310>, abgerufen am 27.09.2024.