Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, I. Band.nicht selten auch grausam, bisweilen eine unglaublich dreiste Verhöhnung des Neben diesen Schwänkesammlungen, von denen jede sich um eine bestimmte nicht selten auch grausam, bisweilen eine unglaublich dreiste Verhöhnung des Neben diesen Schwänkesammlungen, von denen jede sich um eine bestimmte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135360"/> <p xml:id="ID_860" prev="#ID_859"> nicht selten auch grausam, bisweilen eine unglaublich dreiste Verhöhnung des<lb/> Heiligen. Ein ähnlicher Kumpan, aber unschuldiger und nicht so grob ist<lb/> »Peter Leu von Hall", der ebenfalls ein schlauer und lustiger Pfaffe ist.<lb/> Seine ersten Streiche, die sich gegen den Pfarrer wenden, welchem er als<lb/> Helfer dient, fließen aus seiner Dürftigkeit. Später verhöhnt er den Aber«<lb/> glauben, womit er sich zugleich Brot schafft und zuletzt auch zu Leinenzeug<lb/> und Betten gelangt, indem er, als sich einmal ein schwefelig riechender Nebel<lb/> über seine Gegend lagert, den Bauern versichert, dieß rühre von einem Loch<lb/> in der Hölle her, und nun von ihnen Mittel bekommt, es zu verstopfen.<lb/> Eine wieder dem Pfaffen Amis und dem Kalenberger näherstehende Figur<lb/> des Volkswitzes ist der norddeutsche Eulenspiegel, der Nationalnarr, der<lb/> Jahrhunderte hindurch ein Liebling des Volkes war, der personificirte Silben¬<lb/> stecher, der stets nach dem Wortlaut und nie nach dem Sinn die ihm ertheilten<lb/> Aufträge ausführt, das als That und Handlung auftretende apologische<lb/> Sprichwort, der neue Diogenes, welcher der stolzen Welt mit ihrem pfau¬<lb/> artigen Prunken den Spiegel vorhält, in der sie sich als garstige Eule erblickt.</p><lb/> <p xml:id="ID_861" next="#ID_862"> Neben diesen Schwänkesammlungen, von denen jede sich um eine bestimmte<lb/> Person gruppirte und so zu einer Art Biographie wurde, traten im sechzehnten<lb/> Jahrhundert andere auf, die, meist dem Leben entnommen, sich als Anekdoten¬<lb/> bücher, zusammengelesen unter allerlei Volk, namentlich aber unter den niedern<lb/> Ständen gaben, und von denen nach kurzer Zeit so viele existirten, daß wir<lb/> Uns beschränken müssen, die bedeutendsten zu nennen. Die älteste, die zugleich<lb/> für alle späteren Vorbild wurde, sind die bereits genannten „Facetiae" Hein¬<lb/> rich Bebel's, die zuerst lateinisch, dann auch in deutscher Sprache erschienen.<lb/> Der Verfasser, ein schwäbischer Bauernsohn, der sich zum Doctor und ge¬<lb/> krönten Poeten aufschwang, war ein guter Beobachter der Bolksnatur, und<lb/> seine Schwänke, die sich größtentheils auf Bauern, fahrende Schüler, Lands¬<lb/> knechte, Bettler und Fastenprediger beziehen, enthalten meist Selbsterlebtes<lb/> oder von noch lebenden Zeugen der betreffenden Borfälle Erzähltes. Am<lb/> schlimmsten werden darin die Rohheit und Dummheit der Landgeistlichen, die<lb/> Verkäuflichkeit der Pfründen und der Ablaßkram mitgenommen. Unter denen,<lb/> die Bebel auf diesem Wege folgten, ist der Barsüßermönch Pauli, -welcher<lb/> 1618 das Buch „Schimpf und Ernst" schrieb, der hervorragendste. Seine<lb/> Narren sind vorzüglich Klosterleute, Adelige und von nutzlosen Wissen über¬<lb/> fließende dünkelhafte Gelehrte. Alles ist voll Leben und Laune, voll Naivetät<lb/> und doch fein und geistreich. Weniger Werth hat Kirchhof's „Wendunmuth".<lb/> der nicht viel mehr als eine Bearbeitung der Bebel'schen Sammlung mit<lb/> Entfernung dessen, was zu anstößig, zu schmutzig und ärgerlich erschien,<lb/> und mit Hinzufügung einer Moral zu jeder Anekdote war. Sehr schmutzig<lb/> wieder ist dagegen Wickram's „Rollwägen", und den Gipfel der Unreinlichkeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
nicht selten auch grausam, bisweilen eine unglaublich dreiste Verhöhnung des
Heiligen. Ein ähnlicher Kumpan, aber unschuldiger und nicht so grob ist
»Peter Leu von Hall", der ebenfalls ein schlauer und lustiger Pfaffe ist.
Seine ersten Streiche, die sich gegen den Pfarrer wenden, welchem er als
Helfer dient, fließen aus seiner Dürftigkeit. Später verhöhnt er den Aber«
glauben, womit er sich zugleich Brot schafft und zuletzt auch zu Leinenzeug
und Betten gelangt, indem er, als sich einmal ein schwefelig riechender Nebel
über seine Gegend lagert, den Bauern versichert, dieß rühre von einem Loch
in der Hölle her, und nun von ihnen Mittel bekommt, es zu verstopfen.
Eine wieder dem Pfaffen Amis und dem Kalenberger näherstehende Figur
des Volkswitzes ist der norddeutsche Eulenspiegel, der Nationalnarr, der
Jahrhunderte hindurch ein Liebling des Volkes war, der personificirte Silben¬
stecher, der stets nach dem Wortlaut und nie nach dem Sinn die ihm ertheilten
Aufträge ausführt, das als That und Handlung auftretende apologische
Sprichwort, der neue Diogenes, welcher der stolzen Welt mit ihrem pfau¬
artigen Prunken den Spiegel vorhält, in der sie sich als garstige Eule erblickt.
Neben diesen Schwänkesammlungen, von denen jede sich um eine bestimmte
Person gruppirte und so zu einer Art Biographie wurde, traten im sechzehnten
Jahrhundert andere auf, die, meist dem Leben entnommen, sich als Anekdoten¬
bücher, zusammengelesen unter allerlei Volk, namentlich aber unter den niedern
Ständen gaben, und von denen nach kurzer Zeit so viele existirten, daß wir
Uns beschränken müssen, die bedeutendsten zu nennen. Die älteste, die zugleich
für alle späteren Vorbild wurde, sind die bereits genannten „Facetiae" Hein¬
rich Bebel's, die zuerst lateinisch, dann auch in deutscher Sprache erschienen.
Der Verfasser, ein schwäbischer Bauernsohn, der sich zum Doctor und ge¬
krönten Poeten aufschwang, war ein guter Beobachter der Bolksnatur, und
seine Schwänke, die sich größtentheils auf Bauern, fahrende Schüler, Lands¬
knechte, Bettler und Fastenprediger beziehen, enthalten meist Selbsterlebtes
oder von noch lebenden Zeugen der betreffenden Borfälle Erzähltes. Am
schlimmsten werden darin die Rohheit und Dummheit der Landgeistlichen, die
Verkäuflichkeit der Pfründen und der Ablaßkram mitgenommen. Unter denen,
die Bebel auf diesem Wege folgten, ist der Barsüßermönch Pauli, -welcher
1618 das Buch „Schimpf und Ernst" schrieb, der hervorragendste. Seine
Narren sind vorzüglich Klosterleute, Adelige und von nutzlosen Wissen über¬
fließende dünkelhafte Gelehrte. Alles ist voll Leben und Laune, voll Naivetät
und doch fein und geistreich. Weniger Werth hat Kirchhof's „Wendunmuth".
der nicht viel mehr als eine Bearbeitung der Bebel'schen Sammlung mit
Entfernung dessen, was zu anstößig, zu schmutzig und ärgerlich erschien,
und mit Hinzufügung einer Moral zu jeder Anekdote war. Sehr schmutzig
wieder ist dagegen Wickram's „Rollwägen", und den Gipfel der Unreinlichkeit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |